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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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den friedfertigen Eindruck dieser Dinge einigermaßen verkümmerten. Zunächst
die Aeußerungen des Kaisers über Legitimität, eine handgreifliche Antwort
auf die Königsberger Reden. Zwar mögen diese Aeußerungen hauptsächlich
den Franzosen gelten, denen es sehr sehen eichelhaft sein wird, daß des Staates
Wohl in dem Gemüth des Kaisers viel höher steht, als seine Familienin-
teressen: aber wenn man sich in Compiegne freundschaftlich unterhalten hätte,
so würde der Kaiser doch wol eine andere Redefigur gefunden haben. Der
gute Wille einer Entwaffnung ist sehr anerkennenswerth, aber es scheint, daß
man die benachbarten Mächte auffordern will, gleichfalls die Hand an das
Friedenswerk zu legen, und zu den Nachbarn gehört unzweifelhaft Preußen,
dessen Regierung mit den Kammern über die Höhe des Militärbudgets in leb¬
haftem Zwist ist, und dessen Unterrichtsminister den geringen Aufwand für die
Schulen damit entschuldigt, daß sein König vor Allem Kriegsherr sei. Ob
eS in der Denkschrift des Ministers Fould zufällig oder absichtlich ist. daß die
Kosten der römischen Besatzung eine so große Rolle spielen, wollen wir dahin
gestellt sein lassen; daß man aber die Dappenthalgeschichte wieder hervorsucht,
sieht doch fast so aus. als wolle man böswilligen Nachbarn Gelegenheit ge¬
ben, die friedfertigen Absichten des Kaisers zu stören.

Mit einem Wort: seit mehreren Jahren erwartet man einen französischen
Angriff, der nicht erfolgt ist; deshalb dürfte man aber doch nicht die Vorsicht
aus den Augen lassen, er könnte erfolgen, wo man es am wenigsten er¬
wartet.

Die Lage der europäischen Verhältnisse ist gerade in diesem Augenblick
nur zu sehr dazu angethan, ehrgeizige Pläne zu begünstigen.

Zunächst steht Oestreich viel schlechter, als vor einem Jahre. Die ver¬
zweifelte Lage seiner Finanzen veranlaßte es im October 1860 zur Über¬
raschung aller Welt ins constitutionelle Lager zu treten. Die Absicht war
einerseits, eine Staatsmaschine zur Bewilligung neuer Anleihen zu finden,
die im Stande wäre, sich wirklichen Credit zu erwerben, theils Ungarn zu ver¬
söhnen. -- Beide Absichten sind bereits als gescheitert zu betrachten. Der
Reichsrath, die beabsichtigte Maschine, kommt nicht zu Stande, und die Ungarn,
denen man einen kurzen Frühling gönnte, um sie dann wieder der alten Bot¬
mäßigkeit zu unterwerfen, sind erbitterter als jemals. Oestreich braucht eine
starke Besatzung in Ungarn, es muß dies alte Stammland ganz wieder als
ein erobertes Land behandeln, und jede Niederlage würde einen Aufstand
hervorrufen. Die Recruten sind zwar mA Gewalt ausgehoben, aber ihre
Zuverlässigkeit würde, so lange sie noch nicht durch längeren Dienst geschult
sind, fraglicher sein, als je zuvor. Die Ungarn haben zwar so ungeschickt
operirt, daß es zu einem wirklichen Bündniß mit den slavischen Nachbarvöl¬
kern nicht gekommen ist, sie sind aber jetzt vorsichtiger geworden, und das


den friedfertigen Eindruck dieser Dinge einigermaßen verkümmerten. Zunächst
die Aeußerungen des Kaisers über Legitimität, eine handgreifliche Antwort
auf die Königsberger Reden. Zwar mögen diese Aeußerungen hauptsächlich
den Franzosen gelten, denen es sehr sehen eichelhaft sein wird, daß des Staates
Wohl in dem Gemüth des Kaisers viel höher steht, als seine Familienin-
teressen: aber wenn man sich in Compiegne freundschaftlich unterhalten hätte,
so würde der Kaiser doch wol eine andere Redefigur gefunden haben. Der
gute Wille einer Entwaffnung ist sehr anerkennenswerth, aber es scheint, daß
man die benachbarten Mächte auffordern will, gleichfalls die Hand an das
Friedenswerk zu legen, und zu den Nachbarn gehört unzweifelhaft Preußen,
dessen Regierung mit den Kammern über die Höhe des Militärbudgets in leb¬
haftem Zwist ist, und dessen Unterrichtsminister den geringen Aufwand für die
Schulen damit entschuldigt, daß sein König vor Allem Kriegsherr sei. Ob
eS in der Denkschrift des Ministers Fould zufällig oder absichtlich ist. daß die
Kosten der römischen Besatzung eine so große Rolle spielen, wollen wir dahin
gestellt sein lassen; daß man aber die Dappenthalgeschichte wieder hervorsucht,
sieht doch fast so aus. als wolle man böswilligen Nachbarn Gelegenheit ge¬
ben, die friedfertigen Absichten des Kaisers zu stören.

Mit einem Wort: seit mehreren Jahren erwartet man einen französischen
Angriff, der nicht erfolgt ist; deshalb dürfte man aber doch nicht die Vorsicht
aus den Augen lassen, er könnte erfolgen, wo man es am wenigsten er¬
wartet.

Die Lage der europäischen Verhältnisse ist gerade in diesem Augenblick
nur zu sehr dazu angethan, ehrgeizige Pläne zu begünstigen.

Zunächst steht Oestreich viel schlechter, als vor einem Jahre. Die ver¬
zweifelte Lage seiner Finanzen veranlaßte es im October 1860 zur Über¬
raschung aller Welt ins constitutionelle Lager zu treten. Die Absicht war
einerseits, eine Staatsmaschine zur Bewilligung neuer Anleihen zu finden,
die im Stande wäre, sich wirklichen Credit zu erwerben, theils Ungarn zu ver¬
söhnen. — Beide Absichten sind bereits als gescheitert zu betrachten. Der
Reichsrath, die beabsichtigte Maschine, kommt nicht zu Stande, und die Ungarn,
denen man einen kurzen Frühling gönnte, um sie dann wieder der alten Bot¬
mäßigkeit zu unterwerfen, sind erbitterter als jemals. Oestreich braucht eine
starke Besatzung in Ungarn, es muß dies alte Stammland ganz wieder als
ein erobertes Land behandeln, und jede Niederlage würde einen Aufstand
hervorrufen. Die Recruten sind zwar mA Gewalt ausgehoben, aber ihre
Zuverlässigkeit würde, so lange sie noch nicht durch längeren Dienst geschult
sind, fraglicher sein, als je zuvor. Die Ungarn haben zwar so ungeschickt
operirt, daß es zu einem wirklichen Bündniß mit den slavischen Nachbarvöl¬
kern nicht gekommen ist, sie sind aber jetzt vorsichtiger geworden, und das


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[0414] den friedfertigen Eindruck dieser Dinge einigermaßen verkümmerten. Zunächst die Aeußerungen des Kaisers über Legitimität, eine handgreifliche Antwort auf die Königsberger Reden. Zwar mögen diese Aeußerungen hauptsächlich den Franzosen gelten, denen es sehr sehen eichelhaft sein wird, daß des Staates Wohl in dem Gemüth des Kaisers viel höher steht, als seine Familienin- teressen: aber wenn man sich in Compiegne freundschaftlich unterhalten hätte, so würde der Kaiser doch wol eine andere Redefigur gefunden haben. Der gute Wille einer Entwaffnung ist sehr anerkennenswerth, aber es scheint, daß man die benachbarten Mächte auffordern will, gleichfalls die Hand an das Friedenswerk zu legen, und zu den Nachbarn gehört unzweifelhaft Preußen, dessen Regierung mit den Kammern über die Höhe des Militärbudgets in leb¬ haftem Zwist ist, und dessen Unterrichtsminister den geringen Aufwand für die Schulen damit entschuldigt, daß sein König vor Allem Kriegsherr sei. Ob eS in der Denkschrift des Ministers Fould zufällig oder absichtlich ist. daß die Kosten der römischen Besatzung eine so große Rolle spielen, wollen wir dahin gestellt sein lassen; daß man aber die Dappenthalgeschichte wieder hervorsucht, sieht doch fast so aus. als wolle man böswilligen Nachbarn Gelegenheit ge¬ ben, die friedfertigen Absichten des Kaisers zu stören. Mit einem Wort: seit mehreren Jahren erwartet man einen französischen Angriff, der nicht erfolgt ist; deshalb dürfte man aber doch nicht die Vorsicht aus den Augen lassen, er könnte erfolgen, wo man es am wenigsten er¬ wartet. Die Lage der europäischen Verhältnisse ist gerade in diesem Augenblick nur zu sehr dazu angethan, ehrgeizige Pläne zu begünstigen. Zunächst steht Oestreich viel schlechter, als vor einem Jahre. Die ver¬ zweifelte Lage seiner Finanzen veranlaßte es im October 1860 zur Über¬ raschung aller Welt ins constitutionelle Lager zu treten. Die Absicht war einerseits, eine Staatsmaschine zur Bewilligung neuer Anleihen zu finden, die im Stande wäre, sich wirklichen Credit zu erwerben, theils Ungarn zu ver¬ söhnen. — Beide Absichten sind bereits als gescheitert zu betrachten. Der Reichsrath, die beabsichtigte Maschine, kommt nicht zu Stande, und die Ungarn, denen man einen kurzen Frühling gönnte, um sie dann wieder der alten Bot¬ mäßigkeit zu unterwerfen, sind erbitterter als jemals. Oestreich braucht eine starke Besatzung in Ungarn, es muß dies alte Stammland ganz wieder als ein erobertes Land behandeln, und jede Niederlage würde einen Aufstand hervorrufen. Die Recruten sind zwar mA Gewalt ausgehoben, aber ihre Zuverlässigkeit würde, so lange sie noch nicht durch längeren Dienst geschult sind, fraglicher sein, als je zuvor. Die Ungarn haben zwar so ungeschickt operirt, daß es zu einem wirklichen Bündniß mit den slavischen Nachbarvöl¬ kern nicht gekommen ist, sie sind aber jetzt vorsichtiger geworden, und das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/414>, abgerufen am 23.07.2024.