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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Einige Aenderung trat unter dem folgenden Ministerium ein. Zwar
war der Abscheu vor jeder Ueberstürzung bei Herrn von Schleinitz ebenso
groß als bei Herrn von Manteuffel, in Bezug auf Oestreich wurde das'
System des Dualismus von dem Einen ebenso festgehalten als von dem
Andern, aber in den Mitteln weichen sie doch sehr bedeutend von einander
ab. Herr von Manteuffel suchte Oestreich im Kampf gegen die Revolution
Concurrenz zu machen und sich den kleinern deutschen Fürsten als den geeig¬
neteren Helfer in der Noth darzustellen, während Herr von Schleinitz durch
Unterstützung der liberalen Sache die deutsche Bevölkerung zu gewinnen und
dadurch einen gelinden Druck auf die Regierungen auszuüben suchte. Wied'
tiger aber war die Veränderung nach einer andern Seite hin.

Man kann der preußischen Politik unter Herrn von Manteuffel nicht
nachsagen, daß sie von einer besondern Animosität gegen Frankreich beseelt
gewesen sei; am wenigsten schloß sie sich Oestreich gegen Frankreich an.
Die orientalische Frage hatte zwar eine gewisse Spannung hervorgebracht,
aber diese Spannung bezog sich vielmehr aus Oestreich als auf Frankreich.
Die neue Aera ging von einem entschiedenen Mißtrauen gegen Frankreich
aus: sie ließ sich zwar nicht ohne Weiteres in das legitimistische Lager hinein¬
treiben, sie behielt sich vor, in dem gemeinsamen Kampf gegen Frankreich
ihre eigenen Interessen in Deutschland zu verfolgen und den östreichischen
Eroberungsgelüsten einige Schranken zu setzen, aber sie war doch zur gemein¬
samen Action bereit. Auch der Friede von Villafranca und das Verhalten
Oestreichs nach demselben störte sie nicht in ihrer Richtung. Ihr letztes
Ziel war eine Coalition gegen Frankreich. Dazu verlangte sie zunächst eine
militärische Angliederung Kleindeutschlands, dann ein enges Bündniß mit
England, endlich freundschaftliche Verhältnisse zu Oestreich und Rußland.
Sie machte aus diesem Vorhaben so wenig Hehl, daß, wenn Napoleon da¬
mals von ernsthaften Annexionsgelüsten erfüllt gewesen wäre, die Gelegenheit
zum Angriff ihm nicht gefehlt haben würde. Auch die Erhöhung der preußi¬
schen Wehrkraft wurde mit ausdrücklichen Hinblick auf Frankreich in Angriff
genommen.

Die Erfolge dieser Politik im Laufe von 2 --3 Jahren waten nicht eben
glänzend. Die Stimmung im deutschen Volke sing zwar an sich etwas mehr
Preußen zuzuneigen, desto mehr wuchs der Einfluß Oestreichs bei den deut¬
schen Regierungen. In Frankfurt hatte Preußen fast gar keine Stimme
mehr; die Mittclstaaten traten mit ihrem Versuch, nicht gerade einen Rhein¬
bund/ aber doch eine von den Großmächten unabhängige Coalition zu bil¬
den, so rücksichtslos hervor, wie zu keiner andern Zeit, jeder Einzelne von
ihnen, z. B. Hannover, legte Preußen Schwierigkeiten in den Weg, die fast
mit einem offenen Bruch drohten, und in den officiellen und officiösen Blättern


Einige Aenderung trat unter dem folgenden Ministerium ein. Zwar
war der Abscheu vor jeder Ueberstürzung bei Herrn von Schleinitz ebenso
groß als bei Herrn von Manteuffel, in Bezug auf Oestreich wurde das'
System des Dualismus von dem Einen ebenso festgehalten als von dem
Andern, aber in den Mitteln weichen sie doch sehr bedeutend von einander
ab. Herr von Manteuffel suchte Oestreich im Kampf gegen die Revolution
Concurrenz zu machen und sich den kleinern deutschen Fürsten als den geeig¬
neteren Helfer in der Noth darzustellen, während Herr von Schleinitz durch
Unterstützung der liberalen Sache die deutsche Bevölkerung zu gewinnen und
dadurch einen gelinden Druck auf die Regierungen auszuüben suchte. Wied'
tiger aber war die Veränderung nach einer andern Seite hin.

Man kann der preußischen Politik unter Herrn von Manteuffel nicht
nachsagen, daß sie von einer besondern Animosität gegen Frankreich beseelt
gewesen sei; am wenigsten schloß sie sich Oestreich gegen Frankreich an.
Die orientalische Frage hatte zwar eine gewisse Spannung hervorgebracht,
aber diese Spannung bezog sich vielmehr aus Oestreich als auf Frankreich.
Die neue Aera ging von einem entschiedenen Mißtrauen gegen Frankreich
aus: sie ließ sich zwar nicht ohne Weiteres in das legitimistische Lager hinein¬
treiben, sie behielt sich vor, in dem gemeinsamen Kampf gegen Frankreich
ihre eigenen Interessen in Deutschland zu verfolgen und den östreichischen
Eroberungsgelüsten einige Schranken zu setzen, aber sie war doch zur gemein¬
samen Action bereit. Auch der Friede von Villafranca und das Verhalten
Oestreichs nach demselben störte sie nicht in ihrer Richtung. Ihr letztes
Ziel war eine Coalition gegen Frankreich. Dazu verlangte sie zunächst eine
militärische Angliederung Kleindeutschlands, dann ein enges Bündniß mit
England, endlich freundschaftliche Verhältnisse zu Oestreich und Rußland.
Sie machte aus diesem Vorhaben so wenig Hehl, daß, wenn Napoleon da¬
mals von ernsthaften Annexionsgelüsten erfüllt gewesen wäre, die Gelegenheit
zum Angriff ihm nicht gefehlt haben würde. Auch die Erhöhung der preußi¬
schen Wehrkraft wurde mit ausdrücklichen Hinblick auf Frankreich in Angriff
genommen.

Die Erfolge dieser Politik im Laufe von 2 —3 Jahren waten nicht eben
glänzend. Die Stimmung im deutschen Volke sing zwar an sich etwas mehr
Preußen zuzuneigen, desto mehr wuchs der Einfluß Oestreichs bei den deut¬
schen Regierungen. In Frankfurt hatte Preußen fast gar keine Stimme
mehr; die Mittclstaaten traten mit ihrem Versuch, nicht gerade einen Rhein¬
bund/ aber doch eine von den Großmächten unabhängige Coalition zu bil¬
den, so rücksichtslos hervor, wie zu keiner andern Zeit, jeder Einzelne von
ihnen, z. B. Hannover, legte Preußen Schwierigkeiten in den Weg, die fast
mit einem offenen Bruch drohten, und in den officiellen und officiösen Blättern


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[0412] Einige Aenderung trat unter dem folgenden Ministerium ein. Zwar war der Abscheu vor jeder Ueberstürzung bei Herrn von Schleinitz ebenso groß als bei Herrn von Manteuffel, in Bezug auf Oestreich wurde das' System des Dualismus von dem Einen ebenso festgehalten als von dem Andern, aber in den Mitteln weichen sie doch sehr bedeutend von einander ab. Herr von Manteuffel suchte Oestreich im Kampf gegen die Revolution Concurrenz zu machen und sich den kleinern deutschen Fürsten als den geeig¬ neteren Helfer in der Noth darzustellen, während Herr von Schleinitz durch Unterstützung der liberalen Sache die deutsche Bevölkerung zu gewinnen und dadurch einen gelinden Druck auf die Regierungen auszuüben suchte. Wied' tiger aber war die Veränderung nach einer andern Seite hin. Man kann der preußischen Politik unter Herrn von Manteuffel nicht nachsagen, daß sie von einer besondern Animosität gegen Frankreich beseelt gewesen sei; am wenigsten schloß sie sich Oestreich gegen Frankreich an. Die orientalische Frage hatte zwar eine gewisse Spannung hervorgebracht, aber diese Spannung bezog sich vielmehr aus Oestreich als auf Frankreich. Die neue Aera ging von einem entschiedenen Mißtrauen gegen Frankreich aus: sie ließ sich zwar nicht ohne Weiteres in das legitimistische Lager hinein¬ treiben, sie behielt sich vor, in dem gemeinsamen Kampf gegen Frankreich ihre eigenen Interessen in Deutschland zu verfolgen und den östreichischen Eroberungsgelüsten einige Schranken zu setzen, aber sie war doch zur gemein¬ samen Action bereit. Auch der Friede von Villafranca und das Verhalten Oestreichs nach demselben störte sie nicht in ihrer Richtung. Ihr letztes Ziel war eine Coalition gegen Frankreich. Dazu verlangte sie zunächst eine militärische Angliederung Kleindeutschlands, dann ein enges Bündniß mit England, endlich freundschaftliche Verhältnisse zu Oestreich und Rußland. Sie machte aus diesem Vorhaben so wenig Hehl, daß, wenn Napoleon da¬ mals von ernsthaften Annexionsgelüsten erfüllt gewesen wäre, die Gelegenheit zum Angriff ihm nicht gefehlt haben würde. Auch die Erhöhung der preußi¬ schen Wehrkraft wurde mit ausdrücklichen Hinblick auf Frankreich in Angriff genommen. Die Erfolge dieser Politik im Laufe von 2 —3 Jahren waten nicht eben glänzend. Die Stimmung im deutschen Volke sing zwar an sich etwas mehr Preußen zuzuneigen, desto mehr wuchs der Einfluß Oestreichs bei den deut¬ schen Regierungen. In Frankfurt hatte Preußen fast gar keine Stimme mehr; die Mittclstaaten traten mit ihrem Versuch, nicht gerade einen Rhein¬ bund/ aber doch eine von den Großmächten unabhängige Coalition zu bil¬ den, so rücksichtslos hervor, wie zu keiner andern Zeit, jeder Einzelne von ihnen, z. B. Hannover, legte Preußen Schwierigkeiten in den Weg, die fast mit einem offenen Bruch drohten, und in den officiellen und officiösen Blättern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/412>, abgerufen am 23.07.2024.