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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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so ungläubig, als irgend ein Europäer bei solchem Fall sein konnte, hatte,
um jeden Betrug zu vermeiden, zwei Compagnien seiner Leibwache wahrend
der sechs Wochen in der Nähe des Oels aufgestellt, von welchen vier SchUd-
wachen vor demselben postirt waren, die alle zwei Stunden abgelöst wurden.
Außerdem hatte ein höherer Beamter des Palastes den Austrag gehabt, den
Ort öfters zu besuchen und darüber Bericht zu erstatten. Endlich mußte der
Offizier der Wache Morgens und Abends Meldung machen.

Wir setzten uns in die Verandah, der Thür gegenüber, während die Leute
das Mauerwerk von derselben wegräumten und einer der Offiziere das Siegel
ablöste und das Vorlegeschloß aufmachte. Als die Thür geöffnet wurde, zeigte
sich ein dunkles Gemach. Nunzit und ich gingen, vom Diener des Fakirs be¬
gleitet, hinein, ein Licht wurde gebracht, und wir stiegen in eine drei Faß
unter dem Boden befindliche Zelle hinab. In derselben stand aufrecht ein
hölzerner Kasten, gegen fünf Fuß laug und vier Fuß breit, mit dachförmiger
Bedeckung und mit einem Siegel und Schloß verwahrt. Nachdem wir den¬
selben geöffnet und den Deckel abgehobe>n, erblickten wir eine Gestalt, die in
einem über dem Kopf mit einer Schnur zusammengezogenen Sack von weißer
Leinwand stak. Bei Enthüllung derselben wurden Geschütze abgefeuert, und
die außerhalb stehende Menge drängte sich neugierig an die Thür, um das
Schauspiel betrachten zu können. Nachdem Jedermann seine Neugier befriedigt,
trat der Diener des Fakirs hinzu, umschlang mit seinen Armen die in dem
Kasten liegende Gestalt, nahm sie heraus, und den Deckel des Kastens wieder
schließend legte er den Körper des Fakirs, der gleich einem Hindugötzen in
den engen Raum gezwängt worden war, mit dem Rücken auf denselben.

Runzit Sing und ich saßen in der schmalen Zelle dem Körper gegenüber
aus dem Boden. Der Diener begann jetzt warmes Wasser über den Körper
auszugießen; da ich aber den Hergang genau zu sehen und jeder Täuschung
vorzubeugen wünschte, so schlug ich vor, die Leinwand zu öffnen. Indem
ich dieß that, bemerkte ich, daß der leinene Sack sich anfühlte, als wäre er
einige Zeit begraben gewesen. Die Beine und Arme des Fakirs waren zu¬
sammengeschrumpft und steif, das Gesicht voll, der Kopf lag auf die Schulter
gelehnt, wie der einer Leiche. , Ich rief nun einen Arzt herbei, der mich be¬
gleitet hatte, damit er den Körper untersuche, und dieser vermochte weder im
Herzen, noch an den Schläfen, noch an den Armen eine Bewegung des Pulses
zu entdecken. Dagegen zeigte sich einige Wärme um Gehirn, der" einzigen
Theile des Körpers, wo solche wahrzunehmen war.

Der Diener fing jetzt an, den Leichnam mit warmem Wasser zu waschen.
Dann wurden von uns nllmählig Arme und Beine aus der unbeweglichen
Lage befreit, und Runzit ergriff sein rechtes, ich sein linkes Beur. um durch
Reibungen Leben in dieselben zu bringen. Während dieser Zeit hatte der


so ungläubig, als irgend ein Europäer bei solchem Fall sein konnte, hatte,
um jeden Betrug zu vermeiden, zwei Compagnien seiner Leibwache wahrend
der sechs Wochen in der Nähe des Oels aufgestellt, von welchen vier SchUd-
wachen vor demselben postirt waren, die alle zwei Stunden abgelöst wurden.
Außerdem hatte ein höherer Beamter des Palastes den Austrag gehabt, den
Ort öfters zu besuchen und darüber Bericht zu erstatten. Endlich mußte der
Offizier der Wache Morgens und Abends Meldung machen.

Wir setzten uns in die Verandah, der Thür gegenüber, während die Leute
das Mauerwerk von derselben wegräumten und einer der Offiziere das Siegel
ablöste und das Vorlegeschloß aufmachte. Als die Thür geöffnet wurde, zeigte
sich ein dunkles Gemach. Nunzit und ich gingen, vom Diener des Fakirs be¬
gleitet, hinein, ein Licht wurde gebracht, und wir stiegen in eine drei Faß
unter dem Boden befindliche Zelle hinab. In derselben stand aufrecht ein
hölzerner Kasten, gegen fünf Fuß laug und vier Fuß breit, mit dachförmiger
Bedeckung und mit einem Siegel und Schloß verwahrt. Nachdem wir den¬
selben geöffnet und den Deckel abgehobe>n, erblickten wir eine Gestalt, die in
einem über dem Kopf mit einer Schnur zusammengezogenen Sack von weißer
Leinwand stak. Bei Enthüllung derselben wurden Geschütze abgefeuert, und
die außerhalb stehende Menge drängte sich neugierig an die Thür, um das
Schauspiel betrachten zu können. Nachdem Jedermann seine Neugier befriedigt,
trat der Diener des Fakirs hinzu, umschlang mit seinen Armen die in dem
Kasten liegende Gestalt, nahm sie heraus, und den Deckel des Kastens wieder
schließend legte er den Körper des Fakirs, der gleich einem Hindugötzen in
den engen Raum gezwängt worden war, mit dem Rücken auf denselben.

Runzit Sing und ich saßen in der schmalen Zelle dem Körper gegenüber
aus dem Boden. Der Diener begann jetzt warmes Wasser über den Körper
auszugießen; da ich aber den Hergang genau zu sehen und jeder Täuschung
vorzubeugen wünschte, so schlug ich vor, die Leinwand zu öffnen. Indem
ich dieß that, bemerkte ich, daß der leinene Sack sich anfühlte, als wäre er
einige Zeit begraben gewesen. Die Beine und Arme des Fakirs waren zu¬
sammengeschrumpft und steif, das Gesicht voll, der Kopf lag auf die Schulter
gelehnt, wie der einer Leiche. , Ich rief nun einen Arzt herbei, der mich be¬
gleitet hatte, damit er den Körper untersuche, und dieser vermochte weder im
Herzen, noch an den Schläfen, noch an den Armen eine Bewegung des Pulses
zu entdecken. Dagegen zeigte sich einige Wärme um Gehirn, der» einzigen
Theile des Körpers, wo solche wahrzunehmen war.

Der Diener fing jetzt an, den Leichnam mit warmem Wasser zu waschen.
Dann wurden von uns nllmählig Arme und Beine aus der unbeweglichen
Lage befreit, und Runzit ergriff sein rechtes, ich sein linkes Beur. um durch
Reibungen Leben in dieselben zu bringen. Während dieser Zeit hatte der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/345>, abgerufen am 29.12.2024.