Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

vinzen stattfand, sah man Brahmanen gierist die Reste verschlingen, welche
die Dhoms (die niedrigste Kaste) von ihrem Mahl übrig gelassen. Zu Lord
Hastuigs Zeit befände" sich gegen zwanzigtausend Leute aus Orissa, meist
höhern Kasten angehörig, in Calcutta als Dienende. Einem derselben befahl
der Generalgouvemeur eines Tages ein Waschbecken zu reinigen. Jener
weigerte sich, da er seine Kaste dadurch zu beschimpfen meinte. Hastings
drohte darauf, ihn und alle Angehörigen seiner Klasse aus der Stadt zu ver¬
weisen, und die Drohung half. Die Orissa-Leute beriethen sich und be¬
schlossen, das; jener zu gehorchen habe.

Am. strengsten halten noch die Radschputen auf das Herkommen, und es
geschieht unter ihnen nicht selten, daß sie sich das Leben nehmen, wenn ihre
Kastenpflicht verletzt worden ist. Im Jahr 1776 gingen einige Mohamme¬
daner durch ein Radschputendorf bei Baroche und warfen dabei zufällig einen
Blick in ein Haus, in dem eine alte Frau ihr Essen verzehrte. Als sie die¬
selbe essen sahen, zogen sie sich sofort zurück, aber die Alte empfand das
Unglück und den Schimpf, der ihr durch das bloße flüchtige Zusehen von
nicht zu ihrer Kaste Gehörigen bei ihrem Mahl widerfahren, so tief,
daß sie ihn nicht überleben zu dürfen meinte. Sie bat ihren Enkel, sie zu
tödten. Dieser suchte ihr vergeblich ihr Vorhaben auszureden. Als sie sich
allein sah, versuchte sie sich den Kopf an der Mauer einzuflößen. Der Enkel
fand sie bei seiner Rückkehr im furchtbarsten Zustand und in Todcsschmerzen.
Sie flehte ihn an, jetzt das Opfer an ihr zu vollzieh,,, und er gehorchte , in¬
dem er ihr den Dolch ins Herz stieß.

Wie tief das Festhalten an Recht und Ruhm der Kasten in einzelne
Kreise gedrungen ist, beweist ferner der Stamm der Bhats, der in Guzerat
und dessen Nachbarschaft lebt. Die Glieder desselben stehen im Ruf großer
Heiligkeit und sind die Barden des Volkes, die Bewahrer von Stammbäumen
und Familienüberlieferungen, vorzüglich aber die Bürgen bei Verträgen. Ist
ein Abkommen von ihnen garantirt, so glauben sich die Betreffenden in ihren
Rechten und Verpflichtungen vollkommen gesichert; denn sollte einer der con-
trahirenden Theile in der Folge den Vertrag zu brechen wagen, so kommen
die Bhats, die als Gewährsmänner gedient, mit ihren Familien zusammen
und tödten sich, ihr Blut aber fällt rächend auf den Unredlichen, der seine
Pflicht nicht erfüllt hat, und der Glaube an rhre Verwünschungen ist so all¬
gemein verbreitet, daß solche Selbstopferungen nur selten nöthig werden.

Die verachtete Klasse der Parias, die eine Klingel am Hals tragen
mußten, um den Brahmanen vor ihrer Annäherung zu warnen, findet sich
im heutigen Indien nicht mehr. Ebenso wenig herrscht noch das Gesetz, nach
welchem die Kaste der Paleahs keine Wohnung haben und von dem Brah¬
manen, der ihnen begegnete, ohne Weiteres niedergehauen werden durfte.


42*

vinzen stattfand, sah man Brahmanen gierist die Reste verschlingen, welche
die Dhoms (die niedrigste Kaste) von ihrem Mahl übrig gelassen. Zu Lord
Hastuigs Zeit befände» sich gegen zwanzigtausend Leute aus Orissa, meist
höhern Kasten angehörig, in Calcutta als Dienende. Einem derselben befahl
der Generalgouvemeur eines Tages ein Waschbecken zu reinigen. Jener
weigerte sich, da er seine Kaste dadurch zu beschimpfen meinte. Hastings
drohte darauf, ihn und alle Angehörigen seiner Klasse aus der Stadt zu ver¬
weisen, und die Drohung half. Die Orissa-Leute beriethen sich und be¬
schlossen, das; jener zu gehorchen habe.

Am. strengsten halten noch die Radschputen auf das Herkommen, und es
geschieht unter ihnen nicht selten, daß sie sich das Leben nehmen, wenn ihre
Kastenpflicht verletzt worden ist. Im Jahr 1776 gingen einige Mohamme¬
daner durch ein Radschputendorf bei Baroche und warfen dabei zufällig einen
Blick in ein Haus, in dem eine alte Frau ihr Essen verzehrte. Als sie die¬
selbe essen sahen, zogen sie sich sofort zurück, aber die Alte empfand das
Unglück und den Schimpf, der ihr durch das bloße flüchtige Zusehen von
nicht zu ihrer Kaste Gehörigen bei ihrem Mahl widerfahren, so tief,
daß sie ihn nicht überleben zu dürfen meinte. Sie bat ihren Enkel, sie zu
tödten. Dieser suchte ihr vergeblich ihr Vorhaben auszureden. Als sie sich
allein sah, versuchte sie sich den Kopf an der Mauer einzuflößen. Der Enkel
fand sie bei seiner Rückkehr im furchtbarsten Zustand und in Todcsschmerzen.
Sie flehte ihn an, jetzt das Opfer an ihr zu vollzieh,,, und er gehorchte , in¬
dem er ihr den Dolch ins Herz stieß.

Wie tief das Festhalten an Recht und Ruhm der Kasten in einzelne
Kreise gedrungen ist, beweist ferner der Stamm der Bhats, der in Guzerat
und dessen Nachbarschaft lebt. Die Glieder desselben stehen im Ruf großer
Heiligkeit und sind die Barden des Volkes, die Bewahrer von Stammbäumen
und Familienüberlieferungen, vorzüglich aber die Bürgen bei Verträgen. Ist
ein Abkommen von ihnen garantirt, so glauben sich die Betreffenden in ihren
Rechten und Verpflichtungen vollkommen gesichert; denn sollte einer der con-
trahirenden Theile in der Folge den Vertrag zu brechen wagen, so kommen
die Bhats, die als Gewährsmänner gedient, mit ihren Familien zusammen
und tödten sich, ihr Blut aber fällt rächend auf den Unredlichen, der seine
Pflicht nicht erfüllt hat, und der Glaube an rhre Verwünschungen ist so all¬
gemein verbreitet, daß solche Selbstopferungen nur selten nöthig werden.

Die verachtete Klasse der Parias, die eine Klingel am Hals tragen
mußten, um den Brahmanen vor ihrer Annäherung zu warnen, findet sich
im heutigen Indien nicht mehr. Ebenso wenig herrscht noch das Gesetz, nach
welchem die Kaste der Paleahs keine Wohnung haben und von dem Brah¬
manen, der ihnen begegnete, ohne Weiteres niedergehauen werden durfte.


42*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0341" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/112849"/>
            <p xml:id="ID_1014" prev="#ID_1013"> vinzen stattfand, sah man Brahmanen gierist die Reste verschlingen, welche<lb/>
die Dhoms (die niedrigste Kaste) von ihrem Mahl übrig gelassen. Zu Lord<lb/>
Hastuigs Zeit befände» sich gegen zwanzigtausend Leute aus Orissa, meist<lb/>
höhern Kasten angehörig, in Calcutta als Dienende. Einem derselben befahl<lb/>
der Generalgouvemeur eines Tages ein Waschbecken zu reinigen. Jener<lb/>
weigerte sich, da er seine Kaste dadurch zu beschimpfen meinte. Hastings<lb/>
drohte darauf, ihn und alle Angehörigen seiner Klasse aus der Stadt zu ver¬<lb/>
weisen, und die Drohung half. Die Orissa-Leute beriethen sich und be¬<lb/>
schlossen, das; jener zu gehorchen habe.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1015"> Am. strengsten halten noch die Radschputen auf das Herkommen, und es<lb/>
geschieht unter ihnen nicht selten, daß sie sich das Leben nehmen, wenn ihre<lb/>
Kastenpflicht verletzt worden ist. Im Jahr 1776 gingen einige Mohamme¬<lb/>
daner durch ein Radschputendorf bei Baroche und warfen dabei zufällig einen<lb/>
Blick in ein Haus, in dem eine alte Frau ihr Essen verzehrte. Als sie die¬<lb/>
selbe essen sahen, zogen sie sich sofort zurück, aber die Alte empfand das<lb/>
Unglück und den Schimpf, der ihr durch das bloße flüchtige Zusehen von<lb/>
nicht zu ihrer Kaste Gehörigen bei ihrem Mahl widerfahren, so tief,<lb/>
daß sie ihn nicht überleben zu dürfen meinte. Sie bat ihren Enkel, sie zu<lb/>
tödten. Dieser suchte ihr vergeblich ihr Vorhaben auszureden. Als sie sich<lb/>
allein sah, versuchte sie sich den Kopf an der Mauer einzuflößen. Der Enkel<lb/>
fand sie bei seiner Rückkehr im furchtbarsten Zustand und in Todcsschmerzen.<lb/>
Sie flehte ihn an, jetzt das Opfer an ihr zu vollzieh,,, und er gehorchte , in¬<lb/>
dem er ihr den Dolch ins Herz stieß.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1016"> Wie tief das Festhalten an Recht und Ruhm der Kasten in einzelne<lb/>
Kreise gedrungen ist, beweist ferner der Stamm der Bhats, der in Guzerat<lb/>
und dessen Nachbarschaft lebt. Die Glieder desselben stehen im Ruf großer<lb/>
Heiligkeit und sind die Barden des Volkes, die Bewahrer von Stammbäumen<lb/>
und Familienüberlieferungen, vorzüglich aber die Bürgen bei Verträgen. Ist<lb/>
ein Abkommen von ihnen garantirt, so glauben sich die Betreffenden in ihren<lb/>
Rechten und Verpflichtungen vollkommen gesichert; denn sollte einer der con-<lb/>
trahirenden Theile in der Folge den Vertrag zu brechen wagen, so kommen<lb/>
die Bhats, die als Gewährsmänner gedient, mit ihren Familien zusammen<lb/>
und tödten sich, ihr Blut aber fällt rächend auf den Unredlichen, der seine<lb/>
Pflicht nicht erfüllt hat, und der Glaube an rhre Verwünschungen ist so all¬<lb/>
gemein verbreitet, daß solche Selbstopferungen nur selten nöthig werden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1017" next="#ID_1018"> Die verachtete Klasse der Parias, die eine Klingel am Hals tragen<lb/>
mußten, um den Brahmanen vor ihrer Annäherung zu warnen, findet sich<lb/>
im heutigen Indien nicht mehr. Ebenso wenig herrscht noch das Gesetz, nach<lb/>
welchem die Kaste der Paleahs keine Wohnung haben und von dem Brah¬<lb/>
manen, der ihnen begegnete, ohne Weiteres niedergehauen werden durfte.</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 42*</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0341] vinzen stattfand, sah man Brahmanen gierist die Reste verschlingen, welche die Dhoms (die niedrigste Kaste) von ihrem Mahl übrig gelassen. Zu Lord Hastuigs Zeit befände» sich gegen zwanzigtausend Leute aus Orissa, meist höhern Kasten angehörig, in Calcutta als Dienende. Einem derselben befahl der Generalgouvemeur eines Tages ein Waschbecken zu reinigen. Jener weigerte sich, da er seine Kaste dadurch zu beschimpfen meinte. Hastings drohte darauf, ihn und alle Angehörigen seiner Klasse aus der Stadt zu ver¬ weisen, und die Drohung half. Die Orissa-Leute beriethen sich und be¬ schlossen, das; jener zu gehorchen habe. Am. strengsten halten noch die Radschputen auf das Herkommen, und es geschieht unter ihnen nicht selten, daß sie sich das Leben nehmen, wenn ihre Kastenpflicht verletzt worden ist. Im Jahr 1776 gingen einige Mohamme¬ daner durch ein Radschputendorf bei Baroche und warfen dabei zufällig einen Blick in ein Haus, in dem eine alte Frau ihr Essen verzehrte. Als sie die¬ selbe essen sahen, zogen sie sich sofort zurück, aber die Alte empfand das Unglück und den Schimpf, der ihr durch das bloße flüchtige Zusehen von nicht zu ihrer Kaste Gehörigen bei ihrem Mahl widerfahren, so tief, daß sie ihn nicht überleben zu dürfen meinte. Sie bat ihren Enkel, sie zu tödten. Dieser suchte ihr vergeblich ihr Vorhaben auszureden. Als sie sich allein sah, versuchte sie sich den Kopf an der Mauer einzuflößen. Der Enkel fand sie bei seiner Rückkehr im furchtbarsten Zustand und in Todcsschmerzen. Sie flehte ihn an, jetzt das Opfer an ihr zu vollzieh,,, und er gehorchte , in¬ dem er ihr den Dolch ins Herz stieß. Wie tief das Festhalten an Recht und Ruhm der Kasten in einzelne Kreise gedrungen ist, beweist ferner der Stamm der Bhats, der in Guzerat und dessen Nachbarschaft lebt. Die Glieder desselben stehen im Ruf großer Heiligkeit und sind die Barden des Volkes, die Bewahrer von Stammbäumen und Familienüberlieferungen, vorzüglich aber die Bürgen bei Verträgen. Ist ein Abkommen von ihnen garantirt, so glauben sich die Betreffenden in ihren Rechten und Verpflichtungen vollkommen gesichert; denn sollte einer der con- trahirenden Theile in der Folge den Vertrag zu brechen wagen, so kommen die Bhats, die als Gewährsmänner gedient, mit ihren Familien zusammen und tödten sich, ihr Blut aber fällt rächend auf den Unredlichen, der seine Pflicht nicht erfüllt hat, und der Glaube an rhre Verwünschungen ist so all¬ gemein verbreitet, daß solche Selbstopferungen nur selten nöthig werden. Die verachtete Klasse der Parias, die eine Klingel am Hals tragen mußten, um den Brahmanen vor ihrer Annäherung zu warnen, findet sich im heutigen Indien nicht mehr. Ebenso wenig herrscht noch das Gesetz, nach welchem die Kaste der Paleahs keine Wohnung haben und von dem Brah¬ manen, der ihnen begegnete, ohne Weiteres niedergehauen werden durfte. 42*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/341
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/341>, abgerufen am 29.12.2024.