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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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die Presse verlassen hat/) v. Orlich war einer der besten Kenner Indiens,
und wenn d-i,e Fo>rin seiner Schriften Einiges zu wünschen übrig ließ, so war
der Inhalt stets bedeutend. Dies gilt auch von gegenwärtiger Arbeit; sie
verräth, namentlich in den ersten Kapiteln , vielfach die Schwierigkeiten, die
sich dem Herausgeber bei der Ordnung des vorhandenen Materials unter be¬
stimmte Gesichtspunkte entgegenstellten, und besteht eigentlich mehr aus ein¬
zelnen lose zusammenhängenden Abhandlungen. die ihrerseits wieder zum
Theil mehr muswisch aneinander gereihte Notizen und Gedanken als syste¬
matisch verbundene Erörterungen sind. Aber der Inhalt ist in hohem Grade
interessant "und lehrreich, vieles wenig oder gar nicht Bekannte wird in Helles
Licht gorückt, eine Fülle von Beispielen belegt die einzelnen Behauptungen,
un-d wenn der Herausgeber in seiner Pietät gegen den Sammler des Ma¬
terials da, wo dieser zugleich Verfasser des Buchs War, zuweilen zu rück¬
sichtsvoll verfahren ist und -namentlich Wiederholungen nicht hinreichend ver¬
mieden hat, so hat er sich andrerseits als Vervollständiger sehr anerkennens-
werthe Verdienste erworben.
Indem wir das Werk allen Freunden der Kulturgeschichte und Völker¬
kunde angelegentlich empfehlen, lassen wir im Nachstehenden einige Auszüge
folgen, die sich zunächst auf -die gegenwärtigen Zustände des Hinduvolkes
beziehen und insofern von besonderem Interesse sind, als die Gegenwart nicht
selten mit der Vergangenheit verwechselt wird.

Denken wir bei Indien zunächst ein die seltsam strengen Kastenunterschiede
des Volkes, so wird hier nachgewiesen, daß dieselben in weiten Kreisen nicht
mehr sind, was sie waren. So treu auch die Mehrzahl -der Hindus an den
^Gesetzen und Meinungen der Väter festhielt, so haben doch die Jahrhunderte
'mit ihren großen Erschütterungen, von denen wir nur den Buddhismus, den
Einbruch der Mohammedaner und die Eroberung des Landes durch die Briten
"nennen, nicht vergeblich am Herkommen gerüttelt. Die ursprünglichen vier
Stände sind theils vernichtet, theils durch Vermischung in zahlreiche Unter¬
lasten aufgelöst worden, und nur die Brahmanen bewahren in großen Stri¬
chen noch die alten Bräuche, Neste der alten Lehre und das alte Ansehn.
Aber auch hier ist Vieles anders geworden. Das Leben dieser Volsklasse
sollte ursprünglich ein steter Gottesdienst, ein unablässiges Streben nach Hei¬
ligung durch Studium der Religionsbücher. Gebet und Büßung sein. Jetzt



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*) Indien und seine Negierung. -- Nach den vorzüglichsten Quellen und nach Handschrif>
den von Leopold von Orlich, Zweiter Band. Zweite - Abtheilung. Auch unter dem Titel:
Culturgeschichte Indiens, enthaltend Schilderungen des Kastenwesens, religiösen Lebcirs, des Volks¬
charakters, her Erziehung und Mission, der Kunst und Wissenschaft, der Regierung und Ver¬
waltung, der Producte, des Handels und der Finanzen, des Landbaues und der Reiots. Mit
VcnulMng des Nachlasses von L. v. Orlich und nach den vorzüglichsten Quellen von Dr.
Karl Böttger. Professor am Gymnasium zu Dessau. -- Leipzig, Verlag von Gustav Mayer. 1861.
Grenzboten IV. 1861. 42
die Presse verlassen hat/) v. Orlich war einer der besten Kenner Indiens,
und wenn d-i,e Fo>rin seiner Schriften Einiges zu wünschen übrig ließ, so war
der Inhalt stets bedeutend. Dies gilt auch von gegenwärtiger Arbeit; sie
verräth, namentlich in den ersten Kapiteln , vielfach die Schwierigkeiten, die
sich dem Herausgeber bei der Ordnung des vorhandenen Materials unter be¬
stimmte Gesichtspunkte entgegenstellten, und besteht eigentlich mehr aus ein¬
zelnen lose zusammenhängenden Abhandlungen. die ihrerseits wieder zum
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matisch verbundene Erörterungen sind. Aber der Inhalt ist in hohem Grade
interessant «und lehrreich, vieles wenig oder gar nicht Bekannte wird in Helles
Licht gorückt, eine Fülle von Beispielen belegt die einzelnen Behauptungen,
un-d wenn der Herausgeber in seiner Pietät gegen den Sammler des Ma¬
terials da, wo dieser zugleich Verfasser des Buchs War, zuweilen zu rück¬
sichtsvoll verfahren ist und -namentlich Wiederholungen nicht hinreichend ver¬
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werthe Verdienste erworben.
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kunde angelegentlich empfehlen, lassen wir im Nachstehenden einige Auszüge
folgen, die sich zunächst auf -die gegenwärtigen Zustände des Hinduvolkes
beziehen und insofern von besonderem Interesse sind, als die Gegenwart nicht
selten mit der Vergangenheit verwechselt wird.

Denken wir bei Indien zunächst ein die seltsam strengen Kastenunterschiede
des Volkes, so wird hier nachgewiesen, daß dieselben in weiten Kreisen nicht
mehr sind, was sie waren. So treu auch die Mehrzahl -der Hindus an den
^Gesetzen und Meinungen der Väter festhielt, so haben doch die Jahrhunderte
'mit ihren großen Erschütterungen, von denen wir nur den Buddhismus, den
Einbruch der Mohammedaner und die Eroberung des Landes durch die Briten
«nennen, nicht vergeblich am Herkommen gerüttelt. Die ursprünglichen vier
Stände sind theils vernichtet, theils durch Vermischung in zahlreiche Unter¬
lasten aufgelöst worden, und nur die Brahmanen bewahren in großen Stri¬
chen noch die alten Bräuche, Neste der alten Lehre und das alte Ansehn.
Aber auch hier ist Vieles anders geworden. Das Leben dieser Volsklasse
sollte ursprünglich ein steter Gottesdienst, ein unablässiges Streben nach Hei¬
ligung durch Studium der Religionsbücher. Gebet und Büßung sein. Jetzt



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*) Indien und seine Negierung. — Nach den vorzüglichsten Quellen und nach Handschrif>
den von Leopold von Orlich, Zweiter Band. Zweite - Abtheilung. Auch unter dem Titel:
Culturgeschichte Indiens, enthaltend Schilderungen des Kastenwesens, religiösen Lebcirs, des Volks¬
charakters, her Erziehung und Mission, der Kunst und Wissenschaft, der Regierung und Ver¬
waltung, der Producte, des Handels und der Finanzen, des Landbaues und der Reiots. Mit
VcnulMng des Nachlasses von L. v. Orlich und nach den vorzüglichsten Quellen von Dr.
Karl Böttger. Professor am Gymnasium zu Dessau. — Leipzig, Verlag von Gustav Mayer. 1861.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/339>, abgerufen am 25.08.2024.