Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Der erste Theil jenes Antrags berührte eine der wesentlichsten und in
neuerer Zeit am meisten besprochenen Fragen des Strafprocesses. Aber er
berührte sie auch nur. Wenn über irgend einen Punkt, muß man sich bei be¬
absichtigter Reform des Strafprocesses über das "Princip der Strafverfolgung"
in's Klare setzen. In dieser Beziehung tritt das System, welches die An¬
klage lediglich als ein dem Staat gebührendes und durch die Staatsanwälte
auszuübendes Recht auffaßt, in den entschiedensten Gegensatz zu demjenigen
System, welches die Anklage als Recht des Privatmanns oder der bürgerlichen
Gesellschaft ausgeübt wissen will. Es ist hier nicht der Ort, die Gründe für und
wider näher zu besprechen. Es ist bekannt, daß sowol in der juristischen
Literatur, wie in der Tagespresse darüber ziemlich heftig gestritten worden ist;
und das Ende dieses Streites, in welchem sich die größten politischen Gegen¬
sätze ausprägen, wird wol erst mit Erledigung mancher anderen Punkte sich finden.

Der Lewald'sche Antrag befürwortete nur die sogenannte substdiäre Pri¬
vatanklage. Für den Fall, daß die Staatsbehörde die Erhebung der Anklage
verweigert, wollte er dem Privatbetheiligten das Recht gewähren, die Anklage
aufzunehmen und durchzuführen. Eine Reihe von Zusatzanträgen zeigte frei¬
lich, daß man das Unzulängliche dieses stückweisen Antrags ebenso sehr, wie
die Schwäche des zur Zeit ziemlich allgemein herrschenden Grundsatzes der
Strafverfolgung, wie er aus dem französischen Recht herübergenommen worden
ist, auch von andern Seiten her fühlte. Ein Mitglied hatte geradezu bean¬
tragt, das Monopol der Staatsanwaltschaft zu beseitigen. An Veranlassung, auf
den eigentlichen Kern der Sache einzugehen, fehlte es also nicht. Indessen
zeigten schon die Anträge der ständigen Deputation/ daß die weitergehenden
Bestrebungen zu Gunsten der Privatanklage auf keinen besonders empfäng¬
lichen Boden gefallen seien. In der That erschien auch in der Abtheilung
selbst die substdiäre Anklage der Privaten als das äußerste Maaß von Con¬
cession, welches die Staatscmklage machen dürfte. Nach der ganzen Stim¬
mung war an dem Grundrecht des Staates, dre Verfolgung aller Vergehen
zu betreiben, kein Zweifel, obwol es im Interesse der Criminaljuristen wün-
schenswerth gewesen wäre, wenn der Zweifel, der bei vielen Denkenden be¬
steht und bei Vielen kein Zweifel mehr ist, sich recht stark geltend gemacht
hätte. Die Resolutionen des Juristcntags werden nur darunter leiden, wenn
sie einen Grundzug der nationalen Bestrebungen, der auch dorthin seine
Wirkungen erstreckt, nicht genugsam erkennen; aber sie werden denselben nicht
hindern, sich trotz der Autorität des Juristentags geltend zu machen.

Selbst die Berechtigung der subsidiären Privatanklagc war sehr Vielen höchst
bedenklich. Allerdings liegt schon darin ein Bruch des Princips der Staats¬
anklage und die volle Consequenz der Ansicht, weiche diese als ein Postulat
voraussetzt, heißt dagegen stimmen. Wenn dennoch, nicht ohne oft wieder-


Der erste Theil jenes Antrags berührte eine der wesentlichsten und in
neuerer Zeit am meisten besprochenen Fragen des Strafprocesses. Aber er
berührte sie auch nur. Wenn über irgend einen Punkt, muß man sich bei be¬
absichtigter Reform des Strafprocesses über das „Princip der Strafverfolgung"
in's Klare setzen. In dieser Beziehung tritt das System, welches die An¬
klage lediglich als ein dem Staat gebührendes und durch die Staatsanwälte
auszuübendes Recht auffaßt, in den entschiedensten Gegensatz zu demjenigen
System, welches die Anklage als Recht des Privatmanns oder der bürgerlichen
Gesellschaft ausgeübt wissen will. Es ist hier nicht der Ort, die Gründe für und
wider näher zu besprechen. Es ist bekannt, daß sowol in der juristischen
Literatur, wie in der Tagespresse darüber ziemlich heftig gestritten worden ist;
und das Ende dieses Streites, in welchem sich die größten politischen Gegen¬
sätze ausprägen, wird wol erst mit Erledigung mancher anderen Punkte sich finden.

Der Lewald'sche Antrag befürwortete nur die sogenannte substdiäre Pri¬
vatanklage. Für den Fall, daß die Staatsbehörde die Erhebung der Anklage
verweigert, wollte er dem Privatbetheiligten das Recht gewähren, die Anklage
aufzunehmen und durchzuführen. Eine Reihe von Zusatzanträgen zeigte frei¬
lich, daß man das Unzulängliche dieses stückweisen Antrags ebenso sehr, wie
die Schwäche des zur Zeit ziemlich allgemein herrschenden Grundsatzes der
Strafverfolgung, wie er aus dem französischen Recht herübergenommen worden
ist, auch von andern Seiten her fühlte. Ein Mitglied hatte geradezu bean¬
tragt, das Monopol der Staatsanwaltschaft zu beseitigen. An Veranlassung, auf
den eigentlichen Kern der Sache einzugehen, fehlte es also nicht. Indessen
zeigten schon die Anträge der ständigen Deputation/ daß die weitergehenden
Bestrebungen zu Gunsten der Privatanklage auf keinen besonders empfäng¬
lichen Boden gefallen seien. In der That erschien auch in der Abtheilung
selbst die substdiäre Anklage der Privaten als das äußerste Maaß von Con¬
cession, welches die Staatscmklage machen dürfte. Nach der ganzen Stim¬
mung war an dem Grundrecht des Staates, dre Verfolgung aller Vergehen
zu betreiben, kein Zweifel, obwol es im Interesse der Criminaljuristen wün-
schenswerth gewesen wäre, wenn der Zweifel, der bei vielen Denkenden be¬
steht und bei Vielen kein Zweifel mehr ist, sich recht stark geltend gemacht
hätte. Die Resolutionen des Juristcntags werden nur darunter leiden, wenn
sie einen Grundzug der nationalen Bestrebungen, der auch dorthin seine
Wirkungen erstreckt, nicht genugsam erkennen; aber sie werden denselben nicht
hindern, sich trotz der Autorität des Juristentags geltend zu machen.

Selbst die Berechtigung der subsidiären Privatanklagc war sehr Vielen höchst
bedenklich. Allerdings liegt schon darin ein Bruch des Princips der Staats¬
anklage und die volle Consequenz der Ansicht, weiche diese als ein Postulat
voraussetzt, heißt dagegen stimmen. Wenn dennoch, nicht ohne oft wieder-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0308" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/112816"/>
            <p xml:id="ID_912"> Der erste Theil jenes Antrags berührte eine der wesentlichsten und in<lb/>
neuerer Zeit am meisten besprochenen Fragen des Strafprocesses. Aber er<lb/>
berührte sie auch nur. Wenn über irgend einen Punkt, muß man sich bei be¬<lb/>
absichtigter Reform des Strafprocesses über das &#x201E;Princip der Strafverfolgung"<lb/>
in's Klare setzen. In dieser Beziehung tritt das System, welches die An¬<lb/>
klage lediglich als ein dem Staat gebührendes und durch die Staatsanwälte<lb/>
auszuübendes Recht auffaßt, in den entschiedensten Gegensatz zu demjenigen<lb/>
System, welches die Anklage als Recht des Privatmanns oder der bürgerlichen<lb/>
Gesellschaft ausgeübt wissen will. Es ist hier nicht der Ort, die Gründe für und<lb/>
wider näher zu besprechen. Es ist bekannt, daß sowol in der juristischen<lb/>
Literatur, wie in der Tagespresse darüber ziemlich heftig gestritten worden ist;<lb/>
und das Ende dieses Streites, in welchem sich die größten politischen Gegen¬<lb/>
sätze ausprägen, wird wol erst mit Erledigung mancher anderen Punkte sich finden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_913"> Der Lewald'sche Antrag befürwortete nur die sogenannte substdiäre Pri¬<lb/>
vatanklage. Für den Fall, daß die Staatsbehörde die Erhebung der Anklage<lb/>
verweigert, wollte er dem Privatbetheiligten das Recht gewähren, die Anklage<lb/>
aufzunehmen und durchzuführen. Eine Reihe von Zusatzanträgen zeigte frei¬<lb/>
lich, daß man das Unzulängliche dieses stückweisen Antrags ebenso sehr, wie<lb/>
die Schwäche des zur Zeit ziemlich allgemein herrschenden Grundsatzes der<lb/>
Strafverfolgung, wie er aus dem französischen Recht herübergenommen worden<lb/>
ist, auch von andern Seiten her fühlte. Ein Mitglied hatte geradezu bean¬<lb/>
tragt, das Monopol der Staatsanwaltschaft zu beseitigen. An Veranlassung, auf<lb/>
den eigentlichen Kern der Sache einzugehen, fehlte es also nicht. Indessen<lb/>
zeigten schon die Anträge der ständigen Deputation/ daß die weitergehenden<lb/>
Bestrebungen zu Gunsten der Privatanklage auf keinen besonders empfäng¬<lb/>
lichen Boden gefallen seien. In der That erschien auch in der Abtheilung<lb/>
selbst die substdiäre Anklage der Privaten als das äußerste Maaß von Con¬<lb/>
cession, welches die Staatscmklage machen dürfte. Nach der ganzen Stim¬<lb/>
mung war an dem Grundrecht des Staates, dre Verfolgung aller Vergehen<lb/>
zu betreiben, kein Zweifel, obwol es im Interesse der Criminaljuristen wün-<lb/>
schenswerth gewesen wäre, wenn der Zweifel, der bei vielen Denkenden be¬<lb/>
steht und bei Vielen kein Zweifel mehr ist, sich recht stark geltend gemacht<lb/>
hätte. Die Resolutionen des Juristcntags werden nur darunter leiden, wenn<lb/>
sie einen Grundzug der nationalen Bestrebungen, der auch dorthin seine<lb/>
Wirkungen erstreckt, nicht genugsam erkennen; aber sie werden denselben nicht<lb/>
hindern, sich trotz der Autorität des Juristentags geltend zu machen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_914" next="#ID_915"> Selbst die Berechtigung der subsidiären Privatanklagc war sehr Vielen höchst<lb/>
bedenklich. Allerdings liegt schon darin ein Bruch des Princips der Staats¬<lb/>
anklage und die volle Consequenz der Ansicht, weiche diese als ein Postulat<lb/>
voraussetzt, heißt dagegen stimmen. Wenn dennoch, nicht ohne oft wieder-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0308] Der erste Theil jenes Antrags berührte eine der wesentlichsten und in neuerer Zeit am meisten besprochenen Fragen des Strafprocesses. Aber er berührte sie auch nur. Wenn über irgend einen Punkt, muß man sich bei be¬ absichtigter Reform des Strafprocesses über das „Princip der Strafverfolgung" in's Klare setzen. In dieser Beziehung tritt das System, welches die An¬ klage lediglich als ein dem Staat gebührendes und durch die Staatsanwälte auszuübendes Recht auffaßt, in den entschiedensten Gegensatz zu demjenigen System, welches die Anklage als Recht des Privatmanns oder der bürgerlichen Gesellschaft ausgeübt wissen will. Es ist hier nicht der Ort, die Gründe für und wider näher zu besprechen. Es ist bekannt, daß sowol in der juristischen Literatur, wie in der Tagespresse darüber ziemlich heftig gestritten worden ist; und das Ende dieses Streites, in welchem sich die größten politischen Gegen¬ sätze ausprägen, wird wol erst mit Erledigung mancher anderen Punkte sich finden. Der Lewald'sche Antrag befürwortete nur die sogenannte substdiäre Pri¬ vatanklage. Für den Fall, daß die Staatsbehörde die Erhebung der Anklage verweigert, wollte er dem Privatbetheiligten das Recht gewähren, die Anklage aufzunehmen und durchzuführen. Eine Reihe von Zusatzanträgen zeigte frei¬ lich, daß man das Unzulängliche dieses stückweisen Antrags ebenso sehr, wie die Schwäche des zur Zeit ziemlich allgemein herrschenden Grundsatzes der Strafverfolgung, wie er aus dem französischen Recht herübergenommen worden ist, auch von andern Seiten her fühlte. Ein Mitglied hatte geradezu bean¬ tragt, das Monopol der Staatsanwaltschaft zu beseitigen. An Veranlassung, auf den eigentlichen Kern der Sache einzugehen, fehlte es also nicht. Indessen zeigten schon die Anträge der ständigen Deputation/ daß die weitergehenden Bestrebungen zu Gunsten der Privatanklage auf keinen besonders empfäng¬ lichen Boden gefallen seien. In der That erschien auch in der Abtheilung selbst die substdiäre Anklage der Privaten als das äußerste Maaß von Con¬ cession, welches die Staatscmklage machen dürfte. Nach der ganzen Stim¬ mung war an dem Grundrecht des Staates, dre Verfolgung aller Vergehen zu betreiben, kein Zweifel, obwol es im Interesse der Criminaljuristen wün- schenswerth gewesen wäre, wenn der Zweifel, der bei vielen Denkenden be¬ steht und bei Vielen kein Zweifel mehr ist, sich recht stark geltend gemacht hätte. Die Resolutionen des Juristcntags werden nur darunter leiden, wenn sie einen Grundzug der nationalen Bestrebungen, der auch dorthin seine Wirkungen erstreckt, nicht genugsam erkennen; aber sie werden denselben nicht hindern, sich trotz der Autorität des Juristentags geltend zu machen. Selbst die Berechtigung der subsidiären Privatanklagc war sehr Vielen höchst bedenklich. Allerdings liegt schon darin ein Bruch des Princips der Staats¬ anklage und die volle Consequenz der Ansicht, weiche diese als ein Postulat voraussetzt, heißt dagegen stimmen. Wenn dennoch, nicht ohne oft wieder-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/308
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/308>, abgerufen am 29.12.2024.