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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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dem der Einheit nicht getrennt werden; auch nicht von dem Juristentag. dem
hier recht eigentlich eine bedeutende politische Aufgabe gestellt ist.

Gewiß hat der Juristentag keinen Beruf, politische Erörterungen vom
Zaune zu brechen; aber Nichts kann und darf ihn, wenn er wahrhaft nützen
soll, hindern, jede Frage des Rechtszustandes bis in ihr innerstes Mark zu
verfolgen, sei es auch, daß dabei Fäden bloßgelegt werden müssen, für deren
Berührung einzelne Gönner höchst empfindlich gestimmt sind.

Erfordert es so die Ehrlichkeit und Gründlichkeit der Discussion, vor dem
politischen Charakter der Fragen nicht zurückzuschrecken, so kommt dazu ferner
als eine noch unmittelbarere Veranlassung, das politische Gebiet zu betreten,
die nothwendige Erwägung, wie das Ideal einer gemeinsamen Gesetzgebung
praktisch erreichbar sein soll. Oder soll ein Verein, der wesentlich praktische
Erfolge anstrebt, daran nicht denken? Soll der Jurist gegen die schreienden
Uebelstände, welche sich bei der seitherigen Gesetzgebung von Bundeswegen
geltend gemacht haben, taub sein? Oder soll man sich mit hoffnungs-
vollen Redensarten von großen Erfolgen, welche zu noch größeren Er¬
wartungen berechtigen, täuschen lassen? Der praktische Jurist kann doch nicht
umhin, so gut. wie andere Leute zu erkennen, daß der Weg, welcher die
Legislatur der Volksvertretung lahm legt, nicht der praktisch empfehlenswerthe
sein kann, wie dann geschieht, wenn man die Einzelstaaten in die Lage ver¬
setzt, eir divo das vom Bunde empfohlene Werk anzunehmen, oder abzulehnen,
und wenn man alle Organe entbehrt, welche eine gemeinsame Durchberathung
im Namen der Nation vornehmen könnten. Es wäre, trotz des Herrn Ge-
neralstaatsprocurators von Mainz, der sich noch nachträglich darüber ereifert,
daß man dem Bundestag ein Mißtrauensvotum ertheilt hat, unbegreiflich ge¬
wesen, wenn der Juristentag diese Frage übergangen hätte.

Ist es denn überhaupt heut zu Tage möglich, daß sich einige hundert
gebildete Männer, und nun gar zu nationaler Arbeit, versammeln, ohne daß
auch die politischen Angelegenheiten ihre Aufmerksamkeit fesseln? Sollen ge¬
rade die Juristen vermeiden, wo sich ihnen dazu Veranlassung gibt, ihre Mei¬
nung zu äußern? Etwa gar darum, weil die meisten Beamte sind, für die
sich politische Kundgebungen nicht schicken? Aus der Beamteneigenschaft folgt
doch nicht der Verzicht auf das Recht, seine Meinung auch in diesen Dingen
zu haben. Weit entfernt, sich ängstlich vor deren Ausdruck zu hüten, scheint
es selbst den Beamten, geschweige denn den unabhängigen Juristen, sehr
wohl anzustehn, wenn sie auch ihr Votum der öffentlichen Meinung zu Ge¬
bote stellen. Den Regierungen kann es, wenn sie die Wahrheit kennen wollen.


dem der Einheit nicht getrennt werden; auch nicht von dem Juristentag. dem
hier recht eigentlich eine bedeutende politische Aufgabe gestellt ist.

Gewiß hat der Juristentag keinen Beruf, politische Erörterungen vom
Zaune zu brechen; aber Nichts kann und darf ihn, wenn er wahrhaft nützen
soll, hindern, jede Frage des Rechtszustandes bis in ihr innerstes Mark zu
verfolgen, sei es auch, daß dabei Fäden bloßgelegt werden müssen, für deren
Berührung einzelne Gönner höchst empfindlich gestimmt sind.

Erfordert es so die Ehrlichkeit und Gründlichkeit der Discussion, vor dem
politischen Charakter der Fragen nicht zurückzuschrecken, so kommt dazu ferner
als eine noch unmittelbarere Veranlassung, das politische Gebiet zu betreten,
die nothwendige Erwägung, wie das Ideal einer gemeinsamen Gesetzgebung
praktisch erreichbar sein soll. Oder soll ein Verein, der wesentlich praktische
Erfolge anstrebt, daran nicht denken? Soll der Jurist gegen die schreienden
Uebelstände, welche sich bei der seitherigen Gesetzgebung von Bundeswegen
geltend gemacht haben, taub sein? Oder soll man sich mit hoffnungs-
vollen Redensarten von großen Erfolgen, welche zu noch größeren Er¬
wartungen berechtigen, täuschen lassen? Der praktische Jurist kann doch nicht
umhin, so gut. wie andere Leute zu erkennen, daß der Weg, welcher die
Legislatur der Volksvertretung lahm legt, nicht der praktisch empfehlenswerthe
sein kann, wie dann geschieht, wenn man die Einzelstaaten in die Lage ver¬
setzt, eir divo das vom Bunde empfohlene Werk anzunehmen, oder abzulehnen,
und wenn man alle Organe entbehrt, welche eine gemeinsame Durchberathung
im Namen der Nation vornehmen könnten. Es wäre, trotz des Herrn Ge-
neralstaatsprocurators von Mainz, der sich noch nachträglich darüber ereifert,
daß man dem Bundestag ein Mißtrauensvotum ertheilt hat, unbegreiflich ge¬
wesen, wenn der Juristentag diese Frage übergangen hätte.

Ist es denn überhaupt heut zu Tage möglich, daß sich einige hundert
gebildete Männer, und nun gar zu nationaler Arbeit, versammeln, ohne daß
auch die politischen Angelegenheiten ihre Aufmerksamkeit fesseln? Sollen ge¬
rade die Juristen vermeiden, wo sich ihnen dazu Veranlassung gibt, ihre Mei¬
nung zu äußern? Etwa gar darum, weil die meisten Beamte sind, für die
sich politische Kundgebungen nicht schicken? Aus der Beamteneigenschaft folgt
doch nicht der Verzicht auf das Recht, seine Meinung auch in diesen Dingen
zu haben. Weit entfernt, sich ängstlich vor deren Ausdruck zu hüten, scheint
es selbst den Beamten, geschweige denn den unabhängigen Juristen, sehr
wohl anzustehn, wenn sie auch ihr Votum der öffentlichen Meinung zu Ge¬
bote stellen. Den Regierungen kann es, wenn sie die Wahrheit kennen wollen.


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[0279] dem der Einheit nicht getrennt werden; auch nicht von dem Juristentag. dem hier recht eigentlich eine bedeutende politische Aufgabe gestellt ist. Gewiß hat der Juristentag keinen Beruf, politische Erörterungen vom Zaune zu brechen; aber Nichts kann und darf ihn, wenn er wahrhaft nützen soll, hindern, jede Frage des Rechtszustandes bis in ihr innerstes Mark zu verfolgen, sei es auch, daß dabei Fäden bloßgelegt werden müssen, für deren Berührung einzelne Gönner höchst empfindlich gestimmt sind. Erfordert es so die Ehrlichkeit und Gründlichkeit der Discussion, vor dem politischen Charakter der Fragen nicht zurückzuschrecken, so kommt dazu ferner als eine noch unmittelbarere Veranlassung, das politische Gebiet zu betreten, die nothwendige Erwägung, wie das Ideal einer gemeinsamen Gesetzgebung praktisch erreichbar sein soll. Oder soll ein Verein, der wesentlich praktische Erfolge anstrebt, daran nicht denken? Soll der Jurist gegen die schreienden Uebelstände, welche sich bei der seitherigen Gesetzgebung von Bundeswegen geltend gemacht haben, taub sein? Oder soll man sich mit hoffnungs- vollen Redensarten von großen Erfolgen, welche zu noch größeren Er¬ wartungen berechtigen, täuschen lassen? Der praktische Jurist kann doch nicht umhin, so gut. wie andere Leute zu erkennen, daß der Weg, welcher die Legislatur der Volksvertretung lahm legt, nicht der praktisch empfehlenswerthe sein kann, wie dann geschieht, wenn man die Einzelstaaten in die Lage ver¬ setzt, eir divo das vom Bunde empfohlene Werk anzunehmen, oder abzulehnen, und wenn man alle Organe entbehrt, welche eine gemeinsame Durchberathung im Namen der Nation vornehmen könnten. Es wäre, trotz des Herrn Ge- neralstaatsprocurators von Mainz, der sich noch nachträglich darüber ereifert, daß man dem Bundestag ein Mißtrauensvotum ertheilt hat, unbegreiflich ge¬ wesen, wenn der Juristentag diese Frage übergangen hätte. Ist es denn überhaupt heut zu Tage möglich, daß sich einige hundert gebildete Männer, und nun gar zu nationaler Arbeit, versammeln, ohne daß auch die politischen Angelegenheiten ihre Aufmerksamkeit fesseln? Sollen ge¬ rade die Juristen vermeiden, wo sich ihnen dazu Veranlassung gibt, ihre Mei¬ nung zu äußern? Etwa gar darum, weil die meisten Beamte sind, für die sich politische Kundgebungen nicht schicken? Aus der Beamteneigenschaft folgt doch nicht der Verzicht auf das Recht, seine Meinung auch in diesen Dingen zu haben. Weit entfernt, sich ängstlich vor deren Ausdruck zu hüten, scheint es selbst den Beamten, geschweige denn den unabhängigen Juristen, sehr wohl anzustehn, wenn sie auch ihr Votum der öffentlichen Meinung zu Ge¬ bote stellen. Den Regierungen kann es, wenn sie die Wahrheit kennen wollen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/279>, abgerufen am 23.07.2024.