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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Urtheil auch in Deutschland hat unstreitig Louis Biene's Geschichte der zehn
Jahre ausgeübt. Die lichtvolle Klarheit und Leichtigkeit, mit welcher der
Verfasser die verwickeltsten Fragen auch den, ungeübten Verstände deutlich macht,
die rücksichtslose Keckheit, mit der Cabinctsintriguen. Hofcabalen. Börsen¬
skandale aufgedeckt und besprochen werden, die Perfidie und Malice, ti.e an,
so sicherer trifft, je mehr sie sich gelegentlich unter der Maske der Schonung
und des Zweifels zu verstecken weiß, die praktische Tendenz der glänzenden
Parteischrist, die so ganz der verbitterten Stimmung der Zeit entsprach, -- alle
diese Eigenschaften verschafften dem Buche bald einen ausgedehnten und be¬
geisterten Kreis von Lesern. Daß die Streiche Louis Blanc's vorzüglich den
König, die Bourgeoisie, den ConstitutiiMlismus trafen, war eine große Em¬
pfehlung, sowohl in den Augen der Padicaicn, w,i,e d,er Feudalen, die einen
nicht unbedeutenden Theil ihres konservativen Rüstzeuges dem revolutionären
Historiker entnommen haben. Per rasche Fall der Julimonarchie, zu dem
das Buch ohne Zweifel nicht unbedeutend mitgewirkt hat, schien die Ansichten
des Verfassers glänzend zu bestätigen.

Sehr dankeiiswerth ist es daher, daß auch der bedeutendste Führer der
Gegenpartei seine gewichtige Stimme erhoben hat. Freilich ist Gujzot seiner
Stellung nach kein ganz unbefangener Beobachter. Er steht mitten im er¬
bittertsten Parteikcnnpse, ist Jahre lang der Zielpunkt des glühenden Hasses
gewesen, eines Hasses, wie ihn nur eine so energische, gebieterische, in sich
abgeschlossene Natur erregen kann. So ist es unvermeidlich, daß sein Werk
ein.n wesentlich apologetischen Charakter an sich tragen muß. Wir werden
daher seine wie alle Memoiren als Geschichtsquelle nur mit Vorsicht benutzen
dürfen, indessen doch mit der Zuversicht, daß der Verfasser von absichtlichen
Entstellungen sich fern gehalten hat. Denn nicht einen Augenblick bezweifeln
Wir, daß Guizot überall von dem Streben geleitet ist, nur die Wahrheit zu
schreiben. Mit wohlthuender Offenheit gesteht er vielfach die Fehler seiner
Politik ein, mögen dieselben durch eine habentur zwingende Macht der Um¬
stände hervorgerufen sein, oder mögen sie als falsche Consequenzen einem an
sich richtigen Princip entspringen. Trotz dieser erstrebten Gerechtigkeit und Ob¬
jektivität kann aber natürlich die Selbstkritik des Staatsmanns nicht ma߬
gebend für die Kritik des Gesichtsforschers sein, dq es. lmmöglich ist, daß in
eigner Sache Jemand sich zur Höhe absoluter Unparteilichkeit erhebt. Es
kommt noch hinzu, daß Guizot oft aus den achtungswerthesten Beweggründen
Rücksichten zu nehmen hat, die einem unumwundenen Aussprechen der vollen,
Wahrheit hinderlich sind. Die Differenzen in>t alten Freunden und frühern.
College" waren mit Zartheit und Schonung zu berühren. Die Hindernisse,
welche die persönliche Politik des Königs gelegcntkch dem Minister bereitete,
sind in der Regel nur leise angedeutet, während die Uebereinstimmung mit


Urtheil auch in Deutschland hat unstreitig Louis Biene's Geschichte der zehn
Jahre ausgeübt. Die lichtvolle Klarheit und Leichtigkeit, mit welcher der
Verfasser die verwickeltsten Fragen auch den, ungeübten Verstände deutlich macht,
die rücksichtslose Keckheit, mit der Cabinctsintriguen. Hofcabalen. Börsen¬
skandale aufgedeckt und besprochen werden, die Perfidie und Malice, ti.e an,
so sicherer trifft, je mehr sie sich gelegentlich unter der Maske der Schonung
und des Zweifels zu verstecken weiß, die praktische Tendenz der glänzenden
Parteischrist, die so ganz der verbitterten Stimmung der Zeit entsprach, — alle
diese Eigenschaften verschafften dem Buche bald einen ausgedehnten und be¬
geisterten Kreis von Lesern. Daß die Streiche Louis Blanc's vorzüglich den
König, die Bourgeoisie, den ConstitutiiMlismus trafen, war eine große Em¬
pfehlung, sowohl in den Augen der Padicaicn, w,i,e d,er Feudalen, die einen
nicht unbedeutenden Theil ihres konservativen Rüstzeuges dem revolutionären
Historiker entnommen haben. Per rasche Fall der Julimonarchie, zu dem
das Buch ohne Zweifel nicht unbedeutend mitgewirkt hat, schien die Ansichten
des Verfassers glänzend zu bestätigen.

Sehr dankeiiswerth ist es daher, daß auch der bedeutendste Führer der
Gegenpartei seine gewichtige Stimme erhoben hat. Freilich ist Gujzot seiner
Stellung nach kein ganz unbefangener Beobachter. Er steht mitten im er¬
bittertsten Parteikcnnpse, ist Jahre lang der Zielpunkt des glühenden Hasses
gewesen, eines Hasses, wie ihn nur eine so energische, gebieterische, in sich
abgeschlossene Natur erregen kann. So ist es unvermeidlich, daß sein Werk
ein.n wesentlich apologetischen Charakter an sich tragen muß. Wir werden
daher seine wie alle Memoiren als Geschichtsquelle nur mit Vorsicht benutzen
dürfen, indessen doch mit der Zuversicht, daß der Verfasser von absichtlichen
Entstellungen sich fern gehalten hat. Denn nicht einen Augenblick bezweifeln
Wir, daß Guizot überall von dem Streben geleitet ist, nur die Wahrheit zu
schreiben. Mit wohlthuender Offenheit gesteht er vielfach die Fehler seiner
Politik ein, mögen dieselben durch eine habentur zwingende Macht der Um¬
stände hervorgerufen sein, oder mögen sie als falsche Consequenzen einem an
sich richtigen Princip entspringen. Trotz dieser erstrebten Gerechtigkeit und Ob¬
jektivität kann aber natürlich die Selbstkritik des Staatsmanns nicht ma߬
gebend für die Kritik des Gesichtsforschers sein, dq es. lmmöglich ist, daß in
eigner Sache Jemand sich zur Höhe absoluter Unparteilichkeit erhebt. Es
kommt noch hinzu, daß Guizot oft aus den achtungswerthesten Beweggründen
Rücksichten zu nehmen hat, die einem unumwundenen Aussprechen der vollen,
Wahrheit hinderlich sind. Die Differenzen in>t alten Freunden und frühern.
College» waren mit Zartheit und Schonung zu berühren. Die Hindernisse,
welche die persönliche Politik des Königs gelegcntkch dem Minister bereitete,
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[0220] Urtheil auch in Deutschland hat unstreitig Louis Biene's Geschichte der zehn Jahre ausgeübt. Die lichtvolle Klarheit und Leichtigkeit, mit welcher der Verfasser die verwickeltsten Fragen auch den, ungeübten Verstände deutlich macht, die rücksichtslose Keckheit, mit der Cabinctsintriguen. Hofcabalen. Börsen¬ skandale aufgedeckt und besprochen werden, die Perfidie und Malice, ti.e an, so sicherer trifft, je mehr sie sich gelegentlich unter der Maske der Schonung und des Zweifels zu verstecken weiß, die praktische Tendenz der glänzenden Parteischrist, die so ganz der verbitterten Stimmung der Zeit entsprach, — alle diese Eigenschaften verschafften dem Buche bald einen ausgedehnten und be¬ geisterten Kreis von Lesern. Daß die Streiche Louis Blanc's vorzüglich den König, die Bourgeoisie, den ConstitutiiMlismus trafen, war eine große Em¬ pfehlung, sowohl in den Augen der Padicaicn, w,i,e d,er Feudalen, die einen nicht unbedeutenden Theil ihres konservativen Rüstzeuges dem revolutionären Historiker entnommen haben. Per rasche Fall der Julimonarchie, zu dem das Buch ohne Zweifel nicht unbedeutend mitgewirkt hat, schien die Ansichten des Verfassers glänzend zu bestätigen. Sehr dankeiiswerth ist es daher, daß auch der bedeutendste Führer der Gegenpartei seine gewichtige Stimme erhoben hat. Freilich ist Gujzot seiner Stellung nach kein ganz unbefangener Beobachter. Er steht mitten im er¬ bittertsten Parteikcnnpse, ist Jahre lang der Zielpunkt des glühenden Hasses gewesen, eines Hasses, wie ihn nur eine so energische, gebieterische, in sich abgeschlossene Natur erregen kann. So ist es unvermeidlich, daß sein Werk ein.n wesentlich apologetischen Charakter an sich tragen muß. Wir werden daher seine wie alle Memoiren als Geschichtsquelle nur mit Vorsicht benutzen dürfen, indessen doch mit der Zuversicht, daß der Verfasser von absichtlichen Entstellungen sich fern gehalten hat. Denn nicht einen Augenblick bezweifeln Wir, daß Guizot überall von dem Streben geleitet ist, nur die Wahrheit zu schreiben. Mit wohlthuender Offenheit gesteht er vielfach die Fehler seiner Politik ein, mögen dieselben durch eine habentur zwingende Macht der Um¬ stände hervorgerufen sein, oder mögen sie als falsche Consequenzen einem an sich richtigen Princip entspringen. Trotz dieser erstrebten Gerechtigkeit und Ob¬ jektivität kann aber natürlich die Selbstkritik des Staatsmanns nicht ma߬ gebend für die Kritik des Gesichtsforschers sein, dq es. lmmöglich ist, daß in eigner Sache Jemand sich zur Höhe absoluter Unparteilichkeit erhebt. Es kommt noch hinzu, daß Guizot oft aus den achtungswerthesten Beweggründen Rücksichten zu nehmen hat, die einem unumwundenen Aussprechen der vollen, Wahrheit hinderlich sind. Die Differenzen in>t alten Freunden und frühern. College» waren mit Zartheit und Schonung zu berühren. Die Hindernisse, welche die persönliche Politik des Königs gelegcntkch dem Minister bereitete, sind in der Regel nur leise angedeutet, während die Uebereinstimmung mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/220>, abgerufen am 27.12.2024.