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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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weiß: obwol man freilich auch hier bei näherem Zusehen den Mangel an
ernster Anschauung, an künstlerischer Bildung und die Absichtlichkeit der Dar¬
stellung gewahr wird. Das Tüchtigste sind unstreitig die Wandmalereien in
der Deputirtenkammer und im Luxembourg (vollendet in den 40er Jahren).
Er mußte in den allegorischen Motiven (ig, .justies, ig guerre, 1'gZrioultui-e,
l'imlustrio im Thronsaale der ersteren) eine gewisse Schranke der Bewegtheit
einhalten und vermochte doch den Gestalten durch die Beachtung der wirklichen
Form und Bewegung eine Art von Leben zu geben; auch ist die Anordnung,
an den Raum gebunden, klarer und abgerundeter als sonst. Den heiteren,
festlichen Schwung der allegorischen Bilder von Rubens, die üppige Fülle und
kräftige Anmuth seiner Menschen und Götter darf man freilich nicht erwarten,
Ansprüche auf Schönheit und Bollendung der Form auch hier nicht machen.
Auf der Kuppel der Bibliothek des Luxembourg stellte er nach Dante die Ver¬
sammlung der Dichter, Philosophen und Helden des Alterthums in einem an¬
muthigen Thale dar: hier war ihm Paul Veronese Vorbild und sein Talent
hat sich hier, durch kein absichtliches Ausschweifen einer künstlich erhitzten
Phantasie beirrt, in der einfachen Darstellung eines erhöhten menschlichen Da¬
seins schöner zu entfalten vermocht.

Das ist es eben, was bei Betrachtung aller der Bilder, welche effectvolle
Motive behandeln, geradezu abstößt: die Geschraubtheit und Absichtlichkeit
der Phantasie, welche sich in eine leidenschaftlich aufgeregte Empfindungsweise
förmlich einwühlt und Alles aufbietet, das Gemüth des Beschauers mit hinein¬
zuziehen. Bei G6ricault waren es, wie wir gesehen, seine eigene Natur und
der Sinn für die mächtige Erscheinung des leidenschaftlichen Pathos, die ihn
antrieben, den Menschen in der Aufrüttelung seiner Affecte und im Kampfe
der Verzweiflung darzustellen. Dieser naive Antrieb fehlt Delacroix und sei¬
nen Nachfolgern. Sie wollen die ungewöhnliche Empfindung und Bewegung,
weil sie ungewöhnlich ist; ihre Producte beruhen auf der Reflexion des Ge¬
gensatzes zur classischen Anschauung, ihre Kunst soll vor Allem von ihrer ab¬
sonderlichen Auffassung zeugen. Die Willkür ihrer aufgeregten Phantasie ist
für sie das einzige Gesetz, und das Talent besteht eben darin, den abenteuer¬
lichen Producten derselben durch realistische Züge den Schein des wirklichen
Daseins zu geben.. Von dem um den Beschauer unbewußten und unbeküm¬
merten Kunstwerk haben sie nicht einmal eine Ahnung mehr. Borden
Mängeln, welche sich aus dieser Auffassung der Kunst fast von selber ergeben,
war schon oben die Rede; aber auch mit den Vorzügen, dem Reichthums der
Phantasie und der Ausbildung des Colorits hat es eine eigene Bewandtnis;.
Eigentlich productiv ist die Phantasie dieser Romantiker nicht: denn ein in
sich ruhendes, erfülltes, aus sich herausgebildetes Leben wissen sie nicht zu
schaffen. Daher wenden sie sich so gerne an die Werke der Dichter, die ihnen


weiß: obwol man freilich auch hier bei näherem Zusehen den Mangel an
ernster Anschauung, an künstlerischer Bildung und die Absichtlichkeit der Dar¬
stellung gewahr wird. Das Tüchtigste sind unstreitig die Wandmalereien in
der Deputirtenkammer und im Luxembourg (vollendet in den 40er Jahren).
Er mußte in den allegorischen Motiven (ig, .justies, ig guerre, 1'gZrioultui-e,
l'imlustrio im Thronsaale der ersteren) eine gewisse Schranke der Bewegtheit
einhalten und vermochte doch den Gestalten durch die Beachtung der wirklichen
Form und Bewegung eine Art von Leben zu geben; auch ist die Anordnung,
an den Raum gebunden, klarer und abgerundeter als sonst. Den heiteren,
festlichen Schwung der allegorischen Bilder von Rubens, die üppige Fülle und
kräftige Anmuth seiner Menschen und Götter darf man freilich nicht erwarten,
Ansprüche auf Schönheit und Bollendung der Form auch hier nicht machen.
Auf der Kuppel der Bibliothek des Luxembourg stellte er nach Dante die Ver¬
sammlung der Dichter, Philosophen und Helden des Alterthums in einem an¬
muthigen Thale dar: hier war ihm Paul Veronese Vorbild und sein Talent
hat sich hier, durch kein absichtliches Ausschweifen einer künstlich erhitzten
Phantasie beirrt, in der einfachen Darstellung eines erhöhten menschlichen Da¬
seins schöner zu entfalten vermocht.

Das ist es eben, was bei Betrachtung aller der Bilder, welche effectvolle
Motive behandeln, geradezu abstößt: die Geschraubtheit und Absichtlichkeit
der Phantasie, welche sich in eine leidenschaftlich aufgeregte Empfindungsweise
förmlich einwühlt und Alles aufbietet, das Gemüth des Beschauers mit hinein¬
zuziehen. Bei G6ricault waren es, wie wir gesehen, seine eigene Natur und
der Sinn für die mächtige Erscheinung des leidenschaftlichen Pathos, die ihn
antrieben, den Menschen in der Aufrüttelung seiner Affecte und im Kampfe
der Verzweiflung darzustellen. Dieser naive Antrieb fehlt Delacroix und sei¬
nen Nachfolgern. Sie wollen die ungewöhnliche Empfindung und Bewegung,
weil sie ungewöhnlich ist; ihre Producte beruhen auf der Reflexion des Ge¬
gensatzes zur classischen Anschauung, ihre Kunst soll vor Allem von ihrer ab¬
sonderlichen Auffassung zeugen. Die Willkür ihrer aufgeregten Phantasie ist
für sie das einzige Gesetz, und das Talent besteht eben darin, den abenteuer¬
lichen Producten derselben durch realistische Züge den Schein des wirklichen
Daseins zu geben.. Von dem um den Beschauer unbewußten und unbeküm¬
merten Kunstwerk haben sie nicht einmal eine Ahnung mehr. Borden
Mängeln, welche sich aus dieser Auffassung der Kunst fast von selber ergeben,
war schon oben die Rede; aber auch mit den Vorzügen, dem Reichthums der
Phantasie und der Ausbildung des Colorits hat es eine eigene Bewandtnis;.
Eigentlich productiv ist die Phantasie dieser Romantiker nicht: denn ein in
sich ruhendes, erfülltes, aus sich herausgebildetes Leben wissen sie nicht zu
schaffen. Daher wenden sie sich so gerne an die Werke der Dichter, die ihnen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/190>, abgerufen am 28.12.2024.