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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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sehen und realistischen Bestrebungen ruhig und fest ihren Weg. Nicht daß in
ihr die Kunst des Zeitalters überhaupt ihr eigenthümliches Gepräge erhalten
Hütte; die Anschauung, welcher G6ricault Bahn gebrochen, kam den ästhetischen
Bedürfnissen der Zeit mehr entgegen, und sie war es, welche der Kunst der
zwanziger und dreißiger Jahre den bezeichnenden Charakter gab. Aber die
ideale und stylvolle Auffassung Ingres' behauptete sich in seinen Schülern und
den verwandten Meistern selbst dann noch, als eine neue Entwickelungsphase
der Kunst beide Richtungen zu vereinigen strebte. Sein Einfluß wirkte fort
und erstreckte sich fast bis in die jüngste Gegenwart; und so bedeutend ist der
Erfolg einer bestimmten und tüchtigen Kunstbildung, daß sich seine Einwirkung
im Verlaufe der modernen Malerei stetig verfolgen läßt, während diejenige
der übrigen schulebildenden Meister in der Zerstreuung und Zersplitterung der
jetzigen Kunst nur schwer zu entdecken ist.

Es lag freilich in den Verhältnissen und in der Natur der Anschauung,
Weichesich Ingres gebildet hatte, daß derselbe nur seine Ansfassungs- und Behand-
lungsweise in den Schülern aufkommen lassen konnte. Er war darin als
Lehrer der Gegensatz zu David. Schon die Stellung, die er zu seinem Zeit¬
alter einnahm, brachte das mit sich. David war, so lange er in Paris wirkte,
der unumschränkte Gebieter aus dem Felde der Kunst: er ließ auch die ihm
fremdartige Eigenthümlichkeit des Schülers um so bereitwilliger sich entwickeln,
als den Stempel seines Einflusses im Großen und Ganzen doch alle Werke
der Zeit trugen. Ingres aber stand mit seiner Richtung in offenem Wider¬
streite einer andern gegenüber; wer nicht mit ihm ging, mußte gegen ihn sein,
wer ihm nicht folgen konnte oder wollte, Ueberläufer werden. Seine Kunst
war kein naives, um das Draußen unbekümmertes Schaffen; sie befand sich
im bewußten Gegensatz der strengen Bildung zu einer regellosen Willkür, welche
vor Allem dem freien Spiel der Natur folgen zu wollen erklärte, sie war.
während sie positiv wirkte, immer zugleich ein entschiedenes Abwehren. Ingres
erwartete und verlangte vom Schüler ein unbedingtes Eingehen auf seine
Kunstweise; so bekannte sich Jeder, der zu ihm hielt, ohne allen Rückhalt zu
seiner Anschauung, und auf seine echten Schüler ging mit dem strengen Sinn
für die Form zugleich die ideale Richtung seines ernsten, von der Würde der
Kunst ganz durchdrungenen Geistes über.

Dem Meister am nächsten und mit ihm in seinen besten Werken aus
gleicher Höhe steht Hippolvte Flandrin. So tief hat sich dieser in die
Weise Ingres' eingelebt, daß es auf den ersten Anblick scheinen möchte, wie
wenn er seine Individualität ausgegeben oder gleichsam gegen die des Lehrers
ausgetauscht hätte. Aber es war vielmehr in dem Schüler dieselbe Anlage
des Geistes, die unter einer solchen Leitung wie von selber den gleichen Weg
einschlug. Und so fehlte auch dem Künstler, da er von seinem eigenen Inneren


sehen und realistischen Bestrebungen ruhig und fest ihren Weg. Nicht daß in
ihr die Kunst des Zeitalters überhaupt ihr eigenthümliches Gepräge erhalten
Hütte; die Anschauung, welcher G6ricault Bahn gebrochen, kam den ästhetischen
Bedürfnissen der Zeit mehr entgegen, und sie war es, welche der Kunst der
zwanziger und dreißiger Jahre den bezeichnenden Charakter gab. Aber die
ideale und stylvolle Auffassung Ingres' behauptete sich in seinen Schülern und
den verwandten Meistern selbst dann noch, als eine neue Entwickelungsphase
der Kunst beide Richtungen zu vereinigen strebte. Sein Einfluß wirkte fort
und erstreckte sich fast bis in die jüngste Gegenwart; und so bedeutend ist der
Erfolg einer bestimmten und tüchtigen Kunstbildung, daß sich seine Einwirkung
im Verlaufe der modernen Malerei stetig verfolgen läßt, während diejenige
der übrigen schulebildenden Meister in der Zerstreuung und Zersplitterung der
jetzigen Kunst nur schwer zu entdecken ist.

Es lag freilich in den Verhältnissen und in der Natur der Anschauung,
Weichesich Ingres gebildet hatte, daß derselbe nur seine Ansfassungs- und Behand-
lungsweise in den Schülern aufkommen lassen konnte. Er war darin als
Lehrer der Gegensatz zu David. Schon die Stellung, die er zu seinem Zeit¬
alter einnahm, brachte das mit sich. David war, so lange er in Paris wirkte,
der unumschränkte Gebieter aus dem Felde der Kunst: er ließ auch die ihm
fremdartige Eigenthümlichkeit des Schülers um so bereitwilliger sich entwickeln,
als den Stempel seines Einflusses im Großen und Ganzen doch alle Werke
der Zeit trugen. Ingres aber stand mit seiner Richtung in offenem Wider¬
streite einer andern gegenüber; wer nicht mit ihm ging, mußte gegen ihn sein,
wer ihm nicht folgen konnte oder wollte, Ueberläufer werden. Seine Kunst
war kein naives, um das Draußen unbekümmertes Schaffen; sie befand sich
im bewußten Gegensatz der strengen Bildung zu einer regellosen Willkür, welche
vor Allem dem freien Spiel der Natur folgen zu wollen erklärte, sie war.
während sie positiv wirkte, immer zugleich ein entschiedenes Abwehren. Ingres
erwartete und verlangte vom Schüler ein unbedingtes Eingehen auf seine
Kunstweise; so bekannte sich Jeder, der zu ihm hielt, ohne allen Rückhalt zu
seiner Anschauung, und auf seine echten Schüler ging mit dem strengen Sinn
für die Form zugleich die ideale Richtung seines ernsten, von der Würde der
Kunst ganz durchdrungenen Geistes über.

Dem Meister am nächsten und mit ihm in seinen besten Werken aus
gleicher Höhe steht Hippolvte Flandrin. So tief hat sich dieser in die
Weise Ingres' eingelebt, daß es auf den ersten Anblick scheinen möchte, wie
wenn er seine Individualität ausgegeben oder gleichsam gegen die des Lehrers
ausgetauscht hätte. Aber es war vielmehr in dem Schüler dieselbe Anlage
des Geistes, die unter einer solchen Leitung wie von selber den gleichen Weg
einschlug. Und so fehlte auch dem Künstler, da er von seinem eigenen Inneren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/177>, abgerufen am 23.07.2024.