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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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füllung dieser Bedingungen ist der Begriff des Rechts noch ein unvollständiger
und unwürdiger. Nun fordert aber jener Zweck als seine unumgängliche
äußere Bedingung eine mannigfach gegliederte Culturfähigkeit der Einzelnen
für alle die verschiedenen Seiten, die in ihm enthalten sind. Also hat von
Natur Jeder (denn'das Rechtsgesetz ist seiner Natur nach allgemein und ohne
Ausnahme) die rechtliche Berufspflicht zu einer Thätigkeit, die organisch er¬
gänzend mit den übrigen Zweigen der Culturthätigkeit zusammengreift. Und
da die volle berufsmäßige Ausbildung und Wirksamkeit ihrer Natur nach nur
im gegenseitigen fordernden Zusammenwirken der Berufsgenossen möglich ist,
so vollzieht sich auch jene natürliche Rechtspflicht erst im Eintritt in eine durch
die ganze Gemeinschaft, durch die ganze Nation hindurchgreifende und mittelst
einer gegliederten Vertretung sich zusammenfassende Genossenschaft des be¬
stimmten Berufszweiges. In diesem organisch verzweigten Berufsleben der
verschiedenen Genossenschaften (der Berufsstände) und in ihrer hierauf bezüg¬
lichen Selbstverwaltung liegt also die wahre rechtliche Grundlage des ganzen
Volkslebens, die eigentliche Wurzel, aus welcher die ganze inhaltsreiche Ord¬
nung des Staates entspringen und die auch für die locale Besonderheit seiner
Gebiete, für Gemeinde und Provinz und deren Stellung, das ursprünglich
Maßgebende sein soll. Und hierin haben wir also das vollständige rechtliche
Abbild dessen, was der Dichter in den Wanderjahren zunächst nur in der sitt¬
lichen Form eines freien Privatbundes der betreffenden Genossen darge¬
stellt hat.

Sehen wir jetzt zunächst, ehe wir weiter gehen, wie zu diesem Ziele, auf
das ebenso der volle wissenschaftliche Begriff, wie das Vorbild unserer Dich¬
tung uns hinweist, die unmittelbare Gegenwart mit ihrem industriellen Streben
sich verhält.

Wenn man sieht, wie die Gegenwart so ganz bestimmten und greifbaren,
unmittelbar praktischen Bestrebungen und Fragen zugewendet ist, wie der
Volkswohlstand durch gesteigerte industrielle Thätigkeit und Ausbildung sich zu
heben strebt, wie das politische Leben vor Allem durch die nächsten nationalen
Aufgaben beherrscht und in Anspruch genommen ist, wie auch in der Wissen¬
schaft die reellen und thatsächlichen Erscheinungen der Natur und Geschichte
es sind, welche die Forschung beschäftigen, so mag man mit Recht glauben,
die Zeit der unfruchtbaren grauen Theorie liege hinter uns, die der lebendigen
Praktischen Bethätigung sei endlich angebrochen. Allein halten wir uns auch
um zunächst an den Stand unserer bürgerlichen Entwicklung und- sehen von
dem der wissenschaftlichen, religiösen u. s. w. ab, so erscheint es doch als eine
Thorheit zu glauben, wir hätten die allgemeinen socialen Probleme schon
hinter uns. wir seien schon unmittelbar auf dem Wege der letzten praktischen
Abhilfe. Das allerdings scheinen wir gewonnen zu haben, daß die verderb-


füllung dieser Bedingungen ist der Begriff des Rechts noch ein unvollständiger
und unwürdiger. Nun fordert aber jener Zweck als seine unumgängliche
äußere Bedingung eine mannigfach gegliederte Culturfähigkeit der Einzelnen
für alle die verschiedenen Seiten, die in ihm enthalten sind. Also hat von
Natur Jeder (denn'das Rechtsgesetz ist seiner Natur nach allgemein und ohne
Ausnahme) die rechtliche Berufspflicht zu einer Thätigkeit, die organisch er¬
gänzend mit den übrigen Zweigen der Culturthätigkeit zusammengreift. Und
da die volle berufsmäßige Ausbildung und Wirksamkeit ihrer Natur nach nur
im gegenseitigen fordernden Zusammenwirken der Berufsgenossen möglich ist,
so vollzieht sich auch jene natürliche Rechtspflicht erst im Eintritt in eine durch
die ganze Gemeinschaft, durch die ganze Nation hindurchgreifende und mittelst
einer gegliederten Vertretung sich zusammenfassende Genossenschaft des be¬
stimmten Berufszweiges. In diesem organisch verzweigten Berufsleben der
verschiedenen Genossenschaften (der Berufsstände) und in ihrer hierauf bezüg¬
lichen Selbstverwaltung liegt also die wahre rechtliche Grundlage des ganzen
Volkslebens, die eigentliche Wurzel, aus welcher die ganze inhaltsreiche Ord¬
nung des Staates entspringen und die auch für die locale Besonderheit seiner
Gebiete, für Gemeinde und Provinz und deren Stellung, das ursprünglich
Maßgebende sein soll. Und hierin haben wir also das vollständige rechtliche
Abbild dessen, was der Dichter in den Wanderjahren zunächst nur in der sitt¬
lichen Form eines freien Privatbundes der betreffenden Genossen darge¬
stellt hat.

Sehen wir jetzt zunächst, ehe wir weiter gehen, wie zu diesem Ziele, auf
das ebenso der volle wissenschaftliche Begriff, wie das Vorbild unserer Dich¬
tung uns hinweist, die unmittelbare Gegenwart mit ihrem industriellen Streben
sich verhält.

Wenn man sieht, wie die Gegenwart so ganz bestimmten und greifbaren,
unmittelbar praktischen Bestrebungen und Fragen zugewendet ist, wie der
Volkswohlstand durch gesteigerte industrielle Thätigkeit und Ausbildung sich zu
heben strebt, wie das politische Leben vor Allem durch die nächsten nationalen
Aufgaben beherrscht und in Anspruch genommen ist, wie auch in der Wissen¬
schaft die reellen und thatsächlichen Erscheinungen der Natur und Geschichte
es sind, welche die Forschung beschäftigen, so mag man mit Recht glauben,
die Zeit der unfruchtbaren grauen Theorie liege hinter uns, die der lebendigen
Praktischen Bethätigung sei endlich angebrochen. Allein halten wir uns auch
um zunächst an den Stand unserer bürgerlichen Entwicklung und- sehen von
dem der wissenschaftlichen, religiösen u. s. w. ab, so erscheint es doch als eine
Thorheit zu glauben, wir hätten die allgemeinen socialen Probleme schon
hinter uns. wir seien schon unmittelbar auf dem Wege der letzten praktischen
Abhilfe. Das allerdings scheinen wir gewonnen zu haben, daß die verderb-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/137>, abgerufen am 23.07.2024.