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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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erheblichem Nutzen ist es unter Anderm, daß in Deutschland nachgerade Jeder¬
mann im Volke einsieht, daß einer Theuerung der Lebensmittel nicht abgeholfen
wird, wenn man die Ausfuhr sperrt, die Bäckerladen stürmt und die Korn¬
wucherer todtschlägt. Es ist noch nicht sehr lange her. und man braucht noch
nicht sehr alt zu sein, um sich zu erinnern, wie, um einer Hungersnoth zu
steuern, Maßregeln ergriffen wurden, die geeignet waren, sie herbeizuführen
oder doch zu verschlimmern; wie selbst Regierungen, gegen ihre bessere Ueber¬
zeugung, den Vorurtheilen des Volkes bis zu einem gewissen Grade nachgeben
zu müssen glaubten; denn veutrv a,l?Am6 u'a. pg,s et'oreilles. Heut zu Tage
verschließt sich die Menge nicht mehr der Erwägung, daß das Getreide im
Preise steigen muß, wenn weniger gewachsen ist. daß die höheren Preise den
Verbrauch auf den nothwendigen Bedarf beschränken, folglich dem Mangel
entgegen wirken, daß der Ausfall zeitig zu ermitteln und nur der freie Ver¬
kehr im Stande ist, das Fehlende herbeizuschaffen. Demgemäß wird gegen¬
wärtig in den meisten Culturländern verfahren, nur die päpstliche Regierung
scheint noch nicht zu wissen, daß der Handel nicht gern in eine Mausefalle
geht, und hat deshalb zwar die freie Einfuhr gestattet, aber die Ausfuhr
verboten.

So ist der Sieg unbestreitbarer und, wie man heute denkt, einfach und
offen auf der Hand, liegender Wahrheiten über blinde, dem Interesse ihrer
Träger geradezu nachtheilige Vorurtheile schon ein hoch anzuschlagendes Er-
gebniß der Bemühungen für die Verbreitung volkswirthschaftlicher Kenntnisse.
Noch verdienstlicher aber ist der Kampf gegen Principien und Einrichtungen,
die zwar von der Wissenschaft ebenso von Rechts wegen verurtheilt sind, die
aber, obgleich dem Gemeinwohle schädlich, doch eine Menge von Sonder¬
interessen geschaffen haben, welche fest an ihnen halten. Dahin gehören die
alten Verfassungen der Gewerbe und der Zollschutz für ihre Erzeugnisse.
Während der Bewohner eines großen Nachbarlandes sich an jedem beliebigen
Orte niederlassen, jedes ehrliche Gewerbe treiben darf, heute dieses, morgen
jenes, wenn er nur die gesetzliche Steuer bezahlt, und während dieses Recht
der freien Bewegung und Thätigkeit nicht nur dem Einheimischen, sondern
auch dem Fremden zusteht, wird in einem andern, uns näher liegenden Staate
der Vorschlag, nicht etwa für so schrankenlose Freiheit, sondern nur für einige
Erweiterung der Schranken des Gewerbebetriebs, von den Vertretern des
Volkes abgelehnt. Und während in einem andern großen Handelsstaate Ein¬
fuhrzölle nur noch als Verbrauchsteuern von wenigen ausländischen Artikeln,
und soweit sie mit inländischen concurriren, nur mit dem gleichen Betrage der
auf diesen ruhenden Steuer erhoben werden, überrumpelt in einem gleichfalls
näher liegenden Lande eine Schaar von Garnspinnern eine harmlose Ver¬
sammlung, um zu verhindern, daß sie ihre Ansicht ausspreche, -- nicht etwa


erheblichem Nutzen ist es unter Anderm, daß in Deutschland nachgerade Jeder¬
mann im Volke einsieht, daß einer Theuerung der Lebensmittel nicht abgeholfen
wird, wenn man die Ausfuhr sperrt, die Bäckerladen stürmt und die Korn¬
wucherer todtschlägt. Es ist noch nicht sehr lange her. und man braucht noch
nicht sehr alt zu sein, um sich zu erinnern, wie, um einer Hungersnoth zu
steuern, Maßregeln ergriffen wurden, die geeignet waren, sie herbeizuführen
oder doch zu verschlimmern; wie selbst Regierungen, gegen ihre bessere Ueber¬
zeugung, den Vorurtheilen des Volkes bis zu einem gewissen Grade nachgeben
zu müssen glaubten; denn veutrv a,l?Am6 u'a. pg,s et'oreilles. Heut zu Tage
verschließt sich die Menge nicht mehr der Erwägung, daß das Getreide im
Preise steigen muß, wenn weniger gewachsen ist. daß die höheren Preise den
Verbrauch auf den nothwendigen Bedarf beschränken, folglich dem Mangel
entgegen wirken, daß der Ausfall zeitig zu ermitteln und nur der freie Ver¬
kehr im Stande ist, das Fehlende herbeizuschaffen. Demgemäß wird gegen¬
wärtig in den meisten Culturländern verfahren, nur die päpstliche Regierung
scheint noch nicht zu wissen, daß der Handel nicht gern in eine Mausefalle
geht, und hat deshalb zwar die freie Einfuhr gestattet, aber die Ausfuhr
verboten.

So ist der Sieg unbestreitbarer und, wie man heute denkt, einfach und
offen auf der Hand, liegender Wahrheiten über blinde, dem Interesse ihrer
Träger geradezu nachtheilige Vorurtheile schon ein hoch anzuschlagendes Er-
gebniß der Bemühungen für die Verbreitung volkswirthschaftlicher Kenntnisse.
Noch verdienstlicher aber ist der Kampf gegen Principien und Einrichtungen,
die zwar von der Wissenschaft ebenso von Rechts wegen verurtheilt sind, die
aber, obgleich dem Gemeinwohle schädlich, doch eine Menge von Sonder¬
interessen geschaffen haben, welche fest an ihnen halten. Dahin gehören die
alten Verfassungen der Gewerbe und der Zollschutz für ihre Erzeugnisse.
Während der Bewohner eines großen Nachbarlandes sich an jedem beliebigen
Orte niederlassen, jedes ehrliche Gewerbe treiben darf, heute dieses, morgen
jenes, wenn er nur die gesetzliche Steuer bezahlt, und während dieses Recht
der freien Bewegung und Thätigkeit nicht nur dem Einheimischen, sondern
auch dem Fremden zusteht, wird in einem andern, uns näher liegenden Staate
der Vorschlag, nicht etwa für so schrankenlose Freiheit, sondern nur für einige
Erweiterung der Schranken des Gewerbebetriebs, von den Vertretern des
Volkes abgelehnt. Und während in einem andern großen Handelsstaate Ein¬
fuhrzölle nur noch als Verbrauchsteuern von wenigen ausländischen Artikeln,
und soweit sie mit inländischen concurriren, nur mit dem gleichen Betrage der
auf diesen ruhenden Steuer erhoben werden, überrumpelt in einem gleichfalls
näher liegenden Lande eine Schaar von Garnspinnern eine harmlose Ver¬
sammlung, um zu verhindern, daß sie ihre Ansicht ausspreche, — nicht etwa


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/12>, abgerufen am 23.07.2024.