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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Regierung verlangt Steuern, die Magistrate erklären es für Landesverrat!), sie
zu entrichten. Man schickt Execution, und alle Welt schreit über diese "sündhaften
Attentate hungriger Söldlinge, bewaffneter Blutsauger," und Comitate erklären,
endlich nicht mehr "hochherzig gegen ihren fremden Tyrannen" verfahren zu kön¬
nen. Die Opposition gegen Oestreich ist aus dem Stadium des Rechts¬
streites bereits in den der zügellosen Leidenschaftlichkeit übergetreten, und das
.Häuflein der Verständigen, die Anhänger Death, trauern über diese Wendung;
denn sie sehen ein schlimmes Ende voraus. Ungarn verscherzt sich die Sym¬
pathie der liberalen Partei in Europa, weiche es früher besaß und welche
ihm eine große moralische Kraft gab.

Die Stichwörter der Parteien sind bekannt: Selbständigkeit Ungarns,
eigne Minister, besonders für Finanzen und Militär und Auswärtiges. For¬
mell und materiell lassen sich diese Forderungen begründen, nicht aber politisch.
Auch weiß man recht gut. daß sie sich nur mit Gewalt erzwingen lassen, mit
italienischer und französischer Hilfe. Die Selbstüberschätzung der Magya¬
ren läßt sie glauben, daß die Politik Europas sich nur um die Befreiung
Ungarns drehe. Dies ist förmlicher Fatalismus; denn selbst Männer von
ruhigem, kaltem Urtheil verlieren alle logische Denkkraft, wenn von Ungarns
Rechten und seiner Zukunft die Rede ist. Daß Oestreich, ohne sich selbst
aufzugeben, auf solche Forderungen nicht eingehen kann, daß ein großes Oest¬
reich den meisten übrigen Großstaaten wichtiger ist als ein Ungarn mit un¬
zufriedenen Nationen, wollen nur Wenige begreifen, und diese haben nicht die
lauteste Stimme. Allem Anschein nach werden die Waffen die Frage entschei¬
den und Oestreich über kurz oder lang wieder die Regierung in die Hand
nehmen, und dann wird es mit der jungen Konstitution der Gesammtmonar-
chie wahrscheinlich bis auf Weiteres zu Ende sein.

Eine eigenthümliche Stellung nimmt der Adel ein. Er ist der intelli¬
gente, und in gewissem Grade der liberalste Theil der Bevölkerung. Auf
seinen Gütern hat er rationelle Ackerwirthschaft eingeführt, Maschinen in Ge¬
brauch gebracht, die Schafzucht veredelt, landwirtschaftliche Fabriken angelegt.
Alle großartigen Unternehmungen, z. B. der Bau der Kettenbrücke, die Donau-
Dampfschifffahrtsgeftllschast. Assecuranzen. landwirtschaftliche Vereine hat er
in's Leben gerufen, die gelehrte Akademie ist sein Werk, und ein großer Theil
ihrer Mitglieder sind Magnaten. Pesth verdankt seine Verschönerung dem
Adel. Es gibt nichts Großes, was nicht von dem Adel veranlaßt wäre;
derselbe ist im vollen Sinne des Wortes der Führer des Volkes, er steht an
der Spitze der Parteien, er gibt bei kritischen Verhältnissen sein Votum,
und danach regulirt sich die öffentliche Meinung. Daher ist der Adel aber
auch sehr populär, jeder Ungar kennt die Schicksale und Genealogie seiner
Magnaten; sie stellt er überall voran, jedes Fest muß der reichgeschmückte


Regierung verlangt Steuern, die Magistrate erklären es für Landesverrat!), sie
zu entrichten. Man schickt Execution, und alle Welt schreit über diese „sündhaften
Attentate hungriger Söldlinge, bewaffneter Blutsauger," und Comitate erklären,
endlich nicht mehr „hochherzig gegen ihren fremden Tyrannen" verfahren zu kön¬
nen. Die Opposition gegen Oestreich ist aus dem Stadium des Rechts¬
streites bereits in den der zügellosen Leidenschaftlichkeit übergetreten, und das
.Häuflein der Verständigen, die Anhänger Death, trauern über diese Wendung;
denn sie sehen ein schlimmes Ende voraus. Ungarn verscherzt sich die Sym¬
pathie der liberalen Partei in Europa, weiche es früher besaß und welche
ihm eine große moralische Kraft gab.

Die Stichwörter der Parteien sind bekannt: Selbständigkeit Ungarns,
eigne Minister, besonders für Finanzen und Militär und Auswärtiges. For¬
mell und materiell lassen sich diese Forderungen begründen, nicht aber politisch.
Auch weiß man recht gut. daß sie sich nur mit Gewalt erzwingen lassen, mit
italienischer und französischer Hilfe. Die Selbstüberschätzung der Magya¬
ren läßt sie glauben, daß die Politik Europas sich nur um die Befreiung
Ungarns drehe. Dies ist förmlicher Fatalismus; denn selbst Männer von
ruhigem, kaltem Urtheil verlieren alle logische Denkkraft, wenn von Ungarns
Rechten und seiner Zukunft die Rede ist. Daß Oestreich, ohne sich selbst
aufzugeben, auf solche Forderungen nicht eingehen kann, daß ein großes Oest¬
reich den meisten übrigen Großstaaten wichtiger ist als ein Ungarn mit un¬
zufriedenen Nationen, wollen nur Wenige begreifen, und diese haben nicht die
lauteste Stimme. Allem Anschein nach werden die Waffen die Frage entschei¬
den und Oestreich über kurz oder lang wieder die Regierung in die Hand
nehmen, und dann wird es mit der jungen Konstitution der Gesammtmonar-
chie wahrscheinlich bis auf Weiteres zu Ende sein.

Eine eigenthümliche Stellung nimmt der Adel ein. Er ist der intelli¬
gente, und in gewissem Grade der liberalste Theil der Bevölkerung. Auf
seinen Gütern hat er rationelle Ackerwirthschaft eingeführt, Maschinen in Ge¬
brauch gebracht, die Schafzucht veredelt, landwirtschaftliche Fabriken angelegt.
Alle großartigen Unternehmungen, z. B. der Bau der Kettenbrücke, die Donau-
Dampfschifffahrtsgeftllschast. Assecuranzen. landwirtschaftliche Vereine hat er
in's Leben gerufen, die gelehrte Akademie ist sein Werk, und ein großer Theil
ihrer Mitglieder sind Magnaten. Pesth verdankt seine Verschönerung dem
Adel. Es gibt nichts Großes, was nicht von dem Adel veranlaßt wäre;
derselbe ist im vollen Sinne des Wortes der Führer des Volkes, er steht an
der Spitze der Parteien, er gibt bei kritischen Verhältnissen sein Votum,
und danach regulirt sich die öffentliche Meinung. Daher ist der Adel aber
auch sehr populär, jeder Ungar kennt die Schicksale und Genealogie seiner
Magnaten; sie stellt er überall voran, jedes Fest muß der reichgeschmückte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/76>, abgerufen am 22.12.2024.