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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Bedürfniß nach einem Umschwung in echt malerischem Sinne nicht so mäch¬
tig, daß es so bald eine Reaction herbeigeführt hätte. Die Erstarrung in
einem akademischen Formalismus sollte seltsamerweise vielmehr in einer an¬
deren Schule eintreten, in der Regnault's, und hier einen Umschlag herbei¬
führen. Der Richtung und dem Einfluß Davids hatten sich die Zeitgenossen
überhaupt nicht entziehen können, auch die Schüler Regnault's und Vincent's
folgten mehr oder minder seiner Weise.

Vor Allem Pierre Guerin (1744--1833), Schüler des Ersteren. Er
stellte im Jahre 1789 seinen Marcus Sextus aus: dieser, den Proscriptionen
Sullas entgangen, findet bei seiner Heimkehr seine Tochter in Thränen neben
dem Leichnam seiner Gattin. Das Bild, -- jedenfalls Guvrins bestes Werk
-- hatte den glänzendsten Erfolg: man sah darin eine Anspielung auf das
Schicksal der Emigrirten, man fand den Ausdruck einer heftigen, leidenschaft¬
lichen Größe, man rühmte außerdem die anatomische Richtigkeit der Zeich¬
nung. Wie wenig es ihm damit Ernst war, geht daraus hervor, daß sein
Marcus Sextus zuerst ein Belisar gewesen: er öffnete diesem auf den Rath
eines Freundes die Augen und gab dem Bilde die neue Bezeichnung. In
den folgenden Werken erreichte denn auch die theatralische Manier, welche in
dieser classischen Richtung immer mehr hervortrat, ihren Gipfel; kein Wun¬
der, da die Stoffe meistens aus Ragine entnommen und nach den Eindrücken
des Schauspiels aufgefaßt waren (in "Hypolit und Phädra" erinnerte die
Letztere an die Schauspielerin Duchesnois. in "Andromache und Pyrrhus"
der Orestes an Talma). So tief war die classische Kunst heruntergekommen,
daß sie sich am liMtre ü'imcMs inspirirte! Wenn auch in den spätern
Werken "Dido hört der Erzählung des Aeneas zu" und "Klytemnestra vor
der Ermordung Agamenmons" eine mehr einfache und wahre Empfindung,
in dem ersteren eine stimmungsvolle Anordnung und ein schöner Lichtton, in
dem letzteren ein gewisser Ernst der Leidenschaft war. so hatte doch im Gan¬
zen diese Malerei, in der Regel des akademischen Formenwesens erstarrt, ihre
Lebensfähigkeit verloren. Auch Gusrin bildete eine Schule; und grade in
dieser erfolgte der romantische und realistische Umschlag gegen die classische
Periode: aus ihr gingen G6ricault, Delacroix und Scheffer hervor.

David beherrschte, wie wir gesehen, die ganze Kunst seines Zeitalters;
nur ein Maler ging neben ihm seinen eigenthümlichen Weg: Pierre Paul
Prud'hon (1758--1323). Er war der einzige Colorist der Zeit; diese zog
ihr ästhetisches Interesse vielmehr zur Form, und so ist er eigentlich ohne
Nachwirkung und ohne Schüler geblieben. Sein Talent bewährte sich beson¬
ders in anmuthigen Darstellungen zarter Motive ("Psyche von Zephyren ent¬
führt" und "Zephyr über der Quelle sich schaukelnd"; die gewaltsame Bewe¬
gung, wie in dem Bilde: "Die Gerechtigkeit und die Rache verfolgen das


Bedürfniß nach einem Umschwung in echt malerischem Sinne nicht so mäch¬
tig, daß es so bald eine Reaction herbeigeführt hätte. Die Erstarrung in
einem akademischen Formalismus sollte seltsamerweise vielmehr in einer an¬
deren Schule eintreten, in der Regnault's, und hier einen Umschlag herbei¬
führen. Der Richtung und dem Einfluß Davids hatten sich die Zeitgenossen
überhaupt nicht entziehen können, auch die Schüler Regnault's und Vincent's
folgten mehr oder minder seiner Weise.

Vor Allem Pierre Guerin (1744—1833), Schüler des Ersteren. Er
stellte im Jahre 1789 seinen Marcus Sextus aus: dieser, den Proscriptionen
Sullas entgangen, findet bei seiner Heimkehr seine Tochter in Thränen neben
dem Leichnam seiner Gattin. Das Bild, — jedenfalls Guvrins bestes Werk
— hatte den glänzendsten Erfolg: man sah darin eine Anspielung auf das
Schicksal der Emigrirten, man fand den Ausdruck einer heftigen, leidenschaft¬
lichen Größe, man rühmte außerdem die anatomische Richtigkeit der Zeich¬
nung. Wie wenig es ihm damit Ernst war, geht daraus hervor, daß sein
Marcus Sextus zuerst ein Belisar gewesen: er öffnete diesem auf den Rath
eines Freundes die Augen und gab dem Bilde die neue Bezeichnung. In
den folgenden Werken erreichte denn auch die theatralische Manier, welche in
dieser classischen Richtung immer mehr hervortrat, ihren Gipfel; kein Wun¬
der, da die Stoffe meistens aus Ragine entnommen und nach den Eindrücken
des Schauspiels aufgefaßt waren (in „Hypolit und Phädra" erinnerte die
Letztere an die Schauspielerin Duchesnois. in „Andromache und Pyrrhus"
der Orestes an Talma). So tief war die classische Kunst heruntergekommen,
daß sie sich am liMtre ü'imcMs inspirirte! Wenn auch in den spätern
Werken „Dido hört der Erzählung des Aeneas zu" und „Klytemnestra vor
der Ermordung Agamenmons" eine mehr einfache und wahre Empfindung,
in dem ersteren eine stimmungsvolle Anordnung und ein schöner Lichtton, in
dem letzteren ein gewisser Ernst der Leidenschaft war. so hatte doch im Gan¬
zen diese Malerei, in der Regel des akademischen Formenwesens erstarrt, ihre
Lebensfähigkeit verloren. Auch Gusrin bildete eine Schule; und grade in
dieser erfolgte der romantische und realistische Umschlag gegen die classische
Periode: aus ihr gingen G6ricault, Delacroix und Scheffer hervor.

David beherrschte, wie wir gesehen, die ganze Kunst seines Zeitalters;
nur ein Maler ging neben ihm seinen eigenthümlichen Weg: Pierre Paul
Prud'hon (1758—1323). Er war der einzige Colorist der Zeit; diese zog
ihr ästhetisches Interesse vielmehr zur Form, und so ist er eigentlich ohne
Nachwirkung und ohne Schüler geblieben. Sein Talent bewährte sich beson¬
ders in anmuthigen Darstellungen zarter Motive („Psyche von Zephyren ent¬
führt" und „Zephyr über der Quelle sich schaukelnd"; die gewaltsame Bewe¬
gung, wie in dem Bilde: „Die Gerechtigkeit und die Rache verfolgen das


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[0522] Bedürfniß nach einem Umschwung in echt malerischem Sinne nicht so mäch¬ tig, daß es so bald eine Reaction herbeigeführt hätte. Die Erstarrung in einem akademischen Formalismus sollte seltsamerweise vielmehr in einer an¬ deren Schule eintreten, in der Regnault's, und hier einen Umschlag herbei¬ führen. Der Richtung und dem Einfluß Davids hatten sich die Zeitgenossen überhaupt nicht entziehen können, auch die Schüler Regnault's und Vincent's folgten mehr oder minder seiner Weise. Vor Allem Pierre Guerin (1744—1833), Schüler des Ersteren. Er stellte im Jahre 1789 seinen Marcus Sextus aus: dieser, den Proscriptionen Sullas entgangen, findet bei seiner Heimkehr seine Tochter in Thränen neben dem Leichnam seiner Gattin. Das Bild, — jedenfalls Guvrins bestes Werk — hatte den glänzendsten Erfolg: man sah darin eine Anspielung auf das Schicksal der Emigrirten, man fand den Ausdruck einer heftigen, leidenschaft¬ lichen Größe, man rühmte außerdem die anatomische Richtigkeit der Zeich¬ nung. Wie wenig es ihm damit Ernst war, geht daraus hervor, daß sein Marcus Sextus zuerst ein Belisar gewesen: er öffnete diesem auf den Rath eines Freundes die Augen und gab dem Bilde die neue Bezeichnung. In den folgenden Werken erreichte denn auch die theatralische Manier, welche in dieser classischen Richtung immer mehr hervortrat, ihren Gipfel; kein Wun¬ der, da die Stoffe meistens aus Ragine entnommen und nach den Eindrücken des Schauspiels aufgefaßt waren (in „Hypolit und Phädra" erinnerte die Letztere an die Schauspielerin Duchesnois. in „Andromache und Pyrrhus" der Orestes an Talma). So tief war die classische Kunst heruntergekommen, daß sie sich am liMtre ü'imcMs inspirirte! Wenn auch in den spätern Werken „Dido hört der Erzählung des Aeneas zu" und „Klytemnestra vor der Ermordung Agamenmons" eine mehr einfache und wahre Empfindung, in dem ersteren eine stimmungsvolle Anordnung und ein schöner Lichtton, in dem letzteren ein gewisser Ernst der Leidenschaft war. so hatte doch im Gan¬ zen diese Malerei, in der Regel des akademischen Formenwesens erstarrt, ihre Lebensfähigkeit verloren. Auch Gusrin bildete eine Schule; und grade in dieser erfolgte der romantische und realistische Umschlag gegen die classische Periode: aus ihr gingen G6ricault, Delacroix und Scheffer hervor. David beherrschte, wie wir gesehen, die ganze Kunst seines Zeitalters; nur ein Maler ging neben ihm seinen eigenthümlichen Weg: Pierre Paul Prud'hon (1758—1323). Er war der einzige Colorist der Zeit; diese zog ihr ästhetisches Interesse vielmehr zur Form, und so ist er eigentlich ohne Nachwirkung und ohne Schüler geblieben. Sein Talent bewährte sich beson¬ ders in anmuthigen Darstellungen zarter Motive („Psyche von Zephyren ent¬ führt" und „Zephyr über der Quelle sich schaukelnd"; die gewaltsame Bewe¬ gung, wie in dem Bilde: „Die Gerechtigkeit und die Rache verfolgen das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/522>, abgerufen am 01.10.2024.