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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Motiv für die bildende Kunst und diese schien schon im Beginn der neuen
Epoche eine hohe Stufe erreicht zu haben, einer noch herrlicheren Zukunft ent¬
gegenzugehen. Was das Zeitalter erfüllte, kam in ihr zu glänzendem, und
wie es schien vollendetem Ausdruck. Frankreich beherrschte die Welt und aus
der Berührung mit den fremden Nationen schöpfte die Malerei ein neues
ästhetisches Leben, aus dem mächtigen Heraustreten der einzelnen Individuen
die bestimmte Erscheinung wirklicher Naturen. Freilich ging sie, die zuerst
ausschließlich dem Classischen nachgestrebt hatte, nun in der Darstellung des
Natürlichen hier und da über das Ziel hinaus, sie streifte nicht selten hart an
die Grenze des Häßlichen und Absonderlichem. Die Darstellung des Idealen
und die Erscheinung der Wirklichkeit standen oft noch unvermittelt nebenein¬
ander, nur zusammengehalten durch die mächtige Persönlichkeit des Helden
und die Größe des Vorgangs. Doch schien die Durchdringung beider Seiten
auf diesem Wege nicht lange mehr ausbleiben zu können.

Allein bald zeigte sich die Schattenseite des neuen Heldenthums und sei¬
ner Macht. Der Kaiser benahm sich als der unbedingte Herr, mit der natio¬
nalen Erhebung und Theilnahme ging es allmälig zu Ende. Eine kluge und
versteckte Politik errang ebenso viel und noch mehr Erfolge als die glänzende
kriegerische That. Die Armee wurde zur Soldateska, die der Nation so gut
wie fremd gegenüber stand. Der Hof und der Nimbus der Krone trennten
den Herrscher vom Volke und dieser hörte auf der Vertreter des nationalen
Willens zu sein. Es erfolgte sein Sturz; und, wie schon bemerkt, unter der
Regierung der Bourbonen und des Bürgerkönigs erstickte die officielle Kunst
in der seichten Alltäglichkeit einer civilisuten Friedenszeit.

Auch Gros unterlag dem Einfluß dieser Verhältnisse. Seine Begeisterung
für die Thaten des Feldherrn verwandelte sich in das hohle Pathos der
Schmeichelei für den Kaiser. Schon seine Gemälde von 1810: "die Einnahme
von Madrid" und "Napoleon vor den Pyramiden" tragen das Gepräge der
Gespreiztheit und des Theatralischen; was sich Gutes in ihnen findet, ist
meistens Wiederholung aus den frühern Bildern und geschickte Arbeit des
Talentes. Aber noch weniger war die Verherrlichung der Restauration seine
Sache. An diesen Stoffen ging sein Talent ebenso zu Grunde, wie das G6-
rards, und es ist begreiflich, daß er sich am wenigsten für die Abreise der
königlichen Personen erwärmen konnte. Er hatte die "Einschiffung der Herzo¬
gin von Angouleme im Jahr 1815" und die "Abreise Ludwigs des Achtzehn¬
ter aus den Tuilerien im Jahr 1815" darzustellen. Im Fackellichte zieht
der dicke Wanst muthlos und trübselig ab, während die Hofleute eine tiefe
Trauer mit gezierter Manier an den Tag legen: wie tief zeigt sich hier in
der Kunst der Fall von der mächtigen Weltgröße des neuen Helden zu der
kleinen Misere des ausgelebten legitimen Königthums! Noch einmal schien


Motiv für die bildende Kunst und diese schien schon im Beginn der neuen
Epoche eine hohe Stufe erreicht zu haben, einer noch herrlicheren Zukunft ent¬
gegenzugehen. Was das Zeitalter erfüllte, kam in ihr zu glänzendem, und
wie es schien vollendetem Ausdruck. Frankreich beherrschte die Welt und aus
der Berührung mit den fremden Nationen schöpfte die Malerei ein neues
ästhetisches Leben, aus dem mächtigen Heraustreten der einzelnen Individuen
die bestimmte Erscheinung wirklicher Naturen. Freilich ging sie, die zuerst
ausschließlich dem Classischen nachgestrebt hatte, nun in der Darstellung des
Natürlichen hier und da über das Ziel hinaus, sie streifte nicht selten hart an
die Grenze des Häßlichen und Absonderlichem. Die Darstellung des Idealen
und die Erscheinung der Wirklichkeit standen oft noch unvermittelt nebenein¬
ander, nur zusammengehalten durch die mächtige Persönlichkeit des Helden
und die Größe des Vorgangs. Doch schien die Durchdringung beider Seiten
auf diesem Wege nicht lange mehr ausbleiben zu können.

Allein bald zeigte sich die Schattenseite des neuen Heldenthums und sei¬
ner Macht. Der Kaiser benahm sich als der unbedingte Herr, mit der natio¬
nalen Erhebung und Theilnahme ging es allmälig zu Ende. Eine kluge und
versteckte Politik errang ebenso viel und noch mehr Erfolge als die glänzende
kriegerische That. Die Armee wurde zur Soldateska, die der Nation so gut
wie fremd gegenüber stand. Der Hof und der Nimbus der Krone trennten
den Herrscher vom Volke und dieser hörte auf der Vertreter des nationalen
Willens zu sein. Es erfolgte sein Sturz; und, wie schon bemerkt, unter der
Regierung der Bourbonen und des Bürgerkönigs erstickte die officielle Kunst
in der seichten Alltäglichkeit einer civilisuten Friedenszeit.

Auch Gros unterlag dem Einfluß dieser Verhältnisse. Seine Begeisterung
für die Thaten des Feldherrn verwandelte sich in das hohle Pathos der
Schmeichelei für den Kaiser. Schon seine Gemälde von 1810: „die Einnahme
von Madrid" und „Napoleon vor den Pyramiden" tragen das Gepräge der
Gespreiztheit und des Theatralischen; was sich Gutes in ihnen findet, ist
meistens Wiederholung aus den frühern Bildern und geschickte Arbeit des
Talentes. Aber noch weniger war die Verherrlichung der Restauration seine
Sache. An diesen Stoffen ging sein Talent ebenso zu Grunde, wie das G6-
rards, und es ist begreiflich, daß er sich am wenigsten für die Abreise der
königlichen Personen erwärmen konnte. Er hatte die „Einschiffung der Herzo¬
gin von Angouleme im Jahr 1815" und die „Abreise Ludwigs des Achtzehn¬
ter aus den Tuilerien im Jahr 1815" darzustellen. Im Fackellichte zieht
der dicke Wanst muthlos und trübselig ab, während die Hofleute eine tiefe
Trauer mit gezierter Manier an den Tag legen: wie tief zeigt sich hier in
der Kunst der Fall von der mächtigen Weltgröße des neuen Helden zu der
kleinen Misere des ausgelebten legitimen Königthums! Noch einmal schien


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/520>, abgerufen am 26.08.2024.