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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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anwehte, der tieft Ernst, der aus der ganzen Auffassung sprach, ließen die
Kunst in einem ganz neuen Lichte erscheinen.

Es folgte eine ziemlich lange unfruchtbare Zwischenpause. Mit dem
vollen Ausbruch der Revolution war David aus der Stille des Ateliers her¬
ausgetreten, um an der politischen Bewegung thätigen Antheil zu nehmen;
er wurde Conventsmitglied. begeisterter Freund Robespierres. entschiedener
Republicaner. In dieser Stellung galt ihm die Kunst nur noch als Mittel
zum Zweck des öffentlichen Lebens, und in diesem Sinne suchte er sie zu Gunsten
des neuen Staates anzuwenden und zu reformiren. Seine eigene Production
war eine geringe. Die constituirende Versammlung hatte bei ihm ein Ge¬
mälde "den Schwur des Ballhauses" bestellt, aber es wurde nur die Skizze
fertig, mit einigen ausgeführten Porträtköpfen (in der Sammlung -der Zeich¬
nungen im Louvre); die Ereignisse gingen so rasch, daß der dargestellte Mo¬
ment schon nach einem Jahr dem Künstler selber ohne Werth und Bedeutung
schien. Es ist übrigens interessant, wie in der Skizze die pathetische Auffas.
sung. die sich an der Größe der antiken Menschen und Formen gebildet hatte,
auch die wirkliche Gegenwart zu durchdringen suchte. Es fehlt den Köpfen
nicht an einer gewissen Naturwahrheit und an einem Ausdruck der bedeutungs¬
vollen Stimmung: aber die Gestalten -- alle nackt gezeichnet, so daß ihnen
die Kleider nachträglich gleichsam angehängt worden waren -- sind doch vor¬
nehmlich auf die Darstellung der vollendeten körperlichen Form angelegt, es
fehlt ihnen das Individuelle, und die Bewegungen haben das Gespreizte des
dramatischen Eifers, der um sich selber weiß. Außerdem entstand in dieser
Zeit nur ein bemerkenswerthes Bild, aber ein bedeutsames, das einzige viel¬
leicht, das David mit dem vollen schöpferischen Trieb einer innerlich drängen¬
den Kraft entwarf und vollendete: "Der ermordete Marat." Hier war der
Republicaner in's Herz getroffen und das kam dem Künstler zu Gute. Aus
dem Bilde spricht die ergreifende Wahrheit einer groß aufgefaßten Natur.
Die gemeine Gestalt des Mannes ist mit voller Realität wiedergegeben; aber
indem der Maler die Größe seiner eignen politischen Gesinnung in ihr erscheinen
ließ, veredelte sie der Hauch eines mächtigen Geistes und gab ihr den Aus¬
druck der Erhabenheit. Der oben erwähnte Marat Baudry's ist daneben eine
geradezu widerwärtige Erscheinung.

Mit Robespierres Fall war auch David gefährdet; doch kam er mit dem
Verlust seiner Stellung und Freiheit davon. Schon im Gefängnisse wandte
er sich wieder ganz der Kunst zu. Wieder freigegeben widmete er alle seine
Zeit und Kräfte den Sabinerinnen. Der Künstler kehrte sich auch in seinem
Bilde ganz von der Wirklichkeit ab. um der reinen Schönheit nachzugehen.
Seine Figuren sollten nicht mehr gekleidet, sondern nackt erscheinen, um der
Wunderbaren Linie des menschlichen Körpers ihr volles Recht zu geben. Nun


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anwehte, der tieft Ernst, der aus der ganzen Auffassung sprach, ließen die
Kunst in einem ganz neuen Lichte erscheinen.

Es folgte eine ziemlich lange unfruchtbare Zwischenpause. Mit dem
vollen Ausbruch der Revolution war David aus der Stille des Ateliers her¬
ausgetreten, um an der politischen Bewegung thätigen Antheil zu nehmen;
er wurde Conventsmitglied. begeisterter Freund Robespierres. entschiedener
Republicaner. In dieser Stellung galt ihm die Kunst nur noch als Mittel
zum Zweck des öffentlichen Lebens, und in diesem Sinne suchte er sie zu Gunsten
des neuen Staates anzuwenden und zu reformiren. Seine eigene Production
war eine geringe. Die constituirende Versammlung hatte bei ihm ein Ge¬
mälde „den Schwur des Ballhauses" bestellt, aber es wurde nur die Skizze
fertig, mit einigen ausgeführten Porträtköpfen (in der Sammlung -der Zeich¬
nungen im Louvre); die Ereignisse gingen so rasch, daß der dargestellte Mo¬
ment schon nach einem Jahr dem Künstler selber ohne Werth und Bedeutung
schien. Es ist übrigens interessant, wie in der Skizze die pathetische Auffas.
sung. die sich an der Größe der antiken Menschen und Formen gebildet hatte,
auch die wirkliche Gegenwart zu durchdringen suchte. Es fehlt den Köpfen
nicht an einer gewissen Naturwahrheit und an einem Ausdruck der bedeutungs¬
vollen Stimmung: aber die Gestalten — alle nackt gezeichnet, so daß ihnen
die Kleider nachträglich gleichsam angehängt worden waren — sind doch vor¬
nehmlich auf die Darstellung der vollendeten körperlichen Form angelegt, es
fehlt ihnen das Individuelle, und die Bewegungen haben das Gespreizte des
dramatischen Eifers, der um sich selber weiß. Außerdem entstand in dieser
Zeit nur ein bemerkenswerthes Bild, aber ein bedeutsames, das einzige viel¬
leicht, das David mit dem vollen schöpferischen Trieb einer innerlich drängen¬
den Kraft entwarf und vollendete: „Der ermordete Marat." Hier war der
Republicaner in's Herz getroffen und das kam dem Künstler zu Gute. Aus
dem Bilde spricht die ergreifende Wahrheit einer groß aufgefaßten Natur.
Die gemeine Gestalt des Mannes ist mit voller Realität wiedergegeben; aber
indem der Maler die Größe seiner eignen politischen Gesinnung in ihr erscheinen
ließ, veredelte sie der Hauch eines mächtigen Geistes und gab ihr den Aus¬
druck der Erhabenheit. Der oben erwähnte Marat Baudry's ist daneben eine
geradezu widerwärtige Erscheinung.

Mit Robespierres Fall war auch David gefährdet; doch kam er mit dem
Verlust seiner Stellung und Freiheit davon. Schon im Gefängnisse wandte
er sich wieder ganz der Kunst zu. Wieder freigegeben widmete er alle seine
Zeit und Kräfte den Sabinerinnen. Der Künstler kehrte sich auch in seinem
Bilde ganz von der Wirklichkeit ab. um der reinen Schönheit nachzugehen.
Seine Figuren sollten nicht mehr gekleidet, sondern nackt erscheinen, um der
Wunderbaren Linie des menschlichen Körpers ihr volles Recht zu geben. Nun


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[0509] anwehte, der tieft Ernst, der aus der ganzen Auffassung sprach, ließen die Kunst in einem ganz neuen Lichte erscheinen. Es folgte eine ziemlich lange unfruchtbare Zwischenpause. Mit dem vollen Ausbruch der Revolution war David aus der Stille des Ateliers her¬ ausgetreten, um an der politischen Bewegung thätigen Antheil zu nehmen; er wurde Conventsmitglied. begeisterter Freund Robespierres. entschiedener Republicaner. In dieser Stellung galt ihm die Kunst nur noch als Mittel zum Zweck des öffentlichen Lebens, und in diesem Sinne suchte er sie zu Gunsten des neuen Staates anzuwenden und zu reformiren. Seine eigene Production war eine geringe. Die constituirende Versammlung hatte bei ihm ein Ge¬ mälde „den Schwur des Ballhauses" bestellt, aber es wurde nur die Skizze fertig, mit einigen ausgeführten Porträtköpfen (in der Sammlung -der Zeich¬ nungen im Louvre); die Ereignisse gingen so rasch, daß der dargestellte Mo¬ ment schon nach einem Jahr dem Künstler selber ohne Werth und Bedeutung schien. Es ist übrigens interessant, wie in der Skizze die pathetische Auffas. sung. die sich an der Größe der antiken Menschen und Formen gebildet hatte, auch die wirkliche Gegenwart zu durchdringen suchte. Es fehlt den Köpfen nicht an einer gewissen Naturwahrheit und an einem Ausdruck der bedeutungs¬ vollen Stimmung: aber die Gestalten — alle nackt gezeichnet, so daß ihnen die Kleider nachträglich gleichsam angehängt worden waren — sind doch vor¬ nehmlich auf die Darstellung der vollendeten körperlichen Form angelegt, es fehlt ihnen das Individuelle, und die Bewegungen haben das Gespreizte des dramatischen Eifers, der um sich selber weiß. Außerdem entstand in dieser Zeit nur ein bemerkenswerthes Bild, aber ein bedeutsames, das einzige viel¬ leicht, das David mit dem vollen schöpferischen Trieb einer innerlich drängen¬ den Kraft entwarf und vollendete: „Der ermordete Marat." Hier war der Republicaner in's Herz getroffen und das kam dem Künstler zu Gute. Aus dem Bilde spricht die ergreifende Wahrheit einer groß aufgefaßten Natur. Die gemeine Gestalt des Mannes ist mit voller Realität wiedergegeben; aber indem der Maler die Größe seiner eignen politischen Gesinnung in ihr erscheinen ließ, veredelte sie der Hauch eines mächtigen Geistes und gab ihr den Aus¬ druck der Erhabenheit. Der oben erwähnte Marat Baudry's ist daneben eine geradezu widerwärtige Erscheinung. Mit Robespierres Fall war auch David gefährdet; doch kam er mit dem Verlust seiner Stellung und Freiheit davon. Schon im Gefängnisse wandte er sich wieder ganz der Kunst zu. Wieder freigegeben widmete er alle seine Zeit und Kräfte den Sabinerinnen. Der Künstler kehrte sich auch in seinem Bilde ganz von der Wirklichkeit ab. um der reinen Schönheit nachzugehen. Seine Figuren sollten nicht mehr gekleidet, sondern nackt erscheinen, um der Wunderbaren Linie des menschlichen Körpers ihr volles Recht zu geben. Nun 63 "

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/509>, abgerufen am 23.07.2024.