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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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und das kokette Lächeln der Salonmenschen gaben. Es ist in den Sacken,
welche dem wahren Wesen der Kunst gradezu in's Gesicht schlagen, noch im¬
mer viel Talent und Geschick; die sich überschlagende, übersprudelnde, barock
spielende, Alles umschlingende Phantasie des Rococo hat auch über die Male¬
rei eine Art von Lebenshauch verbreitet. Nie war die Kunst weniger reali¬
stisch, und doch nie so in den sinnlichen Bedürfnissen, in dem alltäglichen
Handel und Wandel der Zeit befangen. Der allgemeinen Genußsucht und
den manienrten Umgangsformen eines Geschlecktes, das in geselligen Freuden
sein Leben hintändelte, mußte ebensowohl die landschaftliche Natur sich fügen,
als die überlieferte Welt der Mythologie; und die Malerei schien für diese
wie für jene nur so weit Sinn und Verständniß zu haben, als sie in ihnen
das leichtfertige, tänzelnde, gepuderte Wesen des gesellschaftlichen Treibens
mit malerischem Neiz erscheinen lassen konnte. Sie machte sich's bequem: sie
stellte das Leben dar, wie es ihr in einer gewohnten Anschauungsweise fa߬
lich zur Hand lag. in fertig überlieferten Formen und Gestalten, die der
Phantasie geläufig waren, und mit denen diese daher leichtes Spiel hatte. --

Wie aber innerhalb des allgemeinen Treibens im Rückschlag gegen die
Sittenlosigkeit ein empfindsames Interesse für das einfache Glück und Leid
des Familienlebens auftrat, so suchten im Gegensatz zu den rosigen aufge¬
bauschten Gestalten der Boucher's und Vanlov's die gemüthlichen Familien¬
scenen von Grenze ein natürliches Leben und eine tiefere Empfindung aus¬
zudrücken. Andrerseits wurden noch immer die Sagen und geschichtlichen
Stoffe der classischen Welt in anspruchsvollen Style behandelt (Vier, Doyen,
Deshais. Challe u. s. w,). In sie hatte sich der französische Geist seit der
Renaissance mit Vorliebe in seiner ihm eigenen pathetischen Weise eingelebt,
und was die Malerei anbelangt, so hatte sie Nikolas Poussin, der sich die
Antike gradezu zum unbedingten Vorbild genommen, ein sür allemal in diese
Bahn gelenkt. Allein hatte schon er, von der hohen Bedeutung der classischen
Bildung ganz erfüllt, die Natur gering geachtet und es daher an Empfindung
und innerem Leben fehlen lassen, so erschien in seinen Nachfolgern die alte
Welt vollends wie ein Schattenreich, dessen Gestalten gehalt- und seelenlos,
von keinem menschlichen Trieb und Gefühl bewegt, das Aussehen von großen
Drahtpuppen haben. Weder von dieser noch von der Richtung, welche Greuze
eingeschlagen, war eine tüchtige Fortbildung zu erwarten: denn jenes Familien¬
genre hatte, bei einer feinen und liebenswürdigen Beobachtung des individu¬
ellen Lebens, doch zu sehr den Charakter der hausbackenen Prosa, die im
Gegensatz zur Ausschweifung auf ihre Rechtschaffenheit pochte, und zu viel
von dem gerührten Wesen einer Gefühlsweise, die in der kleinbürgerlichen Be'
schränktheit stecken blieb, um in der bildenden Kunst zu einer eigenthümlichen
Entwicklung zu führen. .Wie der Kunst ihre eigene Seele buchstäblich aus-


und das kokette Lächeln der Salonmenschen gaben. Es ist in den Sacken,
welche dem wahren Wesen der Kunst gradezu in's Gesicht schlagen, noch im¬
mer viel Talent und Geschick; die sich überschlagende, übersprudelnde, barock
spielende, Alles umschlingende Phantasie des Rococo hat auch über die Male¬
rei eine Art von Lebenshauch verbreitet. Nie war die Kunst weniger reali¬
stisch, und doch nie so in den sinnlichen Bedürfnissen, in dem alltäglichen
Handel und Wandel der Zeit befangen. Der allgemeinen Genußsucht und
den manienrten Umgangsformen eines Geschlecktes, das in geselligen Freuden
sein Leben hintändelte, mußte ebensowohl die landschaftliche Natur sich fügen,
als die überlieferte Welt der Mythologie; und die Malerei schien für diese
wie für jene nur so weit Sinn und Verständniß zu haben, als sie in ihnen
das leichtfertige, tänzelnde, gepuderte Wesen des gesellschaftlichen Treibens
mit malerischem Neiz erscheinen lassen konnte. Sie machte sich's bequem: sie
stellte das Leben dar, wie es ihr in einer gewohnten Anschauungsweise fa߬
lich zur Hand lag. in fertig überlieferten Formen und Gestalten, die der
Phantasie geläufig waren, und mit denen diese daher leichtes Spiel hatte. —

Wie aber innerhalb des allgemeinen Treibens im Rückschlag gegen die
Sittenlosigkeit ein empfindsames Interesse für das einfache Glück und Leid
des Familienlebens auftrat, so suchten im Gegensatz zu den rosigen aufge¬
bauschten Gestalten der Boucher's und Vanlov's die gemüthlichen Familien¬
scenen von Grenze ein natürliches Leben und eine tiefere Empfindung aus¬
zudrücken. Andrerseits wurden noch immer die Sagen und geschichtlichen
Stoffe der classischen Welt in anspruchsvollen Style behandelt (Vier, Doyen,
Deshais. Challe u. s. w,). In sie hatte sich der französische Geist seit der
Renaissance mit Vorliebe in seiner ihm eigenen pathetischen Weise eingelebt,
und was die Malerei anbelangt, so hatte sie Nikolas Poussin, der sich die
Antike gradezu zum unbedingten Vorbild genommen, ein sür allemal in diese
Bahn gelenkt. Allein hatte schon er, von der hohen Bedeutung der classischen
Bildung ganz erfüllt, die Natur gering geachtet und es daher an Empfindung
und innerem Leben fehlen lassen, so erschien in seinen Nachfolgern die alte
Welt vollends wie ein Schattenreich, dessen Gestalten gehalt- und seelenlos,
von keinem menschlichen Trieb und Gefühl bewegt, das Aussehen von großen
Drahtpuppen haben. Weder von dieser noch von der Richtung, welche Greuze
eingeschlagen, war eine tüchtige Fortbildung zu erwarten: denn jenes Familien¬
genre hatte, bei einer feinen und liebenswürdigen Beobachtung des individu¬
ellen Lebens, doch zu sehr den Charakter der hausbackenen Prosa, die im
Gegensatz zur Ausschweifung auf ihre Rechtschaffenheit pochte, und zu viel
von dem gerührten Wesen einer Gefühlsweise, die in der kleinbürgerlichen Be'
schränktheit stecken blieb, um in der bildenden Kunst zu einer eigenthümlichen
Entwicklung zu führen. .Wie der Kunst ihre eigene Seele buchstäblich aus-


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[0503] und das kokette Lächeln der Salonmenschen gaben. Es ist in den Sacken, welche dem wahren Wesen der Kunst gradezu in's Gesicht schlagen, noch im¬ mer viel Talent und Geschick; die sich überschlagende, übersprudelnde, barock spielende, Alles umschlingende Phantasie des Rococo hat auch über die Male¬ rei eine Art von Lebenshauch verbreitet. Nie war die Kunst weniger reali¬ stisch, und doch nie so in den sinnlichen Bedürfnissen, in dem alltäglichen Handel und Wandel der Zeit befangen. Der allgemeinen Genußsucht und den manienrten Umgangsformen eines Geschlecktes, das in geselligen Freuden sein Leben hintändelte, mußte ebensowohl die landschaftliche Natur sich fügen, als die überlieferte Welt der Mythologie; und die Malerei schien für diese wie für jene nur so weit Sinn und Verständniß zu haben, als sie in ihnen das leichtfertige, tänzelnde, gepuderte Wesen des gesellschaftlichen Treibens mit malerischem Neiz erscheinen lassen konnte. Sie machte sich's bequem: sie stellte das Leben dar, wie es ihr in einer gewohnten Anschauungsweise fa߬ lich zur Hand lag. in fertig überlieferten Formen und Gestalten, die der Phantasie geläufig waren, und mit denen diese daher leichtes Spiel hatte. — Wie aber innerhalb des allgemeinen Treibens im Rückschlag gegen die Sittenlosigkeit ein empfindsames Interesse für das einfache Glück und Leid des Familienlebens auftrat, so suchten im Gegensatz zu den rosigen aufge¬ bauschten Gestalten der Boucher's und Vanlov's die gemüthlichen Familien¬ scenen von Grenze ein natürliches Leben und eine tiefere Empfindung aus¬ zudrücken. Andrerseits wurden noch immer die Sagen und geschichtlichen Stoffe der classischen Welt in anspruchsvollen Style behandelt (Vier, Doyen, Deshais. Challe u. s. w,). In sie hatte sich der französische Geist seit der Renaissance mit Vorliebe in seiner ihm eigenen pathetischen Weise eingelebt, und was die Malerei anbelangt, so hatte sie Nikolas Poussin, der sich die Antike gradezu zum unbedingten Vorbild genommen, ein sür allemal in diese Bahn gelenkt. Allein hatte schon er, von der hohen Bedeutung der classischen Bildung ganz erfüllt, die Natur gering geachtet und es daher an Empfindung und innerem Leben fehlen lassen, so erschien in seinen Nachfolgern die alte Welt vollends wie ein Schattenreich, dessen Gestalten gehalt- und seelenlos, von keinem menschlichen Trieb und Gefühl bewegt, das Aussehen von großen Drahtpuppen haben. Weder von dieser noch von der Richtung, welche Greuze eingeschlagen, war eine tüchtige Fortbildung zu erwarten: denn jenes Familien¬ genre hatte, bei einer feinen und liebenswürdigen Beobachtung des individu¬ ellen Lebens, doch zu sehr den Charakter der hausbackenen Prosa, die im Gegensatz zur Ausschweifung auf ihre Rechtschaffenheit pochte, und zu viel von dem gerührten Wesen einer Gefühlsweise, die in der kleinbürgerlichen Be' schränktheit stecken blieb, um in der bildenden Kunst zu einer eigenthümlichen Entwicklung zu führen. .Wie der Kunst ihre eigene Seele buchstäblich aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/503>, abgerufen am 22.07.2024.