Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

abwendet und an die wirkliche Gegenwart sich hält, stehen in verhältnißmäßig
geringer Anzahl die Maler gegenüber, denen die Schönheit der Form
Hauptgesetz ist und die auf den Stoff der alten Mythenwelt, die ideale
menschliche Gestalt zurückgehen. Sie sind meistens aus der Schule von Rom
hervorgegangen, haben sich an den großen italienischen Meistern gebildet und
lehnen sich an die Meister der jüngstvergangenen Zeit an. Zum Theil wirken
diese selbst noch mit guten, das reine Wesen der Kunst anstrebenden Werken
in die Gegenwart herein; andrerseits bringen auch die Jüngeren, die das Nackte
und den menschlichen Körper gründlich send.ire haben, manches Tüchtige her¬
vor. Auch suchen diese hier und da die ideale Erscheinung zur volleren Wärme
des sinnlichen Lebens in Bewegung und Farbe herauszubilden; die von nimm
heraus beseelten, von einer schönen Lebenslust erfüllten Gestalten eines Gior-
gione, Tizian und Correggio darf man freilich nicht im Sinne haben. Auch
spielt hier bisweilen der unreine Reiz einer sinnlichen Absicht in die Kunst
und verdirbt die Wirkung.

Daneben will dann ferner die Phantasie ihr Recht haben, die mit
dieser herkömmlichen Welt des Schönen fast ebenso wenig anfangen kann, als
mit jener Wirklichkeit. Der Spuk der Romantik ist noch nicht zu Grabe
getragen und bringt im Rückschlag gegen die ptiantasielose Zeit noch manches
Phantastische zu Tage; allerlei Nebelgestalten, die mehr in das Reich der
Trümmer und Mährchen gehören, als in die bildende Kunst. Auch die Bilder,
welche allgemein-menschliche Verhältnisse oder sittliche Zustünde allegorisch, aber
mit der Absicht ergreifender Wirkung behandeln, gehören hierher. Endlich sucht
der Maler, um der Ungunst des Zeitalters zu entgehen, nach Stoffen, die ihr
Leben und ihre Bildung eigentlich erst von der Phantasie empfangen haben:
er greift nach den Gestalten der Dichter, besonders sind es Dante's Epos,
die mehr romantischen Dramen Shakespeare's und Goethe's Faust, aus denen
sich der Krtnstler seine Motive holt: vor Allem sind Faust und Gleichen in
überraschender Menge vertreten. Diese Neigung zu poetischen Stoffen geht
in die Vergangenheit zurück und ist daher in der Geschichte darauf zurückzu¬
kommen; doch bemüht sich besonders die Gegenwart, ihnen in dem Rahmen
des Sittenbildes die Erscheinung der bestimmten Wirklichkeit zu geben und
dennoch mit der malerischen Wirkung die poetische zu vereinigen.

Vor Allem aber geht die Kunst in die reiche Mannigfaltigkeit der Vergangen¬
heit zurück, welche ihr die Forschung nach allen Seiten im weitesten Umfange
Zugänglich gemacht hat. Nicht um bedeutende historische Momente auszu¬
suchen, sondern um in zuständlichen Situationen, die sich an die Geschichte
anlehnen, in Sitten und Gebräuchen. Costümen und Gerathen, dem ganzen
äußern Apparat "der Cultursormen Motive zu finden, die vor Allem malerisch
sind. Das Sittenbild tritt in breitester Ausdehnung ein. Eine tiefere


Grenzboten III. 1361. 59

abwendet und an die wirkliche Gegenwart sich hält, stehen in verhältnißmäßig
geringer Anzahl die Maler gegenüber, denen die Schönheit der Form
Hauptgesetz ist und die auf den Stoff der alten Mythenwelt, die ideale
menschliche Gestalt zurückgehen. Sie sind meistens aus der Schule von Rom
hervorgegangen, haben sich an den großen italienischen Meistern gebildet und
lehnen sich an die Meister der jüngstvergangenen Zeit an. Zum Theil wirken
diese selbst noch mit guten, das reine Wesen der Kunst anstrebenden Werken
in die Gegenwart herein; andrerseits bringen auch die Jüngeren, die das Nackte
und den menschlichen Körper gründlich send.ire haben, manches Tüchtige her¬
vor. Auch suchen diese hier und da die ideale Erscheinung zur volleren Wärme
des sinnlichen Lebens in Bewegung und Farbe herauszubilden; die von nimm
heraus beseelten, von einer schönen Lebenslust erfüllten Gestalten eines Gior-
gione, Tizian und Correggio darf man freilich nicht im Sinne haben. Auch
spielt hier bisweilen der unreine Reiz einer sinnlichen Absicht in die Kunst
und verdirbt die Wirkung.

Daneben will dann ferner die Phantasie ihr Recht haben, die mit
dieser herkömmlichen Welt des Schönen fast ebenso wenig anfangen kann, als
mit jener Wirklichkeit. Der Spuk der Romantik ist noch nicht zu Grabe
getragen und bringt im Rückschlag gegen die ptiantasielose Zeit noch manches
Phantastische zu Tage; allerlei Nebelgestalten, die mehr in das Reich der
Trümmer und Mährchen gehören, als in die bildende Kunst. Auch die Bilder,
welche allgemein-menschliche Verhältnisse oder sittliche Zustünde allegorisch, aber
mit der Absicht ergreifender Wirkung behandeln, gehören hierher. Endlich sucht
der Maler, um der Ungunst des Zeitalters zu entgehen, nach Stoffen, die ihr
Leben und ihre Bildung eigentlich erst von der Phantasie empfangen haben:
er greift nach den Gestalten der Dichter, besonders sind es Dante's Epos,
die mehr romantischen Dramen Shakespeare's und Goethe's Faust, aus denen
sich der Krtnstler seine Motive holt: vor Allem sind Faust und Gleichen in
überraschender Menge vertreten. Diese Neigung zu poetischen Stoffen geht
in die Vergangenheit zurück und ist daher in der Geschichte darauf zurückzu¬
kommen; doch bemüht sich besonders die Gegenwart, ihnen in dem Rahmen
des Sittenbildes die Erscheinung der bestimmten Wirklichkeit zu geben und
dennoch mit der malerischen Wirkung die poetische zu vereinigen.

Vor Allem aber geht die Kunst in die reiche Mannigfaltigkeit der Vergangen¬
heit zurück, welche ihr die Forschung nach allen Seiten im weitesten Umfange
Zugänglich gemacht hat. Nicht um bedeutende historische Momente auszu¬
suchen, sondern um in zuständlichen Situationen, die sich an die Geschichte
anlehnen, in Sitten und Gebräuchen. Costümen und Gerathen, dem ganzen
äußern Apparat »der Cultursormen Motive zu finden, die vor Allem malerisch
sind. Das Sittenbild tritt in breitester Ausdehnung ein. Eine tiefere


Grenzboten III. 1361. 59
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0475" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/112445"/>
            <p xml:id="ID_1526" prev="#ID_1525"> abwendet und an die wirkliche Gegenwart sich hält, stehen in verhältnißmäßig<lb/>
geringer Anzahl die Maler gegenüber, denen die Schönheit der Form<lb/>
Hauptgesetz ist und die auf den Stoff der alten Mythenwelt, die ideale<lb/>
menschliche Gestalt zurückgehen. Sie sind meistens aus der Schule von Rom<lb/>
hervorgegangen, haben sich an den großen italienischen Meistern gebildet und<lb/>
lehnen sich an die Meister der jüngstvergangenen Zeit an. Zum Theil wirken<lb/>
diese selbst noch mit guten, das reine Wesen der Kunst anstrebenden Werken<lb/>
in die Gegenwart herein; andrerseits bringen auch die Jüngeren, die das Nackte<lb/>
und den menschlichen Körper gründlich send.ire haben, manches Tüchtige her¬<lb/>
vor. Auch suchen diese hier und da die ideale Erscheinung zur volleren Wärme<lb/>
des sinnlichen Lebens in Bewegung und Farbe herauszubilden; die von nimm<lb/>
heraus beseelten, von einer schönen Lebenslust erfüllten Gestalten eines Gior-<lb/>
gione, Tizian und Correggio darf man freilich nicht im Sinne haben. Auch<lb/>
spielt hier bisweilen der unreine Reiz einer sinnlichen Absicht in die Kunst<lb/>
und verdirbt die Wirkung.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1527"> Daneben will dann ferner die Phantasie ihr Recht haben, die mit<lb/>
dieser herkömmlichen Welt des Schönen fast ebenso wenig anfangen kann, als<lb/>
mit jener Wirklichkeit. Der Spuk der Romantik ist noch nicht zu Grabe<lb/>
getragen und bringt im Rückschlag gegen die ptiantasielose Zeit noch manches<lb/>
Phantastische zu Tage; allerlei Nebelgestalten, die mehr in das Reich der<lb/>
Trümmer und Mährchen gehören, als in die bildende Kunst. Auch die Bilder,<lb/>
welche allgemein-menschliche Verhältnisse oder sittliche Zustünde allegorisch, aber<lb/>
mit der Absicht ergreifender Wirkung behandeln, gehören hierher. Endlich sucht<lb/>
der Maler, um der Ungunst des Zeitalters zu entgehen, nach Stoffen, die ihr<lb/>
Leben und ihre Bildung eigentlich erst von der Phantasie empfangen haben:<lb/>
er greift nach den Gestalten der Dichter, besonders sind es Dante's Epos,<lb/>
die mehr romantischen Dramen Shakespeare's und Goethe's Faust, aus denen<lb/>
sich der Krtnstler seine Motive holt: vor Allem sind Faust und Gleichen in<lb/>
überraschender Menge vertreten. Diese Neigung zu poetischen Stoffen geht<lb/>
in die Vergangenheit zurück und ist daher in der Geschichte darauf zurückzu¬<lb/>
kommen; doch bemüht sich besonders die Gegenwart, ihnen in dem Rahmen<lb/>
des Sittenbildes die Erscheinung der bestimmten Wirklichkeit zu geben und<lb/>
dennoch mit der malerischen Wirkung die poetische zu vereinigen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1528" next="#ID_1529"> Vor Allem aber geht die Kunst in die reiche Mannigfaltigkeit der Vergangen¬<lb/>
heit zurück, welche ihr die Forschung nach allen Seiten im weitesten Umfange<lb/>
Zugänglich gemacht hat. Nicht um bedeutende historische Momente auszu¬<lb/>
suchen, sondern um in zuständlichen Situationen, die sich an die Geschichte<lb/>
anlehnen, in Sitten und Gebräuchen. Costümen und Gerathen, dem ganzen<lb/>
äußern Apparat »der Cultursormen Motive zu finden, die vor Allem malerisch<lb/>
sind.  Das Sittenbild tritt in breitester Ausdehnung ein.  Eine tiefere</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 1361. 59</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0475] abwendet und an die wirkliche Gegenwart sich hält, stehen in verhältnißmäßig geringer Anzahl die Maler gegenüber, denen die Schönheit der Form Hauptgesetz ist und die auf den Stoff der alten Mythenwelt, die ideale menschliche Gestalt zurückgehen. Sie sind meistens aus der Schule von Rom hervorgegangen, haben sich an den großen italienischen Meistern gebildet und lehnen sich an die Meister der jüngstvergangenen Zeit an. Zum Theil wirken diese selbst noch mit guten, das reine Wesen der Kunst anstrebenden Werken in die Gegenwart herein; andrerseits bringen auch die Jüngeren, die das Nackte und den menschlichen Körper gründlich send.ire haben, manches Tüchtige her¬ vor. Auch suchen diese hier und da die ideale Erscheinung zur volleren Wärme des sinnlichen Lebens in Bewegung und Farbe herauszubilden; die von nimm heraus beseelten, von einer schönen Lebenslust erfüllten Gestalten eines Gior- gione, Tizian und Correggio darf man freilich nicht im Sinne haben. Auch spielt hier bisweilen der unreine Reiz einer sinnlichen Absicht in die Kunst und verdirbt die Wirkung. Daneben will dann ferner die Phantasie ihr Recht haben, die mit dieser herkömmlichen Welt des Schönen fast ebenso wenig anfangen kann, als mit jener Wirklichkeit. Der Spuk der Romantik ist noch nicht zu Grabe getragen und bringt im Rückschlag gegen die ptiantasielose Zeit noch manches Phantastische zu Tage; allerlei Nebelgestalten, die mehr in das Reich der Trümmer und Mährchen gehören, als in die bildende Kunst. Auch die Bilder, welche allgemein-menschliche Verhältnisse oder sittliche Zustünde allegorisch, aber mit der Absicht ergreifender Wirkung behandeln, gehören hierher. Endlich sucht der Maler, um der Ungunst des Zeitalters zu entgehen, nach Stoffen, die ihr Leben und ihre Bildung eigentlich erst von der Phantasie empfangen haben: er greift nach den Gestalten der Dichter, besonders sind es Dante's Epos, die mehr romantischen Dramen Shakespeare's und Goethe's Faust, aus denen sich der Krtnstler seine Motive holt: vor Allem sind Faust und Gleichen in überraschender Menge vertreten. Diese Neigung zu poetischen Stoffen geht in die Vergangenheit zurück und ist daher in der Geschichte darauf zurückzu¬ kommen; doch bemüht sich besonders die Gegenwart, ihnen in dem Rahmen des Sittenbildes die Erscheinung der bestimmten Wirklichkeit zu geben und dennoch mit der malerischen Wirkung die poetische zu vereinigen. Vor Allem aber geht die Kunst in die reiche Mannigfaltigkeit der Vergangen¬ heit zurück, welche ihr die Forschung nach allen Seiten im weitesten Umfange Zugänglich gemacht hat. Nicht um bedeutende historische Momente auszu¬ suchen, sondern um in zuständlichen Situationen, die sich an die Geschichte anlehnen, in Sitten und Gebräuchen. Costümen und Gerathen, dem ganzen äußern Apparat »der Cultursormen Motive zu finden, die vor Allem malerisch sind. Das Sittenbild tritt in breitester Ausdehnung ein. Eine tiefere Grenzboten III. 1361. 59

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/475
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/475>, abgerufen am 26.08.2024.