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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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zu werden, mag ihr selber der große Sinn für ein erhöhtes Leben fehlen:
sie scheint sogar auf bloße Versuche verzichtet zu haben.

Ein Maler aus der frühern fruchtbaren Zeit, da man noch die Säle zu
Versailles mit historischen Bildern zu Dutzenden füllte, Eugen Deveria, hat
den Empfang des Columbus durch Ferdinand und Isabella dargestellt. Der
ganze Hofstaat in prächtig leuchtendem Costüm, die civilisirte und wilde Be-
gleitung des Seefahrers, ja, was beide Welten Schönes und Merkwürdiges
haben, ist auf dem Bilde zusammengedrängt; die Menschen sind unter dem
lärmenden, glänzenden Beiwerk erstickt, das grelle Feuer der Farbe hat jeden
Ausdruck, jede Individualität verzehrt. Die welthistorische Bedeutung des
Columbus läßt sich mit dem besten Willen nicht einmal ahnen. Bilder der
Art, in denen die Bedeutung eines Vorganges durch das Heraustreten der
äußeren Dinge vollständig verschüttet wird, sind übrigens in Frankreich seltener
als bei uns. -- Was sonst noch von großen Bildern nach Geschichte aus¬
sieht, ist geschichtliches, oft nur anekdotenhaftes Genre. Bemerkbar macht sich
eine Episode aus der jüngsten syrischen Christenverfolgung von Emil Lason
(dem wir schon oben begegnet haben). Daß sie in der Gegenwart spielen,
macht die häßlichen Wirren des Orients und die brutale Wildheit eines in
der Zersetzung begriffenen Volkes nicht historisch bedeutend, daß sie im male¬
rischen Morgenland spielen, nicht zum günstigen Motiv für den Künstler.
Hier zeigt sich gleich die Schattenseite der Stoffe aus der Gegenwart. Die
gesittete Welt wird wol noch malerisch, aber meistens nur in dem wider¬
wärtigen, oft empörenden Kampf mit der Barbarei eines zwar in seiner äußern
Erscheinung noch ästhetischen aber ausgelebten Volkes, das sich als rohe Natur
der Gesittung entgegenwirft. Derlei "grausame Begebenheiten" ist man
gewohnt, auf Jahrmärkten als Illustrationen zu herzzerreißenden Volksliedern
zu sehen. Uebrigens ist die Geschicklichkeit des Künstlers in der dramatischen
Belebung des Vorgangs, im heftigen Schwunge der Bewegung, im Nackten,
in der Energie der Formen- und Farbengebung anzuerkennen, obwol zur Boll¬
endung noch vieles fehlt. Das Bild hat die Gluth und den Wurf des
wirklichen Lebens, der Gegensatz zwischen den schönen fast nackten Frauen
und der wuchtigen Wildheit der in den Tempel dringenden Mörder -- wovon
Einer zu Pferde -- thut seine Wirkung/)

Auch in Deutschland werden Greuelscenen gemalt, man sucht Vorgänge
auf, deren bloßer Anblick Eindruck macht, und wählt das Grüßliche. Aber
der Maler sorgt dafür, daß den Beschauer die Wirkung nicht überwältige; die
lahme und mangelhafte Erscheinung des Bildes schwächt dieselbe so ab, daß
sie der Phantasie unschädlich wird. Geht man einmal darauf aus, die Seele



") Ein Gemetzel von noch größerem Format (Motiv: eine unbekannte Episode aus der
Geschichte von Lothringen) v, Bayer ist der Erwähnung nicht werth.

zu werden, mag ihr selber der große Sinn für ein erhöhtes Leben fehlen:
sie scheint sogar auf bloße Versuche verzichtet zu haben.

Ein Maler aus der frühern fruchtbaren Zeit, da man noch die Säle zu
Versailles mit historischen Bildern zu Dutzenden füllte, Eugen Deveria, hat
den Empfang des Columbus durch Ferdinand und Isabella dargestellt. Der
ganze Hofstaat in prächtig leuchtendem Costüm, die civilisirte und wilde Be-
gleitung des Seefahrers, ja, was beide Welten Schönes und Merkwürdiges
haben, ist auf dem Bilde zusammengedrängt; die Menschen sind unter dem
lärmenden, glänzenden Beiwerk erstickt, das grelle Feuer der Farbe hat jeden
Ausdruck, jede Individualität verzehrt. Die welthistorische Bedeutung des
Columbus läßt sich mit dem besten Willen nicht einmal ahnen. Bilder der
Art, in denen die Bedeutung eines Vorganges durch das Heraustreten der
äußeren Dinge vollständig verschüttet wird, sind übrigens in Frankreich seltener
als bei uns. — Was sonst noch von großen Bildern nach Geschichte aus¬
sieht, ist geschichtliches, oft nur anekdotenhaftes Genre. Bemerkbar macht sich
eine Episode aus der jüngsten syrischen Christenverfolgung von Emil Lason
(dem wir schon oben begegnet haben). Daß sie in der Gegenwart spielen,
macht die häßlichen Wirren des Orients und die brutale Wildheit eines in
der Zersetzung begriffenen Volkes nicht historisch bedeutend, daß sie im male¬
rischen Morgenland spielen, nicht zum günstigen Motiv für den Künstler.
Hier zeigt sich gleich die Schattenseite der Stoffe aus der Gegenwart. Die
gesittete Welt wird wol noch malerisch, aber meistens nur in dem wider¬
wärtigen, oft empörenden Kampf mit der Barbarei eines zwar in seiner äußern
Erscheinung noch ästhetischen aber ausgelebten Volkes, das sich als rohe Natur
der Gesittung entgegenwirft. Derlei „grausame Begebenheiten" ist man
gewohnt, auf Jahrmärkten als Illustrationen zu herzzerreißenden Volksliedern
zu sehen. Uebrigens ist die Geschicklichkeit des Künstlers in der dramatischen
Belebung des Vorgangs, im heftigen Schwunge der Bewegung, im Nackten,
in der Energie der Formen- und Farbengebung anzuerkennen, obwol zur Boll¬
endung noch vieles fehlt. Das Bild hat die Gluth und den Wurf des
wirklichen Lebens, der Gegensatz zwischen den schönen fast nackten Frauen
und der wuchtigen Wildheit der in den Tempel dringenden Mörder — wovon
Einer zu Pferde — thut seine Wirkung/)

Auch in Deutschland werden Greuelscenen gemalt, man sucht Vorgänge
auf, deren bloßer Anblick Eindruck macht, und wählt das Grüßliche. Aber
der Maler sorgt dafür, daß den Beschauer die Wirkung nicht überwältige; die
lahme und mangelhafte Erscheinung des Bildes schwächt dieselbe so ab, daß
sie der Phantasie unschädlich wird. Geht man einmal darauf aus, die Seele



") Ein Gemetzel von noch größerem Format (Motiv: eine unbekannte Episode aus der
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/460>, abgerufen am 22.07.2024.