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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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zu werden, auf welche Weise eine solche Auffassung des Kampfes einer über¬
wiegend protestantischen Bürgerschaft gegen eine ihr octroyirte Jesuitenschule,
deren sehr praktische Tendenzen doch Niemandem ein Geheimniß waren, sich
würde rechtfertigen lassen, und nicht minder mußten wir gespannt werden auf
den Nachweis, in wie fern die Patres der Leopoldina das geforderte Ideal:
"auf der königlichen Höhe des in der Wahrheit frei gewordenen Geistes zu
stehen", erreicht haben sollten.

Nach einigen Erörterungen über die Anfänge deutscher Cultur in Schlesien,
und über die Entwicklung der Domschule zu Breslau kommt der Verfasser
auf Seite 7 zu dem i. I. 1505 von den Breslauern betriebenen Projecte
der Gründung einer Universität in ihrer Stadt. Als Ursache zu diesem Ver¬
langen sieht er die von den Breslauern in den Kämpfen gegen Podiebrad
mit Heldenmuth bethätigte "Liebe zum wahren Glauben" an. welche in
Breslau in der Hochschule sich eine geistige Schutzwehr gegen die hussi-
tische Ketzerei hätte schaffen wollen. Aufrichtig beklagt er dann das Scheitern
dieses Projectes. welches die Schwierigkeit, eine geeignete Dotation zu finden,
und die mangelnde Hingebung des einheimischen Klerus verschuldet. Die
Universität wäre damals ins Leben getreten, sagt der Verfasser Seite 17. hätte
die Stadt damals Männer, namentlich Geistliche gehabt, "in denen der Geist
der Universitäten lebendig gewesen wäre. -- Und dann würden Dr. Haß und
Dr. Moldau in Schlesien schwerlich berühmt sein;" mit andern Worten.
Schlesien würde vor der Reformation behütet worden sein. Da müssen mir
doch alles Ernstes Protest erheben. Daß der Geist der Universitäten, das ist
doch kein andrer als der Geist der freien Wissenschaft, oder, um mit den
Worten des Verfassers zu reden, "der in der Wahrheit freigewordne Geist",
dem Principe des Protestantismus hätte feindlich entgegentreten sollen und
eine Schutzwehr bilden für einen starren Autoritätsglauben, das ist wirklich
schwer denkbar. -- Aber auch noch nach einer andern Seite erregt jene
Darstellung Bedenken. In der mit der vorliegenden Schrift gleichzeitig
erschienenen Geschichte Breslau's unter den Piaster von C. Grünhagen
lesen wir S. 93 ff. von der unkirchlichen Gesinnung der Breslauer im vier¬
zehnten Jahrhundert, wie sie im Bewußtsein ihrer vollständigen Unabhängig'
keit von der bischöflichen Gewalt dieser auch auf dem geistlichen Gebiete aus
das Keckste widerstreben, Bann und Interdict für Nichts achten, allerlei
Ketzereien begünstigen ze. und dieselbe Bürgerschaft erscheint nun ein Jahr¬
hundert später als die eifrigste Vertheidigerin des strengen Kirchenglaubens,
in den Kämpfen gegen Podiebrad orthodoxer als der Bischof, ja als der
Papst selbst. Noch 1505 schwärmen sie für Errichtung einer Universität, wie
der Verfasser sagt, zum Schutze gegen die hussitische Ketzerei, während diesel¬
ben Bürger nur zwanzig Jahre später mit seltner Einmütigkeit sich der


zu werden, auf welche Weise eine solche Auffassung des Kampfes einer über¬
wiegend protestantischen Bürgerschaft gegen eine ihr octroyirte Jesuitenschule,
deren sehr praktische Tendenzen doch Niemandem ein Geheimniß waren, sich
würde rechtfertigen lassen, und nicht minder mußten wir gespannt werden auf
den Nachweis, in wie fern die Patres der Leopoldina das geforderte Ideal:
„auf der königlichen Höhe des in der Wahrheit frei gewordenen Geistes zu
stehen", erreicht haben sollten.

Nach einigen Erörterungen über die Anfänge deutscher Cultur in Schlesien,
und über die Entwicklung der Domschule zu Breslau kommt der Verfasser
auf Seite 7 zu dem i. I. 1505 von den Breslauern betriebenen Projecte
der Gründung einer Universität in ihrer Stadt. Als Ursache zu diesem Ver¬
langen sieht er die von den Breslauern in den Kämpfen gegen Podiebrad
mit Heldenmuth bethätigte „Liebe zum wahren Glauben" an. welche in
Breslau in der Hochschule sich eine geistige Schutzwehr gegen die hussi-
tische Ketzerei hätte schaffen wollen. Aufrichtig beklagt er dann das Scheitern
dieses Projectes. welches die Schwierigkeit, eine geeignete Dotation zu finden,
und die mangelnde Hingebung des einheimischen Klerus verschuldet. Die
Universität wäre damals ins Leben getreten, sagt der Verfasser Seite 17. hätte
die Stadt damals Männer, namentlich Geistliche gehabt, „in denen der Geist
der Universitäten lebendig gewesen wäre. — Und dann würden Dr. Haß und
Dr. Moldau in Schlesien schwerlich berühmt sein;" mit andern Worten.
Schlesien würde vor der Reformation behütet worden sein. Da müssen mir
doch alles Ernstes Protest erheben. Daß der Geist der Universitäten, das ist
doch kein andrer als der Geist der freien Wissenschaft, oder, um mit den
Worten des Verfassers zu reden, „der in der Wahrheit freigewordne Geist",
dem Principe des Protestantismus hätte feindlich entgegentreten sollen und
eine Schutzwehr bilden für einen starren Autoritätsglauben, das ist wirklich
schwer denkbar. — Aber auch noch nach einer andern Seite erregt jene
Darstellung Bedenken. In der mit der vorliegenden Schrift gleichzeitig
erschienenen Geschichte Breslau's unter den Piaster von C. Grünhagen
lesen wir S. 93 ff. von der unkirchlichen Gesinnung der Breslauer im vier¬
zehnten Jahrhundert, wie sie im Bewußtsein ihrer vollständigen Unabhängig'
keit von der bischöflichen Gewalt dieser auch auf dem geistlichen Gebiete aus
das Keckste widerstreben, Bann und Interdict für Nichts achten, allerlei
Ketzereien begünstigen ze. und dieselbe Bürgerschaft erscheint nun ein Jahr¬
hundert später als die eifrigste Vertheidigerin des strengen Kirchenglaubens,
in den Kämpfen gegen Podiebrad orthodoxer als der Bischof, ja als der
Papst selbst. Noch 1505 schwärmen sie für Errichtung einer Universität, wie
der Verfasser sagt, zum Schutze gegen die hussitische Ketzerei, während diesel¬
ben Bürger nur zwanzig Jahre später mit seltner Einmütigkeit sich der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/452>, abgerufen am 03.07.2024.