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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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einer bestimmten Frist starb. Eine höchst seltsame Einrichtung war dagegen
die, daß die Cagots auf jeden Laib Brod ein Recht hatten, der auf der obe¬
ren Seite und mit dem angeschnittenen Theile nach der Thür zu lag. Er¬
blickten sie in einem Hause einen in dieser Weise hingelegten Laib Brod,
so waren sie berechtigt einzutreten und denselben mitzunehmen. Vor ungefähr
dreißig Jahren noch hing in einer Bretagnischen Kirche (grübe wie sogar
noch jetzt in der Theinkirche in Prag die Hand eines Kirchenräubers aufge¬
hängt ist) in der Nähe der Stadt Quimperle, das Skelet einer Hand. Es
sollte dies die Hand eines reichen Cagots sein, der zu Anfang der Negierung
Ludwigs des Sechzehnten es gewagt hatte. Weihwasser aus dem gewöhnlichen
Becken zu nehmen. Ein alter Soldat hatte dies wahrgenommen und legte
sich auf die Lauer. Als der Frevler sich nun wieder in böser Absicht dem
Weihwasserbecken nahete. hieb er ihm die Hand ab und hing sie blutend
als Sühnopfer für den beleidigten Heiligen in der Kirche auf.

Den Bretagnischen Cagots erschien ihr Name höchst schimpflich; daher
kamen sie in einer Bittschrift darum em. nicht mehr Cagots, sondern Melandrins
genannt zu werden. Noch heutigen Tages ist der Name "Cagots" ihnen ver¬
haßt, und sie haben es lieber, wenn man sie Melandrins nennt.

Unter den vielen Thatsachen, die vom dreizehnten bis gegen Ende des
achtzehnten Jahrhunderts den Abscheu gegen die unglückliche Race (mögen sie
nun in den Pyrenäendistricten Cagots oder Gahcts, Caqueaux in der Bretagne
oder Vaqueros in Asturien heißen) beweisen, wollen wir nur noch einige anführen,
die zugleich zeigen, wie nach und nach die Gesetze auf die Seite der Unterdrück¬
ten traten und ihnen Rechte einräumten. Zu Biarritz lebte um's Jahr
ein reicher Müller, Etienne Arnauld mit Namen, der ein Cagotmädchcn aus
diesem Orte zur Frau nahm. Etienne Arnauld. der wohlhabendste Mann in
der ganzen Gemeinde, sah keinen Grund, warum er in der Kirche mit seiner
jungen Frau an der Thür stehen, und in der Gemeinde kein öffentliches Amt
bekleiden sollte. Er richtete demzufolge eine Bittschrift an die gesetzlichen Be¬
hörden, des Inhalts, daß es ihm und seiner Frau doch erlaubt werden
möchte, in der Kirche auf der Gallerie unter den übrigen Einwohnern zu sitzen,
mit denen er auch Gleichstellung in bürgerlicher Beziehung beanspruche. Der
Baillie (oberste Gerichtsperson) von Labourd schlug ihm dies ab. Gegen
dieses Erkenntniß jedoch kam Etienne Arnauld ein und verfolgte überhaupt
sein Recht sehr nachdrücklich. Darauf hin hielt die Einwohnerschaft von Biar¬
ritz, hundertfunfzig Köpfe stark, unter freiem Himmel eine Versammlung,
der sie das Benehmen des Baillie vollkommen billigte und ihren Sachwal'
tern volle Macht gab, die Sache der reinen Race gegen jenen Fremden ZU
vertheidigen, der durch seine Heirath aus der Gesellschaft ausgeschlossen sei.


einer bestimmten Frist starb. Eine höchst seltsame Einrichtung war dagegen
die, daß die Cagots auf jeden Laib Brod ein Recht hatten, der auf der obe¬
ren Seite und mit dem angeschnittenen Theile nach der Thür zu lag. Er¬
blickten sie in einem Hause einen in dieser Weise hingelegten Laib Brod,
so waren sie berechtigt einzutreten und denselben mitzunehmen. Vor ungefähr
dreißig Jahren noch hing in einer Bretagnischen Kirche (grübe wie sogar
noch jetzt in der Theinkirche in Prag die Hand eines Kirchenräubers aufge¬
hängt ist) in der Nähe der Stadt Quimperle, das Skelet einer Hand. Es
sollte dies die Hand eines reichen Cagots sein, der zu Anfang der Negierung
Ludwigs des Sechzehnten es gewagt hatte. Weihwasser aus dem gewöhnlichen
Becken zu nehmen. Ein alter Soldat hatte dies wahrgenommen und legte
sich auf die Lauer. Als der Frevler sich nun wieder in böser Absicht dem
Weihwasserbecken nahete. hieb er ihm die Hand ab und hing sie blutend
als Sühnopfer für den beleidigten Heiligen in der Kirche auf.

Den Bretagnischen Cagots erschien ihr Name höchst schimpflich; daher
kamen sie in einer Bittschrift darum em. nicht mehr Cagots, sondern Melandrins
genannt zu werden. Noch heutigen Tages ist der Name „Cagots" ihnen ver¬
haßt, und sie haben es lieber, wenn man sie Melandrins nennt.

Unter den vielen Thatsachen, die vom dreizehnten bis gegen Ende des
achtzehnten Jahrhunderts den Abscheu gegen die unglückliche Race (mögen sie
nun in den Pyrenäendistricten Cagots oder Gahcts, Caqueaux in der Bretagne
oder Vaqueros in Asturien heißen) beweisen, wollen wir nur noch einige anführen,
die zugleich zeigen, wie nach und nach die Gesetze auf die Seite der Unterdrück¬
ten traten und ihnen Rechte einräumten. Zu Biarritz lebte um's Jahr
ein reicher Müller, Etienne Arnauld mit Namen, der ein Cagotmädchcn aus
diesem Orte zur Frau nahm. Etienne Arnauld. der wohlhabendste Mann in
der ganzen Gemeinde, sah keinen Grund, warum er in der Kirche mit seiner
jungen Frau an der Thür stehen, und in der Gemeinde kein öffentliches Amt
bekleiden sollte. Er richtete demzufolge eine Bittschrift an die gesetzlichen Be¬
hörden, des Inhalts, daß es ihm und seiner Frau doch erlaubt werden
möchte, in der Kirche auf der Gallerie unter den übrigen Einwohnern zu sitzen,
mit denen er auch Gleichstellung in bürgerlicher Beziehung beanspruche. Der
Baillie (oberste Gerichtsperson) von Labourd schlug ihm dies ab. Gegen
dieses Erkenntniß jedoch kam Etienne Arnauld ein und verfolgte überhaupt
sein Recht sehr nachdrücklich. Darauf hin hielt die Einwohnerschaft von Biar¬
ritz, hundertfunfzig Köpfe stark, unter freiem Himmel eine Versammlung,
der sie das Benehmen des Baillie vollkommen billigte und ihren Sachwal'
tern volle Macht gab, die Sache der reinen Race gegen jenen Fremden ZU
vertheidigen, der durch seine Heirath aus der Gesellschaft ausgeschlossen sei.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/436>, abgerufen am 22.07.2024.