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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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sowol der Besuch der öffentlichen Schenkhäuser, als auel das Wasserschöpfen
aus den Brunnen der Stadt war ihm untersagt. Nur aus dem in ihrem schmutzi¬
gen Dorfe befindlichen Brunnen durften sie trinken. Kam ein Cagotweib an
einem andern als dem Montage in die Stadt, um Einkäufe zu besorgen, so
feste sie sich der Gefahr aus hinausgepeitscht zu werden.

Weit strenger als irgendwo trat das Vorurtheil, und eine Zeit lang auch
die Gesetze im Baskenlnndc gegen die Cagots auf. Schafe durste der
bnskische Cagot nicht halten, ein Schwein war ihm gestaltet; doch hatte
dasselbe kein Weiderecht. Für den Esel, das einzige Thier, dessen Besitz ihm
noch erlaubt war. durfte er etwas Gras abmähen; doch war dieser Esel für
den Unterdrücker eher als für den Unterdrückten von Nutzen, da jener ihn
"is beuemes Transportmittel fortwährend in Anspruch nahm.

Der Staat stieß sie von sich. Auch nicht einmal den geringsten öffentlichen
Posten konnten sie bekleiden. Von der Kirche wurden sie kaum geduldet, ob-
schon sie gute Katholiken und eifrige Besucher der Messe waren. Die Kirchen
durften sie nur durch schmale und sehr niedrige, besonders für sie hergerichtete
Thüren betreten, durch die nie ein anderer Mensch ging. In der Kirche selbst
hatten sie von den übrigen Leuten entfernt ihren bestimmten Platz in der
Nähe der Thüre. Ebenso hatten sie ihr eigenes Weihwasser. Vom Genuß
des heiligen Abendmahls waren sie ausgeschlossen. Nur in einigen toleran¬
teren Pyrenäendörfern ward den Cagots vomMiester auf einer langen hölzer¬
nen Gabel ans einer gewissen Entfernung das geweihte Brod dargereicht. Siarb
e>n Cagot. so ward er auf einem an der Nordseite des Kirchhofs gelegenen
^egräbnißplatze beerdigt. Doch nicht genug, daß er bei Lebzeiten durch harte
Verordnungen und Bestimmungen so gedrückt wurde, daß er nicht im Stande
war seinen Kindern viel Vermögen zu hinterlassen: noch im Tode hörte
der Druck nicht auf. denn gewisse Theile der Hinterlassenschaft waren der Ge¬
meinde verfallen, ähnlich wie in Deutschland das s. g. Sterbelehen, oder der
Sterbefall in dienender Hand.¬

Bei einer so grausamen Behandlung muß es uns ganz natürlich er
scheinen, wenn dieses gequälte Volt zu Zeiten sich gegen seine Unterdrücker
^hob und blutig den Frevel rächte, den man an ihnen verübte. So erhoben
''es z. B. zu Anfang des vorigen Jahrhunderts in dem Departement der
Hochpyrcnüen die Cagots von Rehouilhes gegen die Einwohner der benach-
b"dem Stadt Lourdes. Durch Zauberkünste hatten sie. wie man behauptete,
^ angeseheneren Theil der Einwohner für sich gewonnen, und so gelang
^ ihnen, das Volk von Lourdes zu besiegen. Die blutigen Köpfe der Er¬
logenen dienten den Cagots als Kegelkugeln. Die Behörden, se. es. daß
^ durch eine harte Bestrafung den gemißhandelten Stamm noch mehr^aus¬
heienae aus Menchlichkeit die Schwere des auf den


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sowol der Besuch der öffentlichen Schenkhäuser, als auel das Wasserschöpfen
aus den Brunnen der Stadt war ihm untersagt. Nur aus dem in ihrem schmutzi¬
gen Dorfe befindlichen Brunnen durften sie trinken. Kam ein Cagotweib an
einem andern als dem Montage in die Stadt, um Einkäufe zu besorgen, so
feste sie sich der Gefahr aus hinausgepeitscht zu werden.

Weit strenger als irgendwo trat das Vorurtheil, und eine Zeit lang auch
die Gesetze im Baskenlnndc gegen die Cagots auf. Schafe durste der
bnskische Cagot nicht halten, ein Schwein war ihm gestaltet; doch hatte
dasselbe kein Weiderecht. Für den Esel, das einzige Thier, dessen Besitz ihm
noch erlaubt war. durfte er etwas Gras abmähen; doch war dieser Esel für
den Unterdrücker eher als für den Unterdrückten von Nutzen, da jener ihn
»is beuemes Transportmittel fortwährend in Anspruch nahm.

Der Staat stieß sie von sich. Auch nicht einmal den geringsten öffentlichen
Posten konnten sie bekleiden. Von der Kirche wurden sie kaum geduldet, ob-
schon sie gute Katholiken und eifrige Besucher der Messe waren. Die Kirchen
durften sie nur durch schmale und sehr niedrige, besonders für sie hergerichtete
Thüren betreten, durch die nie ein anderer Mensch ging. In der Kirche selbst
hatten sie von den übrigen Leuten entfernt ihren bestimmten Platz in der
Nähe der Thüre. Ebenso hatten sie ihr eigenes Weihwasser. Vom Genuß
des heiligen Abendmahls waren sie ausgeschlossen. Nur in einigen toleran¬
teren Pyrenäendörfern ward den Cagots vomMiester auf einer langen hölzer¬
nen Gabel ans einer gewissen Entfernung das geweihte Brod dargereicht. Siarb
e>n Cagot. so ward er auf einem an der Nordseite des Kirchhofs gelegenen
^egräbnißplatze beerdigt. Doch nicht genug, daß er bei Lebzeiten durch harte
Verordnungen und Bestimmungen so gedrückt wurde, daß er nicht im Stande
war seinen Kindern viel Vermögen zu hinterlassen: noch im Tode hörte
der Druck nicht auf. denn gewisse Theile der Hinterlassenschaft waren der Ge¬
meinde verfallen, ähnlich wie in Deutschland das s. g. Sterbelehen, oder der
Sterbefall in dienender Hand.¬

Bei einer so grausamen Behandlung muß es uns ganz natürlich er
scheinen, wenn dieses gequälte Volt zu Zeiten sich gegen seine Unterdrücker
^hob und blutig den Frevel rächte, den man an ihnen verübte. So erhoben
''es z. B. zu Anfang des vorigen Jahrhunderts in dem Departement der
Hochpyrcnüen die Cagots von Rehouilhes gegen die Einwohner der benach-
b«dem Stadt Lourdes. Durch Zauberkünste hatten sie. wie man behauptete,
^ angeseheneren Theil der Einwohner für sich gewonnen, und so gelang
^ ihnen, das Volk von Lourdes zu besiegen. Die blutigen Köpfe der Er¬
logenen dienten den Cagots als Kegelkugeln. Die Behörden, se. es. daß
^ durch eine harte Bestrafung den gemißhandelten Stamm noch mehr^aus¬
heienae aus Menchlichkeit die Schwere des auf den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/405>, abgerufen am 03.07.2024.