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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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ganz reif. Sie hat aber vor Allem das Gute, daß der Franzose, sobald ein¬
mal die Zeit der Anschauung und Phantasie des Malers günstiger entgegen¬
kommt, nicht müßig und unschlüssig dastehen, sondern rasch zupacken und
den glücklichen Moment glücklich benutzen wird. Hat bis dahin der Deutsche
das Versäumte nicht eifrig und fleißig nachgeholt, so wird er das Zusehen
haben, und die schöne Welt, die er mit geschickten Händen leicht hätte fassen
können, wird vor seinen blöden Augen wie ein Traum vorüberziehen.

So wäre ein neues Aufblühen der Kunst doch wol noch denkbar. Dringt
der menschliche Geist zu öffentlichen Lebensformen durch, die sein Wesen be¬
stimmt und voll ausprägen, wird er endlich mit den großen Fragen, die ihn
hin- und hertreiben, fertig, so werden auch die Menschen und Sitten wieder
ein entschiedenes, festliches, frohes Aussehen haben, das Innere wird sich wie¬
der in Form und Farbe ergießen; und gehoben durch die frische, gesunde
Kraft der Gegenwart, wird die Phantasie auch in der Vergangenheit das
Rechte herausfinden, die Anschauung in den schönen bunten Formen der¬
selben bequem sich bewegen können. Dann mögen Realismus und Idealis¬
mus und wie sonst die Richtungen einer spaltenden Reflexion heißen mögen,
friedlich in einander wirken; denn die Realität wird in die Phantasie ein¬
gehen und die ideale Welt von der gebildeten Anschauung Leben und Bewe¬
gung erhalten. --

Vorerst steht das freilich in noch weitem Felde und die Gegenwart bietet auch
in Frankreich geringen Trost. Sie hat wol die Sicherheit und Geschicklichkeit des
Mächens. aber sie bringt wenig Neues und Eigenthümliches hervor, das zugleich
auf eine bleibende Bedeutung Anspruch machen könnte: die meisten Richtungen der
mannigfach zerklüfteten Kunst erscheinen als Ausläufer einer eben vergangenen
Blüte. Viel Interessantes, wenig Großes und Ergreifendes! Wenig?
Selbst dies Wenige ist zweifelhaft. Die neueste Ausstellung und was sonst
in den letzten Jahren hervorgebracht wurde, weisen auf den raschen Aufschwung
in den verflossenen Jahrzehnten zurück. Zu einer selbständigen Beachtung regt
aus der großen Masse, in der das Auge nur allmälig sich zurechtfinden kann,
bloß Einzelnes an. Was Derartiges und was sonst von hervorragende"
Werken ganzer der Zeit eigenthümlicher Gattungen den Blick anzieht und si's'
seit, ist der näheren Betrachtung werth, und bedeutende Talente, die sich, "b-
ook vereinzelt, noch immer finden, wollen für sich genommen werden. Das
Uebrige ist nur in ganze Klassen zusammengefaßt, von Interesse. Das E>ne
aber wie das Andere steht im geschichtlichen Zusammenhang mit den schul¬
bildenden und bahnbrechenden Meistern und Werken der jüngsten Vergangen'
heit. Dieser, der geschichtliche Fortgang, die Entwicklung der französisch"'
Kunst seit David bildet unser Hauptaugenmerk: sie sind für die gan^
moderne Kunst von epochemachender Bedeutung. Nur nehmen wir die neues


ganz reif. Sie hat aber vor Allem das Gute, daß der Franzose, sobald ein¬
mal die Zeit der Anschauung und Phantasie des Malers günstiger entgegen¬
kommt, nicht müßig und unschlüssig dastehen, sondern rasch zupacken und
den glücklichen Moment glücklich benutzen wird. Hat bis dahin der Deutsche
das Versäumte nicht eifrig und fleißig nachgeholt, so wird er das Zusehen
haben, und die schöne Welt, die er mit geschickten Händen leicht hätte fassen
können, wird vor seinen blöden Augen wie ein Traum vorüberziehen.

So wäre ein neues Aufblühen der Kunst doch wol noch denkbar. Dringt
der menschliche Geist zu öffentlichen Lebensformen durch, die sein Wesen be¬
stimmt und voll ausprägen, wird er endlich mit den großen Fragen, die ihn
hin- und hertreiben, fertig, so werden auch die Menschen und Sitten wieder
ein entschiedenes, festliches, frohes Aussehen haben, das Innere wird sich wie¬
der in Form und Farbe ergießen; und gehoben durch die frische, gesunde
Kraft der Gegenwart, wird die Phantasie auch in der Vergangenheit das
Rechte herausfinden, die Anschauung in den schönen bunten Formen der¬
selben bequem sich bewegen können. Dann mögen Realismus und Idealis¬
mus und wie sonst die Richtungen einer spaltenden Reflexion heißen mögen,
friedlich in einander wirken; denn die Realität wird in die Phantasie ein¬
gehen und die ideale Welt von der gebildeten Anschauung Leben und Bewe¬
gung erhalten. —

Vorerst steht das freilich in noch weitem Felde und die Gegenwart bietet auch
in Frankreich geringen Trost. Sie hat wol die Sicherheit und Geschicklichkeit des
Mächens. aber sie bringt wenig Neues und Eigenthümliches hervor, das zugleich
auf eine bleibende Bedeutung Anspruch machen könnte: die meisten Richtungen der
mannigfach zerklüfteten Kunst erscheinen als Ausläufer einer eben vergangenen
Blüte. Viel Interessantes, wenig Großes und Ergreifendes! Wenig?
Selbst dies Wenige ist zweifelhaft. Die neueste Ausstellung und was sonst
in den letzten Jahren hervorgebracht wurde, weisen auf den raschen Aufschwung
in den verflossenen Jahrzehnten zurück. Zu einer selbständigen Beachtung regt
aus der großen Masse, in der das Auge nur allmälig sich zurechtfinden kann,
bloß Einzelnes an. Was Derartiges und was sonst von hervorragende»
Werken ganzer der Zeit eigenthümlicher Gattungen den Blick anzieht und si's'
seit, ist der näheren Betrachtung werth, und bedeutende Talente, die sich, "b-
ook vereinzelt, noch immer finden, wollen für sich genommen werden. Das
Uebrige ist nur in ganze Klassen zusammengefaßt, von Interesse. Das E>ne
aber wie das Andere steht im geschichtlichen Zusammenhang mit den schul¬
bildenden und bahnbrechenden Meistern und Werken der jüngsten Vergangen'
heit. Dieser, der geschichtliche Fortgang, die Entwicklung der französisch"'
Kunst seit David bildet unser Hauptaugenmerk: sie sind für die gan^
moderne Kunst von epochemachender Bedeutung. Nur nehmen wir die neues


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[0388] ganz reif. Sie hat aber vor Allem das Gute, daß der Franzose, sobald ein¬ mal die Zeit der Anschauung und Phantasie des Malers günstiger entgegen¬ kommt, nicht müßig und unschlüssig dastehen, sondern rasch zupacken und den glücklichen Moment glücklich benutzen wird. Hat bis dahin der Deutsche das Versäumte nicht eifrig und fleißig nachgeholt, so wird er das Zusehen haben, und die schöne Welt, die er mit geschickten Händen leicht hätte fassen können, wird vor seinen blöden Augen wie ein Traum vorüberziehen. So wäre ein neues Aufblühen der Kunst doch wol noch denkbar. Dringt der menschliche Geist zu öffentlichen Lebensformen durch, die sein Wesen be¬ stimmt und voll ausprägen, wird er endlich mit den großen Fragen, die ihn hin- und hertreiben, fertig, so werden auch die Menschen und Sitten wieder ein entschiedenes, festliches, frohes Aussehen haben, das Innere wird sich wie¬ der in Form und Farbe ergießen; und gehoben durch die frische, gesunde Kraft der Gegenwart, wird die Phantasie auch in der Vergangenheit das Rechte herausfinden, die Anschauung in den schönen bunten Formen der¬ selben bequem sich bewegen können. Dann mögen Realismus und Idealis¬ mus und wie sonst die Richtungen einer spaltenden Reflexion heißen mögen, friedlich in einander wirken; denn die Realität wird in die Phantasie ein¬ gehen und die ideale Welt von der gebildeten Anschauung Leben und Bewe¬ gung erhalten. — Vorerst steht das freilich in noch weitem Felde und die Gegenwart bietet auch in Frankreich geringen Trost. Sie hat wol die Sicherheit und Geschicklichkeit des Mächens. aber sie bringt wenig Neues und Eigenthümliches hervor, das zugleich auf eine bleibende Bedeutung Anspruch machen könnte: die meisten Richtungen der mannigfach zerklüfteten Kunst erscheinen als Ausläufer einer eben vergangenen Blüte. Viel Interessantes, wenig Großes und Ergreifendes! Wenig? Selbst dies Wenige ist zweifelhaft. Die neueste Ausstellung und was sonst in den letzten Jahren hervorgebracht wurde, weisen auf den raschen Aufschwung in den verflossenen Jahrzehnten zurück. Zu einer selbständigen Beachtung regt aus der großen Masse, in der das Auge nur allmälig sich zurechtfinden kann, bloß Einzelnes an. Was Derartiges und was sonst von hervorragende» Werken ganzer der Zeit eigenthümlicher Gattungen den Blick anzieht und si's' seit, ist der näheren Betrachtung werth, und bedeutende Talente, die sich, "b- ook vereinzelt, noch immer finden, wollen für sich genommen werden. Das Uebrige ist nur in ganze Klassen zusammengefaßt, von Interesse. Das E>ne aber wie das Andere steht im geschichtlichen Zusammenhang mit den schul¬ bildenden und bahnbrechenden Meistern und Werken der jüngsten Vergangen' heit. Dieser, der geschichtliche Fortgang, die Entwicklung der französisch"' Kunst seit David bildet unser Hauptaugenmerk: sie sind für die gan^ moderne Kunst von epochemachender Bedeutung. Nur nehmen wir die neues

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/388>, abgerufen am 23.07.2024.