Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

herzustellen. -- Die Hindernisse, die sick der staatlichen Einheit der deutschen
Nation entgegenstellen, sind also, um uns eines kanonischen Ausdrucks zu be¬
dienen, keine wesentlich trennenden, sondern nur aufschiebende. Es haben sich
im Laufe der erwähnten Kämpfe innerhalb der Nation eine Reihe größerer
und feinerer Staaten gebildet, und es wird von der Seite der Particularisten
behauptet, es seien nicht nur die Dynastien derselben, sondern ihre Bevölkerungen,
welche sich einer nationalen Einheit widersetzten. Dagegen ist zuvörderst zu
bemerken, daß kein einziger dieser Staaten mit einem der deutschen Stämme
zusammenfällt, zwar lesen wir aus dem Münchner Theaterzettel von einem
dänischen Hof- und Nationaltheater, aber noch niemand hat die bairische
Nation gesehen, es gibt nur einen bairischen Stamm, der bei weitem nickt den
größten Theil des Staates ausmacht, über den jetzt die Wittelsbacher herrschen.
Alle unsre Staaten sind vielmehr ethnologisch auf die willkürlichste Weile
zusammengesetzt; fast jeder Stamm ist zwischen mehrere Dynastien getheilt
und künstlich aus seinem natürlichen Zusammenhang gebracht. Man kann
sogar nicht von einer preußischen Nation sprechen, sondern nur von einem
preußischen Volke und Staate; denn seiner Natur nach hat der Trierer weit
mehr Verwandtschaft mit dem Pfälzer als mit dem Ostpreußen. Daß bei so
lange dauernder politischer Zerrissenheit sich viele Schroffheiten der Stämme
gegen einander festgesetzt haben, ist begreiflich, und es wird noch einer anhal¬
tenden Arbeit bedürfen, um sie zur Ausgleichung zu führen, aber daß uns
dies an der Einheit hindere, kann nur der behaupten, der nie andre Länder
genau bereist hat, welche doch zur staatlichen Organisation gekommen. Man
stellt gewöhnlich das französische Volk als ein in sich vollständig gleichartiges
Ganze dar und doch ist Nichts weniger begründet! der Holsteiner und der
Tiroler mögen sich schwer verstehen, aber sie sprechen doch nur zwei Dialekte
einer Sprache, die Rede des Bretonen aber ist von der des Prooem^aler so
verschieden, wie die des Polen von der des Deutschen. In den südlichen
Gebirgen erhält man wohl aus eine französische Frage die Antwort, man ver>
stehe kein Französisch, im Languedoc predigen sogar die Cur6's alle im P""
lois und ein Bischof, der von einem andern Theile Frankreichs dorthin ver¬
setzt wird, hat die größte Mühe sich bei seinen Visitationsreisen nur verstand'
lich zu machen. Das ist noch heute der Zustand in einem Lande, welches
die Centralisation des Despotismus wie der Revolution seit mehreren Jak)>'
Hunderten durchgearbeitet hat wie kein andres, und man will uns aus ge^
wissen Eigenthümlichkeiten der deutschen Stämme die Unmöglichkeit beweiie"
sich zur nationalen Einheit zusammenzuschließen? -- Wir können uns davon
so wenig überzeugen, daß uns das ganze Problem viel mehr als eine Frage
des Wann und Wie als des Ob erscheint. .

Fassen wir schließlich noch in's Auge, wie Deutschlands Grenzenna


herzustellen. — Die Hindernisse, die sick der staatlichen Einheit der deutschen
Nation entgegenstellen, sind also, um uns eines kanonischen Ausdrucks zu be¬
dienen, keine wesentlich trennenden, sondern nur aufschiebende. Es haben sich
im Laufe der erwähnten Kämpfe innerhalb der Nation eine Reihe größerer
und feinerer Staaten gebildet, und es wird von der Seite der Particularisten
behauptet, es seien nicht nur die Dynastien derselben, sondern ihre Bevölkerungen,
welche sich einer nationalen Einheit widersetzten. Dagegen ist zuvörderst zu
bemerken, daß kein einziger dieser Staaten mit einem der deutschen Stämme
zusammenfällt, zwar lesen wir aus dem Münchner Theaterzettel von einem
dänischen Hof- und Nationaltheater, aber noch niemand hat die bairische
Nation gesehen, es gibt nur einen bairischen Stamm, der bei weitem nickt den
größten Theil des Staates ausmacht, über den jetzt die Wittelsbacher herrschen.
Alle unsre Staaten sind vielmehr ethnologisch auf die willkürlichste Weile
zusammengesetzt; fast jeder Stamm ist zwischen mehrere Dynastien getheilt
und künstlich aus seinem natürlichen Zusammenhang gebracht. Man kann
sogar nicht von einer preußischen Nation sprechen, sondern nur von einem
preußischen Volke und Staate; denn seiner Natur nach hat der Trierer weit
mehr Verwandtschaft mit dem Pfälzer als mit dem Ostpreußen. Daß bei so
lange dauernder politischer Zerrissenheit sich viele Schroffheiten der Stämme
gegen einander festgesetzt haben, ist begreiflich, und es wird noch einer anhal¬
tenden Arbeit bedürfen, um sie zur Ausgleichung zu führen, aber daß uns
dies an der Einheit hindere, kann nur der behaupten, der nie andre Länder
genau bereist hat, welche doch zur staatlichen Organisation gekommen. Man
stellt gewöhnlich das französische Volk als ein in sich vollständig gleichartiges
Ganze dar und doch ist Nichts weniger begründet! der Holsteiner und der
Tiroler mögen sich schwer verstehen, aber sie sprechen doch nur zwei Dialekte
einer Sprache, die Rede des Bretonen aber ist von der des Prooem^aler so
verschieden, wie die des Polen von der des Deutschen. In den südlichen
Gebirgen erhält man wohl aus eine französische Frage die Antwort, man ver>
stehe kein Französisch, im Languedoc predigen sogar die Cur6's alle im P""
lois und ein Bischof, der von einem andern Theile Frankreichs dorthin ver¬
setzt wird, hat die größte Mühe sich bei seinen Visitationsreisen nur verstand'
lich zu machen. Das ist noch heute der Zustand in einem Lande, welches
die Centralisation des Despotismus wie der Revolution seit mehreren Jak)>'
Hunderten durchgearbeitet hat wie kein andres, und man will uns aus ge^
wissen Eigenthümlichkeiten der deutschen Stämme die Unmöglichkeit beweiie"
sich zur nationalen Einheit zusammenzuschließen? — Wir können uns davon
so wenig überzeugen, daß uns das ganze Problem viel mehr als eine Frage
des Wann und Wie als des Ob erscheint. .

Fassen wir schließlich noch in's Auge, wie Deutschlands Grenzenna


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0356" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/112326"/>
          <p xml:id="ID_1134" prev="#ID_1133"> herzustellen. &#x2014; Die Hindernisse, die sick der staatlichen Einheit der deutschen<lb/>
Nation entgegenstellen, sind also, um uns eines kanonischen Ausdrucks zu be¬<lb/>
dienen, keine wesentlich trennenden, sondern nur aufschiebende. Es haben sich<lb/>
im Laufe der erwähnten Kämpfe innerhalb der Nation eine Reihe größerer<lb/>
und feinerer Staaten gebildet, und es wird von der Seite der Particularisten<lb/>
behauptet, es seien nicht nur die Dynastien derselben, sondern ihre Bevölkerungen,<lb/>
welche sich einer nationalen Einheit widersetzten. Dagegen ist zuvörderst zu<lb/>
bemerken, daß kein einziger dieser Staaten mit einem der deutschen Stämme<lb/>
zusammenfällt, zwar lesen wir aus dem Münchner Theaterzettel von einem<lb/>
dänischen Hof- und Nationaltheater, aber noch niemand hat die bairische<lb/>
Nation gesehen, es gibt nur einen bairischen Stamm, der bei weitem nickt den<lb/>
größten Theil des Staates ausmacht, über den jetzt die Wittelsbacher herrschen.<lb/>
Alle unsre Staaten sind vielmehr ethnologisch auf die willkürlichste Weile<lb/>
zusammengesetzt; fast jeder Stamm ist zwischen mehrere Dynastien getheilt<lb/>
und künstlich aus seinem natürlichen Zusammenhang gebracht. Man kann<lb/>
sogar nicht von einer preußischen Nation sprechen, sondern nur von einem<lb/>
preußischen Volke und Staate; denn seiner Natur nach hat der Trierer weit<lb/>
mehr Verwandtschaft mit dem Pfälzer als mit dem Ostpreußen. Daß bei so<lb/>
lange dauernder politischer Zerrissenheit sich viele Schroffheiten der Stämme<lb/>
gegen einander festgesetzt haben, ist begreiflich, und es wird noch einer anhal¬<lb/>
tenden Arbeit bedürfen, um sie zur Ausgleichung zu führen, aber daß uns<lb/>
dies an der Einheit hindere, kann nur der behaupten, der nie andre Länder<lb/>
genau bereist hat, welche doch zur staatlichen Organisation gekommen. Man<lb/>
stellt gewöhnlich das französische Volk als ein in sich vollständig gleichartiges<lb/>
Ganze dar und doch ist Nichts weniger begründet! der Holsteiner und der<lb/>
Tiroler mögen sich schwer verstehen, aber sie sprechen doch nur zwei Dialekte<lb/>
einer Sprache, die Rede des Bretonen aber ist von der des Prooem^aler so<lb/>
verschieden, wie die des Polen von der des Deutschen. In den südlichen<lb/>
Gebirgen erhält man wohl aus eine französische Frage die Antwort, man ver&gt;<lb/>
stehe kein Französisch, im Languedoc predigen sogar die Cur6's alle im P""<lb/>
lois und ein Bischof, der von einem andern Theile Frankreichs dorthin ver¬<lb/>
setzt wird, hat die größte Mühe sich bei seinen Visitationsreisen nur verstand'<lb/>
lich zu machen. Das ist noch heute der Zustand in einem Lande, welches<lb/>
die Centralisation des Despotismus wie der Revolution seit mehreren Jak)&gt;'<lb/>
Hunderten durchgearbeitet hat wie kein andres, und man will uns aus ge^<lb/>
wissen Eigenthümlichkeiten der deutschen Stämme die Unmöglichkeit beweiie"<lb/>
sich zur nationalen Einheit zusammenzuschließen? &#x2014; Wir können uns davon<lb/>
so wenig überzeugen, daß uns das ganze Problem viel mehr als eine Frage<lb/>
des Wann und Wie als des Ob erscheint. .</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1135" next="#ID_1136"> Fassen wir schließlich noch in's Auge, wie Deutschlands Grenzenna</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0356] herzustellen. — Die Hindernisse, die sick der staatlichen Einheit der deutschen Nation entgegenstellen, sind also, um uns eines kanonischen Ausdrucks zu be¬ dienen, keine wesentlich trennenden, sondern nur aufschiebende. Es haben sich im Laufe der erwähnten Kämpfe innerhalb der Nation eine Reihe größerer und feinerer Staaten gebildet, und es wird von der Seite der Particularisten behauptet, es seien nicht nur die Dynastien derselben, sondern ihre Bevölkerungen, welche sich einer nationalen Einheit widersetzten. Dagegen ist zuvörderst zu bemerken, daß kein einziger dieser Staaten mit einem der deutschen Stämme zusammenfällt, zwar lesen wir aus dem Münchner Theaterzettel von einem dänischen Hof- und Nationaltheater, aber noch niemand hat die bairische Nation gesehen, es gibt nur einen bairischen Stamm, der bei weitem nickt den größten Theil des Staates ausmacht, über den jetzt die Wittelsbacher herrschen. Alle unsre Staaten sind vielmehr ethnologisch auf die willkürlichste Weile zusammengesetzt; fast jeder Stamm ist zwischen mehrere Dynastien getheilt und künstlich aus seinem natürlichen Zusammenhang gebracht. Man kann sogar nicht von einer preußischen Nation sprechen, sondern nur von einem preußischen Volke und Staate; denn seiner Natur nach hat der Trierer weit mehr Verwandtschaft mit dem Pfälzer als mit dem Ostpreußen. Daß bei so lange dauernder politischer Zerrissenheit sich viele Schroffheiten der Stämme gegen einander festgesetzt haben, ist begreiflich, und es wird noch einer anhal¬ tenden Arbeit bedürfen, um sie zur Ausgleichung zu führen, aber daß uns dies an der Einheit hindere, kann nur der behaupten, der nie andre Länder genau bereist hat, welche doch zur staatlichen Organisation gekommen. Man stellt gewöhnlich das französische Volk als ein in sich vollständig gleichartiges Ganze dar und doch ist Nichts weniger begründet! der Holsteiner und der Tiroler mögen sich schwer verstehen, aber sie sprechen doch nur zwei Dialekte einer Sprache, die Rede des Bretonen aber ist von der des Prooem^aler so verschieden, wie die des Polen von der des Deutschen. In den südlichen Gebirgen erhält man wohl aus eine französische Frage die Antwort, man ver> stehe kein Französisch, im Languedoc predigen sogar die Cur6's alle im P"" lois und ein Bischof, der von einem andern Theile Frankreichs dorthin ver¬ setzt wird, hat die größte Mühe sich bei seinen Visitationsreisen nur verstand' lich zu machen. Das ist noch heute der Zustand in einem Lande, welches die Centralisation des Despotismus wie der Revolution seit mehreren Jak)>' Hunderten durchgearbeitet hat wie kein andres, und man will uns aus ge^ wissen Eigenthümlichkeiten der deutschen Stämme die Unmöglichkeit beweiie" sich zur nationalen Einheit zusammenzuschließen? — Wir können uns davon so wenig überzeugen, daß uns das ganze Problem viel mehr als eine Frage des Wann und Wie als des Ob erscheint. . Fassen wir schließlich noch in's Auge, wie Deutschlands Grenzenna

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/356
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/356>, abgerufen am 01.10.2024.