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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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als die Hand auf den Geldsack zu tea.er. und nicht eher, als.die geistige
und sittliche Atmosphäre wieder gereinigt, der Glaube an die edlen Güter der
Menschheit zurückgekehrt ist. nicht eher wird zu hoffen sein, daß der politische
und geistige Cynismus, die Verachtung alles Denkens und Wissens, das Feld
räume.

Das auffälligste Armuthszeugniß der eigenen Schwäche aber war die
Schlußbestimmung, wonach das neue Gesetz nicht eine Totalerneucrung der
Kammer zur Folge haben, sondern nur für die nach dem regelmäßigen Tur¬
nus vorzunehmenden Neuwahlen in Geltung treten sollte. Neapel hatte am
Rande der Revolution die Einführung eine Constitution gewagt. Oestreich
hat nach einer furchtbaren Niederlage, mitten in der heftigsten Gährung aller
Elemente dem Reiche eine Verfassung gegeben. In Sachsen wagt man mit dem
conservativsten Wahlgesetze von der Welt nicht einmal eine Totalerneuerung
einer Kammer! Das charakterisirt die Stellung der jetzigen Regierung zum
Lande deutlicher, als wir im Stande sind.

Wir wollen es uns und Anderen sparen, in das Detail der Verhandlungen
der zweiten Kammer einzugehen; wol gab es einige tapfere Wortführer eines
besonnenen Fortschrittes, eines echten Constitutionalismus, und wir müssen
vor Allen den leipziger Abgcordcten Cichorius auf des Nuhmcndste erwähnen,
welcher Schritt vor Schritt jede Position vertheidigte oder angriff; aber seine
und seiner wenigen Genossen Stimme verhallte unerhört. Wir heben aus der
Debatte der zweiten Kammer nur drei Momente heraus: zunächst die Debatte
über den Bezirkszwang. Hier machten die Altliberalen den ehrenwerthen Ver¬
such, Bresche in die Vorlage zu schießen, und traten mit Geschick und großer
Wärme für ihre Anträge ein, es wurde sogar rund heraus erklärt, daß man
mit diesem Bezirkszwangc nur einen Krieg hervorrufen werde, den Krieg der
öffentlichen Meinung; allein Furcht, Cynismus, Standesinteresse siegte" gegen
eine Minorität von nur 21 Stimmen. Sodann die Debatte über die Er¬
fordernisse eines bäuerlichen Abgeordneten; hier entstand ein wahrhaftes Preis¬
rennen des specifischen Vauernthums; es fluthete von Anträgen, die sich in
dem Barth'schen Antrage gipfelten: statt des Gcsammtbetrags von 20 Thlr.
Steuer (der also auch Nichtbauern wählbar machte) 20 Thlr. Grund¬
steuern zu erfordern, welcher also die Wahl factisch wieder auf den Stand be¬
schränken wollte, und mit 34 gegen 33 Stimmen angenommen wurde. Zu>"
Glücke ist er durch die erste Kammer wieder beseitigt worden. Endlich die
Debatte über die Erneuerung der Kammer; eine Minorität der Deputation
stellte den Antrag auf Erneuerung der Kammer mit Ausnahme der Ritter¬
gutsbesitzer; Abgeordneter Emmrich beantragte sogar völlige Erneuerung, während
die Majorität den Regierungsentwurf empfahl; sie siegte gegen eine Minorität
von nur 15 Stimmen, worunter unter Anderen die Abgeordneten Georgi und


als die Hand auf den Geldsack zu tea.er. und nicht eher, als.die geistige
und sittliche Atmosphäre wieder gereinigt, der Glaube an die edlen Güter der
Menschheit zurückgekehrt ist. nicht eher wird zu hoffen sein, daß der politische
und geistige Cynismus, die Verachtung alles Denkens und Wissens, das Feld
räume.

Das auffälligste Armuthszeugniß der eigenen Schwäche aber war die
Schlußbestimmung, wonach das neue Gesetz nicht eine Totalerneucrung der
Kammer zur Folge haben, sondern nur für die nach dem regelmäßigen Tur¬
nus vorzunehmenden Neuwahlen in Geltung treten sollte. Neapel hatte am
Rande der Revolution die Einführung eine Constitution gewagt. Oestreich
hat nach einer furchtbaren Niederlage, mitten in der heftigsten Gährung aller
Elemente dem Reiche eine Verfassung gegeben. In Sachsen wagt man mit dem
conservativsten Wahlgesetze von der Welt nicht einmal eine Totalerneuerung
einer Kammer! Das charakterisirt die Stellung der jetzigen Regierung zum
Lande deutlicher, als wir im Stande sind.

Wir wollen es uns und Anderen sparen, in das Detail der Verhandlungen
der zweiten Kammer einzugehen; wol gab es einige tapfere Wortführer eines
besonnenen Fortschrittes, eines echten Constitutionalismus, und wir müssen
vor Allen den leipziger Abgcordcten Cichorius auf des Nuhmcndste erwähnen,
welcher Schritt vor Schritt jede Position vertheidigte oder angriff; aber seine
und seiner wenigen Genossen Stimme verhallte unerhört. Wir heben aus der
Debatte der zweiten Kammer nur drei Momente heraus: zunächst die Debatte
über den Bezirkszwang. Hier machten die Altliberalen den ehrenwerthen Ver¬
such, Bresche in die Vorlage zu schießen, und traten mit Geschick und großer
Wärme für ihre Anträge ein, es wurde sogar rund heraus erklärt, daß man
mit diesem Bezirkszwangc nur einen Krieg hervorrufen werde, den Krieg der
öffentlichen Meinung; allein Furcht, Cynismus, Standesinteresse siegte» gegen
eine Minorität von nur 21 Stimmen. Sodann die Debatte über die Er¬
fordernisse eines bäuerlichen Abgeordneten; hier entstand ein wahrhaftes Preis¬
rennen des specifischen Vauernthums; es fluthete von Anträgen, die sich in
dem Barth'schen Antrage gipfelten: statt des Gcsammtbetrags von 20 Thlr.
Steuer (der also auch Nichtbauern wählbar machte) 20 Thlr. Grund¬
steuern zu erfordern, welcher also die Wahl factisch wieder auf den Stand be¬
schränken wollte, und mit 34 gegen 33 Stimmen angenommen wurde. Zu>"
Glücke ist er durch die erste Kammer wieder beseitigt worden. Endlich die
Debatte über die Erneuerung der Kammer; eine Minorität der Deputation
stellte den Antrag auf Erneuerung der Kammer mit Ausnahme der Ritter¬
gutsbesitzer; Abgeordneter Emmrich beantragte sogar völlige Erneuerung, während
die Majorität den Regierungsentwurf empfahl; sie siegte gegen eine Minorität
von nur 15 Stimmen, worunter unter Anderen die Abgeordneten Georgi und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/336>, abgerufen am 22.07.2024.