Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.sich um Religion und Glauben, nicht wider das Heil und die Ehre des Landes Gleichzeitig mit diesem Bescheide brachte ein Telegramm aus Wien die sich um Religion und Glauben, nicht wider das Heil und die Ehre des Landes Gleichzeitig mit diesem Bescheide brachte ein Telegramm aus Wien die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0200" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/112170"/> <p xml:id="ID_660" prev="#ID_659"> sich um Religion und Glauben, nicht wider das Heil und die Ehre des Landes<lb/> zu gehen scheint, ein edles, biederes Volk zur Erreichung ihrer herrschsüchtigen<lb/> Ziele in wildem Fanatismus aufzustacheln, die Fackel der Zwietrachtund des Hasses<lb/> unter die Leute. Freunde, ja in Familien zu schleudern, deren Herz es nicht<lb/> im Geringsten rührt, daß sie Land und Volk ob seiner tollen Blindheit dem ge¬<lb/> rechten Hohne und Spotte der ganzen civilisirten Welt preisgegeben sieht; die<lb/> durch ihr unsauberes Gebahren das Wesen des Christenthumes mehr gefähr¬<lb/> det als sonst jemand Anderer. Damit, daß Sie sich auf jene Seite stellen oder<lb/> stellen ließen, haben Sie den Beweis geliefert, daß Sie der Sachlage in keiner<lb/> Weise gewachsen sind, indem Sie nicht einmal das begreifen, daß es sich bei<lb/> der sogenannten Protestantenfrage in keiner Weise um Religion und Glau¬<lb/> ben handelt, sondern lediglich um eine Frage der Humanität und Politik, und<lb/> für gewisse Leute um ?le Frage, ob ihre Herrschaft auch noch fmderhin dauere<lb/> oder zweckmäßigeren Einflüssen weichen soll. Hätten Sie das erkannt, so bin<lb/> ich es von Ihrer Ehrenhaftigkeit überzeugt, daß Sie es vermieden hätten, jene<lb/> Schritte zu thun, welche man Sie machen hieß. — Halten Sie stets an der<lb/> Ueberzeugung fest, daß Sie nur gerufen werden, um für Andere die Kastanien<lb/> aus dem Feuer zu holen."</p><lb/> <p xml:id="ID_661" next="#ID_662"> Gleichzeitig mit diesem Bescheide brachte ein Telegramm aus Wien die<lb/> Nachricht, daß der Erzherzog seine Stelle niedergelegt und Fürst Lobkowitz<lb/> Statthalter von Tirol geworden sei. Es läßt sich kaum schildern, mit: sehr<lb/> diese Nachricht unsere Ultramontanen verblüffte. Demungeachtet machten sie<lb/> noch einen Versuch zu einer Demonstration, sie forderten nämlich von der<lb/> Kanzel die Gemeinden in der Nähe von Innsbruck auf. sich in Procession nach<lb/> der Stadt zu verfügen, um dort von der wunderthäiigen Madonna die Glau¬<lb/> benseinheit zu erflehen. Es gelang ihnen, etwa 3000 Menschen in die Stadt<lb/> zu führen, von denen freilich der größere Theil Weiber waren. Die Inns-<lb/> brucker kümmerten sich übrigens um diese Farce gar nicht, und so blieb sie<lb/> ohne Wirkung. Im Volke erwacht überhaupt die Reaction gegen das schamlose<lb/> Treiben der Ultramontanen, wie dieses am besten eine Zustimmungsadresse an<lb/> Dr. Pfrchschner beweist, welche demnächst aus dem Unterinnthale abgehen<lb/> wird. Wir theilen den für Tirol charakteristischen Schluß mit. „Wir haben<lb/> unterscheiden gelernt zwischen der auch uns heiligen Religion und der über¬<lb/> spannten geistlichen Herrschaft, weil wir erkennen, welch' ein unreines Gewand<lb/> die letztere oft über die erstere hüllt. Ja der größte Theil der Bevölkerung<lb/> haßt und verabscheut dieses lieblose Getriebe, aber wir haben bisher geschwiegen,<lb/> weil Einheit vor Allem noth thut. Um aber dem Vorwurf, der uns vielfältig<lb/> von Außen gemacht wird, als ständen wir Tiroler auf einer sehr niedrigen<lb/> Culturstufe, entgegenzutreten, halten wir es nun für heilige Pflicht, endlich<lb/> unsere wahren Gesinnungen zu zeigen, die in der Ueberzeugung wurzeln, daß</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0200]
sich um Religion und Glauben, nicht wider das Heil und die Ehre des Landes
zu gehen scheint, ein edles, biederes Volk zur Erreichung ihrer herrschsüchtigen
Ziele in wildem Fanatismus aufzustacheln, die Fackel der Zwietrachtund des Hasses
unter die Leute. Freunde, ja in Familien zu schleudern, deren Herz es nicht
im Geringsten rührt, daß sie Land und Volk ob seiner tollen Blindheit dem ge¬
rechten Hohne und Spotte der ganzen civilisirten Welt preisgegeben sieht; die
durch ihr unsauberes Gebahren das Wesen des Christenthumes mehr gefähr¬
det als sonst jemand Anderer. Damit, daß Sie sich auf jene Seite stellen oder
stellen ließen, haben Sie den Beweis geliefert, daß Sie der Sachlage in keiner
Weise gewachsen sind, indem Sie nicht einmal das begreifen, daß es sich bei
der sogenannten Protestantenfrage in keiner Weise um Religion und Glau¬
ben handelt, sondern lediglich um eine Frage der Humanität und Politik, und
für gewisse Leute um ?le Frage, ob ihre Herrschaft auch noch fmderhin dauere
oder zweckmäßigeren Einflüssen weichen soll. Hätten Sie das erkannt, so bin
ich es von Ihrer Ehrenhaftigkeit überzeugt, daß Sie es vermieden hätten, jene
Schritte zu thun, welche man Sie machen hieß. — Halten Sie stets an der
Ueberzeugung fest, daß Sie nur gerufen werden, um für Andere die Kastanien
aus dem Feuer zu holen."
Gleichzeitig mit diesem Bescheide brachte ein Telegramm aus Wien die
Nachricht, daß der Erzherzog seine Stelle niedergelegt und Fürst Lobkowitz
Statthalter von Tirol geworden sei. Es läßt sich kaum schildern, mit: sehr
diese Nachricht unsere Ultramontanen verblüffte. Demungeachtet machten sie
noch einen Versuch zu einer Demonstration, sie forderten nämlich von der
Kanzel die Gemeinden in der Nähe von Innsbruck auf. sich in Procession nach
der Stadt zu verfügen, um dort von der wunderthäiigen Madonna die Glau¬
benseinheit zu erflehen. Es gelang ihnen, etwa 3000 Menschen in die Stadt
zu führen, von denen freilich der größere Theil Weiber waren. Die Inns-
brucker kümmerten sich übrigens um diese Farce gar nicht, und so blieb sie
ohne Wirkung. Im Volke erwacht überhaupt die Reaction gegen das schamlose
Treiben der Ultramontanen, wie dieses am besten eine Zustimmungsadresse an
Dr. Pfrchschner beweist, welche demnächst aus dem Unterinnthale abgehen
wird. Wir theilen den für Tirol charakteristischen Schluß mit. „Wir haben
unterscheiden gelernt zwischen der auch uns heiligen Religion und der über¬
spannten geistlichen Herrschaft, weil wir erkennen, welch' ein unreines Gewand
die letztere oft über die erstere hüllt. Ja der größte Theil der Bevölkerung
haßt und verabscheut dieses lieblose Getriebe, aber wir haben bisher geschwiegen,
weil Einheit vor Allem noth thut. Um aber dem Vorwurf, der uns vielfältig
von Außen gemacht wird, als ständen wir Tiroler auf einer sehr niedrigen
Culturstufe, entgegenzutreten, halten wir es nun für heilige Pflicht, endlich
unsere wahren Gesinnungen zu zeigen, die in der Ueberzeugung wurzeln, daß
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