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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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machen, und eine neue Aera würde die reichen Hülfsquellen desselben erschlie-
ßen. Der Ackerbauer würde Zutrauen fassen, das verwüstete Land sich wie¬
der bevölkern, der Handel neuen Aufschwung nehmen und der Civilisation
eine neue Provinz, dem Verkehr Europas ein neuer Markt gewonnen sein.

Die Karawane der Heuglin'schen Expedition, die wir auf ihrem Zuge vom
Rande des Rothen Meeres über die Gebirge bis Keren verfolgten, bewegt
sich nun über weitere Bergkämme nach dem weniger bekannten Westen, trifft
in Kassala am Gaschfluß noch einen größern Ort, kreuzt die nur von Strau¬
ßen, Hyänen, Schakals und wilden Bischarin bewohnten Wüsten zwischen
jenem Gewässer und dem Atbara, folgt diesem großen, klaren, von Krokodilen
und Flußpferden wimmelnden Strom, an dessen Ufern weite Grassavannen
mit Wäldern, bewohnt von Löwen, Leoparden, Affen, Elephanten und Giraffen
wechseln und die Htrtenstämme der Schukoris und Hallengas Hausen, und er¬
reicht endlich die Stelle, wo am Zusammenfluß des weißen und blauen Nil
(Bachr El Abiad und Bachr El Asrach) die Stadt Chartum sich erhebt.

Chartum ist das einzige Beispiel eines gewissen Fortschritts Afrika's in
diesem Jahrhundert. Wo vor vierzig Jahren ein elendes Lehmdörfchen äthio¬
pischer Wilder stand, liegt jetzt eine Stadt von mehr als dreißigtausend Ein¬
wohnern, die täglich an Umfang zunimmt und immer mehr den Handel der
ungeheuren Landstriche des östlichen Centralafrika auf ihren Markt zieht.
Der Erste, der die militärische und commercielle Wichtigkeit des Ortes erkannte,
war Ismael Pascha, ein Sohn Mehemed Ali's, der in den Jahren 1821 und
1822 die Reiche Schendy und Sennaar für seinen Vater eroberte. Der blu¬
tige Mohammed Bei El Defterdar. der ihm folgte, begünstigte den Plan.
Chartum zur Hauptstadt des neuen Paschaliks Sudan zu machen, und die
Natur unterstützte seine dahin gerichteten Bemühungen. An der Mündung
des Blauen Nil, der aus den gold- und eisenreichen Gebirgen von Habesch
herabkommt, und nicht fern vom Weißen Nil gelegen, dem einzigen Zugang
ju einem Dutzend Negerstaaten, die Massen von Elfenbein und Gummi lie¬
fern, der Mittelpunkt von den neuerworbenen Provinzen Sennaar, Kordofan.
Schendy und Berber, wuchs Chartum in wenigen Jahren schon über die alt¬
äthiopischen Städte hinaus und zog den größten Theil ihrer Bewohner, ihres
Reichthums und ihres Verkehrs an sich. Die Stadt ist reinlicher und besser
gebaut, als (Iiut ausgenommen) irgend eine am obern Nil. womit freilich
"ich! gesagt ist. daß Europäer sie schön und sauber nennen dürfen. Sie streckt
sich etwa 3000 Schritt am Ufer des Blauen Nil hin, mit der Fronte nach
Norden, und zerfällt in drei Gruppen. Im Westen liegt eine öde, mit Hau¬
sen von Unrath bedeckte Fläche, dann folgt ein Damm, der gegen die Ueber-
schwemmungen des Flusses schützt, dann ein Gewirr von Gäßchen mit Lehm¬
hütten, die in der Regenzeit knietiefe Kothlachcn sind, und in denen die är-


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machen, und eine neue Aera würde die reichen Hülfsquellen desselben erschlie-
ßen. Der Ackerbauer würde Zutrauen fassen, das verwüstete Land sich wie¬
der bevölkern, der Handel neuen Aufschwung nehmen und der Civilisation
eine neue Provinz, dem Verkehr Europas ein neuer Markt gewonnen sein.

Die Karawane der Heuglin'schen Expedition, die wir auf ihrem Zuge vom
Rande des Rothen Meeres über die Gebirge bis Keren verfolgten, bewegt
sich nun über weitere Bergkämme nach dem weniger bekannten Westen, trifft
in Kassala am Gaschfluß noch einen größern Ort, kreuzt die nur von Strau¬
ßen, Hyänen, Schakals und wilden Bischarin bewohnten Wüsten zwischen
jenem Gewässer und dem Atbara, folgt diesem großen, klaren, von Krokodilen
und Flußpferden wimmelnden Strom, an dessen Ufern weite Grassavannen
mit Wäldern, bewohnt von Löwen, Leoparden, Affen, Elephanten und Giraffen
wechseln und die Htrtenstämme der Schukoris und Hallengas Hausen, und er¬
reicht endlich die Stelle, wo am Zusammenfluß des weißen und blauen Nil
(Bachr El Abiad und Bachr El Asrach) die Stadt Chartum sich erhebt.

Chartum ist das einzige Beispiel eines gewissen Fortschritts Afrika's in
diesem Jahrhundert. Wo vor vierzig Jahren ein elendes Lehmdörfchen äthio¬
pischer Wilder stand, liegt jetzt eine Stadt von mehr als dreißigtausend Ein¬
wohnern, die täglich an Umfang zunimmt und immer mehr den Handel der
ungeheuren Landstriche des östlichen Centralafrika auf ihren Markt zieht.
Der Erste, der die militärische und commercielle Wichtigkeit des Ortes erkannte,
war Ismael Pascha, ein Sohn Mehemed Ali's, der in den Jahren 1821 und
1822 die Reiche Schendy und Sennaar für seinen Vater eroberte. Der blu¬
tige Mohammed Bei El Defterdar. der ihm folgte, begünstigte den Plan.
Chartum zur Hauptstadt des neuen Paschaliks Sudan zu machen, und die
Natur unterstützte seine dahin gerichteten Bemühungen. An der Mündung
des Blauen Nil, der aus den gold- und eisenreichen Gebirgen von Habesch
herabkommt, und nicht fern vom Weißen Nil gelegen, dem einzigen Zugang
ju einem Dutzend Negerstaaten, die Massen von Elfenbein und Gummi lie¬
fern, der Mittelpunkt von den neuerworbenen Provinzen Sennaar, Kordofan.
Schendy und Berber, wuchs Chartum in wenigen Jahren schon über die alt¬
äthiopischen Städte hinaus und zog den größten Theil ihrer Bewohner, ihres
Reichthums und ihres Verkehrs an sich. Die Stadt ist reinlicher und besser
gebaut, als (Iiut ausgenommen) irgend eine am obern Nil. womit freilich
"ich! gesagt ist. daß Europäer sie schön und sauber nennen dürfen. Sie streckt
sich etwa 3000 Schritt am Ufer des Blauen Nil hin, mit der Fronte nach
Norden, und zerfällt in drei Gruppen. Im Westen liegt eine öde, mit Hau¬
sen von Unrath bedeckte Fläche, dann folgt ein Damm, der gegen die Ueber-
schwemmungen des Flusses schützt, dann ein Gewirr von Gäßchen mit Lehm¬
hütten, die in der Regenzeit knietiefe Kothlachcn sind, und in denen die är-


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[0189] machen, und eine neue Aera würde die reichen Hülfsquellen desselben erschlie- ßen. Der Ackerbauer würde Zutrauen fassen, das verwüstete Land sich wie¬ der bevölkern, der Handel neuen Aufschwung nehmen und der Civilisation eine neue Provinz, dem Verkehr Europas ein neuer Markt gewonnen sein. Die Karawane der Heuglin'schen Expedition, die wir auf ihrem Zuge vom Rande des Rothen Meeres über die Gebirge bis Keren verfolgten, bewegt sich nun über weitere Bergkämme nach dem weniger bekannten Westen, trifft in Kassala am Gaschfluß noch einen größern Ort, kreuzt die nur von Strau¬ ßen, Hyänen, Schakals und wilden Bischarin bewohnten Wüsten zwischen jenem Gewässer und dem Atbara, folgt diesem großen, klaren, von Krokodilen und Flußpferden wimmelnden Strom, an dessen Ufern weite Grassavannen mit Wäldern, bewohnt von Löwen, Leoparden, Affen, Elephanten und Giraffen wechseln und die Htrtenstämme der Schukoris und Hallengas Hausen, und er¬ reicht endlich die Stelle, wo am Zusammenfluß des weißen und blauen Nil (Bachr El Abiad und Bachr El Asrach) die Stadt Chartum sich erhebt. Chartum ist das einzige Beispiel eines gewissen Fortschritts Afrika's in diesem Jahrhundert. Wo vor vierzig Jahren ein elendes Lehmdörfchen äthio¬ pischer Wilder stand, liegt jetzt eine Stadt von mehr als dreißigtausend Ein¬ wohnern, die täglich an Umfang zunimmt und immer mehr den Handel der ungeheuren Landstriche des östlichen Centralafrika auf ihren Markt zieht. Der Erste, der die militärische und commercielle Wichtigkeit des Ortes erkannte, war Ismael Pascha, ein Sohn Mehemed Ali's, der in den Jahren 1821 und 1822 die Reiche Schendy und Sennaar für seinen Vater eroberte. Der blu¬ tige Mohammed Bei El Defterdar. der ihm folgte, begünstigte den Plan. Chartum zur Hauptstadt des neuen Paschaliks Sudan zu machen, und die Natur unterstützte seine dahin gerichteten Bemühungen. An der Mündung des Blauen Nil, der aus den gold- und eisenreichen Gebirgen von Habesch herabkommt, und nicht fern vom Weißen Nil gelegen, dem einzigen Zugang ju einem Dutzend Negerstaaten, die Massen von Elfenbein und Gummi lie¬ fern, der Mittelpunkt von den neuerworbenen Provinzen Sennaar, Kordofan. Schendy und Berber, wuchs Chartum in wenigen Jahren schon über die alt¬ äthiopischen Städte hinaus und zog den größten Theil ihrer Bewohner, ihres Reichthums und ihres Verkehrs an sich. Die Stadt ist reinlicher und besser gebaut, als (Iiut ausgenommen) irgend eine am obern Nil. womit freilich "ich! gesagt ist. daß Europäer sie schön und sauber nennen dürfen. Sie streckt sich etwa 3000 Schritt am Ufer des Blauen Nil hin, mit der Fronte nach Norden, und zerfällt in drei Gruppen. Im Westen liegt eine öde, mit Hau¬ sen von Unrath bedeckte Fläche, dann folgt ein Damm, der gegen die Ueber- schwemmungen des Flusses schützt, dann ein Gewirr von Gäßchen mit Lehm¬ hütten, die in der Regenzeit knietiefe Kothlachcn sind, und in denen die är- 23*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/189>, abgerufen am 23.07.2024.