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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Ein nicht weniger erprobtes und bedeutendes Mitglied der Expedition
ist der Schweizer Munzinger, über den wir ausführlicher berichten. Werner
Munzinger, 1832 zu Otter geboren, studirte zuerst in Bern Naturwissenschaften
und Geschichte und wandte sich hierauf der Philologie zu, und zwar vorzüg¬
lich den morgenländischen Sprachen, denen er sich Anfangs zu München wid¬
mete. Von 1852 an in Paris unter Reynaud. I. Mohl und Haase mit der
Erlernung der lebenden orientalischen Sprachen beschäftigt und seit dem Februar
dieses Jahres Mitglied der dortigen Asiatischen Gesellschaft, begab er sich
später nach Kairo, um seine Studien fortzusetzen. Da sich dem bald sinan-
cielle Schwierigkeiten entgegenstellten, trat er, um seinen Zweck nicht aufgeben
zu müssen, zu Alexandrien in ein Handelshaus ein, welches ihn schon 1854
als zweiten Chef einer Handelsexpedition nach dem Rothen Meere beorderte.
Nachdem der erste Chef sich aus dem Geschäft zurückgezogen, trat Munzinger
in dessen Stelle ein und mußte zugleich die Liquidation des Unternehmens
durchführen, eine weitläufige Arbeit, die ihn ein volles Jahr in der Hafen¬
stadt Masso.na zu verweilen nöthigte. Während dieser Frist machte er einen
Ausflug zu den Bogos, einem abyssinischen Volksstamme westlich von Massaua,
und da entstand in ihm der Wunsch, sich hier für längere Zeit niederzulassen.
Nachdem er dazu in Alexandrien die nöthigen Vorbereitungen getroffen, führte
er seine Absicht aus, und seitdem lebte er meist in Keren, der Hauptstadt des
Landes der Bogos. Um seine Existenz hier zu sichern und zugleich seiner
Wissenschaft zu dienen, unternahm Munzinger allerlei Handelsgeschäfte, die
ihn nach verschiedenen Städten des Rothen Meeres führten und ihn mit dem
dortigen Leben immer vertrauter machten. Das Volk, unter dem er sich an¬
gesiedelt, erwies ihm großes Vertrauen und übertrug ihm das Richteramt und
von Zeit zu Zeit selbst Regierungsgeschäfte, ja einer der dortigen Fütsten war
im Begriffe, ihn förmlich mit der Regierung des Bogos zu beauftragen, als
er von einem Nebenbuhler vergiftet wurde.

Bei allen Wechselfällen der Verhältnisse erübrigte Munzinger Zeit, zu
speciell wissenschaftlichen Reisen nach Westen und zur Ausarbeitung seiner
Beobachtungen für den Druck. Außer "Briefen vom Rothen Meer", einer
"Beschreibung der nordöstlichen Grenzländer von Habesch" und einer Abhand¬
lung über die Schohos und die Beduan bei Massaua, die in der Zeitschrift
sür Allgemeine Erdkunde erschienen, vollendete er ein größeres Werk über das
Land der Bogos. von dem bis jetzt nur ein Abschnitt über das Recht dieses
Volkes veröffentlicht ist, serner eine Grammatik des Belen, und eine Beschrei¬
bung der Länder und Stämme nördlich und westlich von den Bogos. Mur-
^nger, der länger als acht Jahre in Afrika gelebt hat, ohne von Krankheit
in leiden, wird von besonderer Wichtigkeit für den ersten Theil des Zugs der
Spedition, die Reise vom Rothen Meer nach Chartum sein und sich na-


Grenzboten III. 1861. 22

Ein nicht weniger erprobtes und bedeutendes Mitglied der Expedition
ist der Schweizer Munzinger, über den wir ausführlicher berichten. Werner
Munzinger, 1832 zu Otter geboren, studirte zuerst in Bern Naturwissenschaften
und Geschichte und wandte sich hierauf der Philologie zu, und zwar vorzüg¬
lich den morgenländischen Sprachen, denen er sich Anfangs zu München wid¬
mete. Von 1852 an in Paris unter Reynaud. I. Mohl und Haase mit der
Erlernung der lebenden orientalischen Sprachen beschäftigt und seit dem Februar
dieses Jahres Mitglied der dortigen Asiatischen Gesellschaft, begab er sich
später nach Kairo, um seine Studien fortzusetzen. Da sich dem bald sinan-
cielle Schwierigkeiten entgegenstellten, trat er, um seinen Zweck nicht aufgeben
zu müssen, zu Alexandrien in ein Handelshaus ein, welches ihn schon 1854
als zweiten Chef einer Handelsexpedition nach dem Rothen Meere beorderte.
Nachdem der erste Chef sich aus dem Geschäft zurückgezogen, trat Munzinger
in dessen Stelle ein und mußte zugleich die Liquidation des Unternehmens
durchführen, eine weitläufige Arbeit, die ihn ein volles Jahr in der Hafen¬
stadt Masso.na zu verweilen nöthigte. Während dieser Frist machte er einen
Ausflug zu den Bogos, einem abyssinischen Volksstamme westlich von Massaua,
und da entstand in ihm der Wunsch, sich hier für längere Zeit niederzulassen.
Nachdem er dazu in Alexandrien die nöthigen Vorbereitungen getroffen, führte
er seine Absicht aus, und seitdem lebte er meist in Keren, der Hauptstadt des
Landes der Bogos. Um seine Existenz hier zu sichern und zugleich seiner
Wissenschaft zu dienen, unternahm Munzinger allerlei Handelsgeschäfte, die
ihn nach verschiedenen Städten des Rothen Meeres führten und ihn mit dem
dortigen Leben immer vertrauter machten. Das Volk, unter dem er sich an¬
gesiedelt, erwies ihm großes Vertrauen und übertrug ihm das Richteramt und
von Zeit zu Zeit selbst Regierungsgeschäfte, ja einer der dortigen Fütsten war
im Begriffe, ihn förmlich mit der Regierung des Bogos zu beauftragen, als
er von einem Nebenbuhler vergiftet wurde.

Bei allen Wechselfällen der Verhältnisse erübrigte Munzinger Zeit, zu
speciell wissenschaftlichen Reisen nach Westen und zur Ausarbeitung seiner
Beobachtungen für den Druck. Außer „Briefen vom Rothen Meer", einer
"Beschreibung der nordöstlichen Grenzländer von Habesch" und einer Abhand¬
lung über die Schohos und die Beduan bei Massaua, die in der Zeitschrift
sür Allgemeine Erdkunde erschienen, vollendete er ein größeres Werk über das
Land der Bogos. von dem bis jetzt nur ein Abschnitt über das Recht dieses
Volkes veröffentlicht ist, serner eine Grammatik des Belen, und eine Beschrei¬
bung der Länder und Stämme nördlich und westlich von den Bogos. Mur-
^nger, der länger als acht Jahre in Afrika gelebt hat, ohne von Krankheit
in leiden, wird von besonderer Wichtigkeit für den ersten Theil des Zugs der
Spedition, die Reise vom Rothen Meer nach Chartum sein und sich na-


Grenzboten III. 1861. 22
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[0179] Ein nicht weniger erprobtes und bedeutendes Mitglied der Expedition ist der Schweizer Munzinger, über den wir ausführlicher berichten. Werner Munzinger, 1832 zu Otter geboren, studirte zuerst in Bern Naturwissenschaften und Geschichte und wandte sich hierauf der Philologie zu, und zwar vorzüg¬ lich den morgenländischen Sprachen, denen er sich Anfangs zu München wid¬ mete. Von 1852 an in Paris unter Reynaud. I. Mohl und Haase mit der Erlernung der lebenden orientalischen Sprachen beschäftigt und seit dem Februar dieses Jahres Mitglied der dortigen Asiatischen Gesellschaft, begab er sich später nach Kairo, um seine Studien fortzusetzen. Da sich dem bald sinan- cielle Schwierigkeiten entgegenstellten, trat er, um seinen Zweck nicht aufgeben zu müssen, zu Alexandrien in ein Handelshaus ein, welches ihn schon 1854 als zweiten Chef einer Handelsexpedition nach dem Rothen Meere beorderte. Nachdem der erste Chef sich aus dem Geschäft zurückgezogen, trat Munzinger in dessen Stelle ein und mußte zugleich die Liquidation des Unternehmens durchführen, eine weitläufige Arbeit, die ihn ein volles Jahr in der Hafen¬ stadt Masso.na zu verweilen nöthigte. Während dieser Frist machte er einen Ausflug zu den Bogos, einem abyssinischen Volksstamme westlich von Massaua, und da entstand in ihm der Wunsch, sich hier für längere Zeit niederzulassen. Nachdem er dazu in Alexandrien die nöthigen Vorbereitungen getroffen, führte er seine Absicht aus, und seitdem lebte er meist in Keren, der Hauptstadt des Landes der Bogos. Um seine Existenz hier zu sichern und zugleich seiner Wissenschaft zu dienen, unternahm Munzinger allerlei Handelsgeschäfte, die ihn nach verschiedenen Städten des Rothen Meeres führten und ihn mit dem dortigen Leben immer vertrauter machten. Das Volk, unter dem er sich an¬ gesiedelt, erwies ihm großes Vertrauen und übertrug ihm das Richteramt und von Zeit zu Zeit selbst Regierungsgeschäfte, ja einer der dortigen Fütsten war im Begriffe, ihn förmlich mit der Regierung des Bogos zu beauftragen, als er von einem Nebenbuhler vergiftet wurde. Bei allen Wechselfällen der Verhältnisse erübrigte Munzinger Zeit, zu speciell wissenschaftlichen Reisen nach Westen und zur Ausarbeitung seiner Beobachtungen für den Druck. Außer „Briefen vom Rothen Meer", einer "Beschreibung der nordöstlichen Grenzländer von Habesch" und einer Abhand¬ lung über die Schohos und die Beduan bei Massaua, die in der Zeitschrift sür Allgemeine Erdkunde erschienen, vollendete er ein größeres Werk über das Land der Bogos. von dem bis jetzt nur ein Abschnitt über das Recht dieses Volkes veröffentlicht ist, serner eine Grammatik des Belen, und eine Beschrei¬ bung der Länder und Stämme nördlich und westlich von den Bogos. Mur- ^nger, der länger als acht Jahre in Afrika gelebt hat, ohne von Krankheit in leiden, wird von besonderer Wichtigkeit für den ersten Theil des Zugs der Spedition, die Reise vom Rothen Meer nach Chartum sein und sich na- Grenzboten III. 1861. 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/179>, abgerufen am 22.07.2024.