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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Eindruck. Wie oft soll es wiederholt werden: nur das Mittelalter war im
Stande in diesem Style zu bauen, der, folgerichtig und mathematisch wie
kein anderer in der Form das Gerippe des Baues erscheinen läßt und
dieses dennoch wieder einerseits in die Geistigkeit des sich aufschwingenden
Gedankens, andererseits in eine Fülle von phantastisch-sinnlichen Ornamenten
auslöst; die Verkörperung einer frommen und doch wilden, in heißen Wider¬
sprüchen gährenden Zeit. Und dieser Styl läßt für die Kirche nur zweierlei
zu: entweder mächtige Kathedralen, in denen die Wucht der Verhältnisse mit
der Arbeit des Bildhauers wetteifert, oder zierliche Kapellen, in denen jeder
Stein in ein Formgebilde der Phantasie sich verwandelt hat, ein blühender
Bau. ein versteinertes Leben. Hier ist jedes Mittelding ein Unding. -- Was
die neuen noch nicht fertigen Theater betrifft, so scheinen sie einem bestimmten
Styl nicht anzugehören; man will, so heißt es, mit der Oeffentlichkeit den
Privatnutzen verbinden, außenherum Privatwohnungen anlegen, und so kön¬
nen sie kaum etwas Anderes werden, als ungeheure Behälter, Riesentapseln
für Allerlei.

Wo es eigentlich der Architektur des Kaiserreichs fehlt, ist schon oben ange¬
deutet. Will man den Gesammteindruck derselben bezeichnen, so läßt sich ihr
Charakter kurz in die zwei Worte fassen: dccorative Pracht. Im Ganzen
wenige Spuren von einer schönen Einfachheit der Verhältnisse, von einer in¬
dividuellen, künstlerisch schaffenden, den Schmuck macißvoll vertheilenden Hand;
dagegen ein großer Aufwand an reichen Ornamenten, eine Verschwendung von
architektonischem Apparat, der dem Bau mehr äußerlich anklebt, als organisch
mit ihm zusammenhängt. Charakteristisch ist, daß fast überall nur die korin¬
thische Säule gebraucht wird. Keine Frage, man baut im Ganzen besser als
bei uns; aber baut man hier zu ärmlich, so baut man dort zu prächtig.
Der Reiz des Ornaments stumpft sich ab; nicht, daß es zu oft und viel an¬
gewandt würde -- das verhütet die Geldnoth, an der bei allem Reichthum
das Jahrhundert leidet -- sondern weil jedesmal das reichste, üppigste und
uicht immer am passenden Orte angebracht wird. Dieser Pomp hat etwas
Drückendes, wie andrerseits die rastlose Eile, mit der die Umgestaltung der
^labt in's Werk gesetzt wird, ebensowenig den Einheimischen als den Frem-
zu Athem und Besinnung kommen läßt. Man merkt, daß die ganze fa¬
belhafte Thätigkeit eine künstlich gemachte, daß sie nicht naturgemäß aus den
-Bedürfnissen und Neigungen der Nation entsprossen ist, wenn sie auch densel-
^ nicht geradezu widerstrebt. Nur der mächtige Wille eines Einzelnen, dem
°r Vvlrswille sich fügt, der keine Rücksicht kennt und keine Zeit zu verlieren
kann so durchgreifend und rasch ein Ganzes zu Stande bringen. Aber
as Werx ^ri^ Entstehungsweise nicht verleugnen. Jeder Stein trägt
Zeichen der despotischen Macht, und all der Pomp macht die Lebenslust


Eindruck. Wie oft soll es wiederholt werden: nur das Mittelalter war im
Stande in diesem Style zu bauen, der, folgerichtig und mathematisch wie
kein anderer in der Form das Gerippe des Baues erscheinen läßt und
dieses dennoch wieder einerseits in die Geistigkeit des sich aufschwingenden
Gedankens, andererseits in eine Fülle von phantastisch-sinnlichen Ornamenten
auslöst; die Verkörperung einer frommen und doch wilden, in heißen Wider¬
sprüchen gährenden Zeit. Und dieser Styl läßt für die Kirche nur zweierlei
zu: entweder mächtige Kathedralen, in denen die Wucht der Verhältnisse mit
der Arbeit des Bildhauers wetteifert, oder zierliche Kapellen, in denen jeder
Stein in ein Formgebilde der Phantasie sich verwandelt hat, ein blühender
Bau. ein versteinertes Leben. Hier ist jedes Mittelding ein Unding. — Was
die neuen noch nicht fertigen Theater betrifft, so scheinen sie einem bestimmten
Styl nicht anzugehören; man will, so heißt es, mit der Oeffentlichkeit den
Privatnutzen verbinden, außenherum Privatwohnungen anlegen, und so kön¬
nen sie kaum etwas Anderes werden, als ungeheure Behälter, Riesentapseln
für Allerlei.

Wo es eigentlich der Architektur des Kaiserreichs fehlt, ist schon oben ange¬
deutet. Will man den Gesammteindruck derselben bezeichnen, so läßt sich ihr
Charakter kurz in die zwei Worte fassen: dccorative Pracht. Im Ganzen
wenige Spuren von einer schönen Einfachheit der Verhältnisse, von einer in¬
dividuellen, künstlerisch schaffenden, den Schmuck macißvoll vertheilenden Hand;
dagegen ein großer Aufwand an reichen Ornamenten, eine Verschwendung von
architektonischem Apparat, der dem Bau mehr äußerlich anklebt, als organisch
mit ihm zusammenhängt. Charakteristisch ist, daß fast überall nur die korin¬
thische Säule gebraucht wird. Keine Frage, man baut im Ganzen besser als
bei uns; aber baut man hier zu ärmlich, so baut man dort zu prächtig.
Der Reiz des Ornaments stumpft sich ab; nicht, daß es zu oft und viel an¬
gewandt würde — das verhütet die Geldnoth, an der bei allem Reichthum
das Jahrhundert leidet — sondern weil jedesmal das reichste, üppigste und
uicht immer am passenden Orte angebracht wird. Dieser Pomp hat etwas
Drückendes, wie andrerseits die rastlose Eile, mit der die Umgestaltung der
^labt in's Werk gesetzt wird, ebensowenig den Einheimischen als den Frem-
zu Athem und Besinnung kommen läßt. Man merkt, daß die ganze fa¬
belhafte Thätigkeit eine künstlich gemachte, daß sie nicht naturgemäß aus den
-Bedürfnissen und Neigungen der Nation entsprossen ist, wenn sie auch densel-
^ nicht geradezu widerstrebt. Nur der mächtige Wille eines Einzelnen, dem
°r Vvlrswille sich fügt, der keine Rücksicht kennt und keine Zeit zu verlieren
kann so durchgreifend und rasch ein Ganzes zu Stande bringen. Aber
as Werx ^ri^ Entstehungsweise nicht verleugnen. Jeder Stein trägt
Zeichen der despotischen Macht, und all der Pomp macht die Lebenslust


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/153>, abgerufen am 24.08.2024.