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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Anderes hervorzurufen, als einen ungewissen mittleren Zustand: eine Ueber¬
gangszeit, von der sich nicht bestimmen läßt, was auf sie folgen wird. --

Dies ist der Fall des jetzigen Kaiserthums. Wenn mit ihm nicht auch
in dem Culturleben des Volkes eine neue Periode anhebt, so trägt wahrlich
nicht seine Nachlässigkeit die Schuld; an Bemühungen, der Kunst einen neuen
Aufschwung zu geben, läßt es die Regierung nicht fehlen. Schon oft und in
vieler Beziehung ist das französische Kaiserreich mit dem römischen verglichen
worden; so viel ist gewiß, daß das eine wie das andere sich die bauliche Um¬
gestaltung ihrer Weltstädte zur Aufgabe gemacht hat. Augustus durfte
von sich sagen, daß er Rom. welches er als eine Masse von Ziegelsteinen
überkommen, marmorn zurückgelassen habe; Napoleon kann behaupten, daß
er Paläste ausgeführt, wo Baracken gewesen. Und mehr: er hat mit der weisen
Wirksamkeit des Augustus etwas von der rücksichtslos durchgreifenden Baulust
des Nero verbunden. Selbst in der Art des Badens fehlt es hier nicht um
mancherlei Verwandtschaft. Die Worte des Tacitus, "was den für den Privat¬
bau bestimmten Stadttheil anbelangt, so wurde er nun in abgemessenen Häuser-
gruppen mit breiten Straßenräumen und gleichmäßiger Höhe der Gebäude
aufgeführt" passen auch hierher; und als ich in der Mittagstunde längs des
Boulevard Sebastopol ging, mußte ich halbärgerlich jenes Einwandes geden¬
ken, den der alte Historiker mit seiner gewohnten Schärfe anzuführen nicht
unterläßt: daß die offene, durch keinen Schatten geschützte Straße von um so
drückenderer Hitze glühe.

Indessen so viel, so reich und prächtig auch für öffentliche und private
Zwecke gebaut wird: von dem Versuch, einen neuen Baustyl einzuführen,
lassen sich keine oder nur ganz vereinzelte Spuren entdecken. Glücklicherweise.
Welche pappendeckelne Spielereien bei uns die Bestrebungen herbeigeführt haben,
aus der willkürlichen Mischung der verschiedensten Baustyle einen neuen hcraus-
zuklauben, das tritt uns leider in jeder größeren deutschen Stadt tagtäglich
vor Augen; scheint doch die gegenwärtige deutsche Baukunst in dem. was sie
Neues erfindet, einerseits dem Zuckerbäcker, andererseits dem Schachtelmacher
den Rang ablaufen zu wollen. Wir haben allerdings an manchen Punkten,
wo die Baulust besonders sich regt, unter der Ungunst'des Materials zu lei¬
den, aber das ist kein Grund, Gothik und Renaissance nebst maurischen und
romanischen Erinnerungen unter ein Dach zu bringen und dem Ganzen durch
allerlei gefüllige aber unpassende Zugaben einer kleinlichen decorativer Psen-
"kahle ein kokettes Aussehen zu geben. Daß dabei von einer Construction,
einem Aufbau, der auch für das Auge als solcher sich gliedert, von einem
möglichst organischen Verhältniß der verschiedenen Theile, einer den Innenbau
klar wiedergebenden Foyade, welche die einzelnen Glieder ebensowol sondert,
als verbindet, daß von . dem Allem nicht die Rede sein kann, liegt aus der


Anderes hervorzurufen, als einen ungewissen mittleren Zustand: eine Ueber¬
gangszeit, von der sich nicht bestimmen läßt, was auf sie folgen wird. —

Dies ist der Fall des jetzigen Kaiserthums. Wenn mit ihm nicht auch
in dem Culturleben des Volkes eine neue Periode anhebt, so trägt wahrlich
nicht seine Nachlässigkeit die Schuld; an Bemühungen, der Kunst einen neuen
Aufschwung zu geben, läßt es die Regierung nicht fehlen. Schon oft und in
vieler Beziehung ist das französische Kaiserreich mit dem römischen verglichen
worden; so viel ist gewiß, daß das eine wie das andere sich die bauliche Um¬
gestaltung ihrer Weltstädte zur Aufgabe gemacht hat. Augustus durfte
von sich sagen, daß er Rom. welches er als eine Masse von Ziegelsteinen
überkommen, marmorn zurückgelassen habe; Napoleon kann behaupten, daß
er Paläste ausgeführt, wo Baracken gewesen. Und mehr: er hat mit der weisen
Wirksamkeit des Augustus etwas von der rücksichtslos durchgreifenden Baulust
des Nero verbunden. Selbst in der Art des Badens fehlt es hier nicht um
mancherlei Verwandtschaft. Die Worte des Tacitus, „was den für den Privat¬
bau bestimmten Stadttheil anbelangt, so wurde er nun in abgemessenen Häuser-
gruppen mit breiten Straßenräumen und gleichmäßiger Höhe der Gebäude
aufgeführt" passen auch hierher; und als ich in der Mittagstunde längs des
Boulevard Sebastopol ging, mußte ich halbärgerlich jenes Einwandes geden¬
ken, den der alte Historiker mit seiner gewohnten Schärfe anzuführen nicht
unterläßt: daß die offene, durch keinen Schatten geschützte Straße von um so
drückenderer Hitze glühe.

Indessen so viel, so reich und prächtig auch für öffentliche und private
Zwecke gebaut wird: von dem Versuch, einen neuen Baustyl einzuführen,
lassen sich keine oder nur ganz vereinzelte Spuren entdecken. Glücklicherweise.
Welche pappendeckelne Spielereien bei uns die Bestrebungen herbeigeführt haben,
aus der willkürlichen Mischung der verschiedensten Baustyle einen neuen hcraus-
zuklauben, das tritt uns leider in jeder größeren deutschen Stadt tagtäglich
vor Augen; scheint doch die gegenwärtige deutsche Baukunst in dem. was sie
Neues erfindet, einerseits dem Zuckerbäcker, andererseits dem Schachtelmacher
den Rang ablaufen zu wollen. Wir haben allerdings an manchen Punkten,
wo die Baulust besonders sich regt, unter der Ungunst'des Materials zu lei¬
den, aber das ist kein Grund, Gothik und Renaissance nebst maurischen und
romanischen Erinnerungen unter ein Dach zu bringen und dem Ganzen durch
allerlei gefüllige aber unpassende Zugaben einer kleinlichen decorativer Psen-
«kahle ein kokettes Aussehen zu geben. Daß dabei von einer Construction,
einem Aufbau, der auch für das Auge als solcher sich gliedert, von einem
möglichst organischen Verhältniß der verschiedenen Theile, einer den Innenbau
klar wiedergebenden Foyade, welche die einzelnen Glieder ebensowol sondert,
als verbindet, daß von . dem Allem nicht die Rede sein kann, liegt aus der


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[0144] Anderes hervorzurufen, als einen ungewissen mittleren Zustand: eine Ueber¬ gangszeit, von der sich nicht bestimmen läßt, was auf sie folgen wird. — Dies ist der Fall des jetzigen Kaiserthums. Wenn mit ihm nicht auch in dem Culturleben des Volkes eine neue Periode anhebt, so trägt wahrlich nicht seine Nachlässigkeit die Schuld; an Bemühungen, der Kunst einen neuen Aufschwung zu geben, läßt es die Regierung nicht fehlen. Schon oft und in vieler Beziehung ist das französische Kaiserreich mit dem römischen verglichen worden; so viel ist gewiß, daß das eine wie das andere sich die bauliche Um¬ gestaltung ihrer Weltstädte zur Aufgabe gemacht hat. Augustus durfte von sich sagen, daß er Rom. welches er als eine Masse von Ziegelsteinen überkommen, marmorn zurückgelassen habe; Napoleon kann behaupten, daß er Paläste ausgeführt, wo Baracken gewesen. Und mehr: er hat mit der weisen Wirksamkeit des Augustus etwas von der rücksichtslos durchgreifenden Baulust des Nero verbunden. Selbst in der Art des Badens fehlt es hier nicht um mancherlei Verwandtschaft. Die Worte des Tacitus, „was den für den Privat¬ bau bestimmten Stadttheil anbelangt, so wurde er nun in abgemessenen Häuser- gruppen mit breiten Straßenräumen und gleichmäßiger Höhe der Gebäude aufgeführt" passen auch hierher; und als ich in der Mittagstunde längs des Boulevard Sebastopol ging, mußte ich halbärgerlich jenes Einwandes geden¬ ken, den der alte Historiker mit seiner gewohnten Schärfe anzuführen nicht unterläßt: daß die offene, durch keinen Schatten geschützte Straße von um so drückenderer Hitze glühe. Indessen so viel, so reich und prächtig auch für öffentliche und private Zwecke gebaut wird: von dem Versuch, einen neuen Baustyl einzuführen, lassen sich keine oder nur ganz vereinzelte Spuren entdecken. Glücklicherweise. Welche pappendeckelne Spielereien bei uns die Bestrebungen herbeigeführt haben, aus der willkürlichen Mischung der verschiedensten Baustyle einen neuen hcraus- zuklauben, das tritt uns leider in jeder größeren deutschen Stadt tagtäglich vor Augen; scheint doch die gegenwärtige deutsche Baukunst in dem. was sie Neues erfindet, einerseits dem Zuckerbäcker, andererseits dem Schachtelmacher den Rang ablaufen zu wollen. Wir haben allerdings an manchen Punkten, wo die Baulust besonders sich regt, unter der Ungunst'des Materials zu lei¬ den, aber das ist kein Grund, Gothik und Renaissance nebst maurischen und romanischen Erinnerungen unter ein Dach zu bringen und dem Ganzen durch allerlei gefüllige aber unpassende Zugaben einer kleinlichen decorativer Psen- «kahle ein kokettes Aussehen zu geben. Daß dabei von einer Construction, einem Aufbau, der auch für das Auge als solcher sich gliedert, von einem möglichst organischen Verhältniß der verschiedenen Theile, einer den Innenbau klar wiedergebenden Foyade, welche die einzelnen Glieder ebensowol sondert, als verbindet, daß von . dem Allem nicht die Rede sein kann, liegt aus der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/144>, abgerufen am 01.07.2024.