Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

keit. Er legt einen poetischen Gehalt in sein Werk, das sonst leer und
dürftig wäre, weil ihm derjenige Gehalt'fehlt, der aus der Tiefe des Gegen¬
standes geschöpft werden muß." Auf diesem Irrwege ist denn auch die Kunst
wacker fortgeschritten -- und, da jenes Leiden eigentlich ein Unvermögen ist,
den in den Dingen selber ruhenden Schatz zu heben, immer ärmer geworden.
Die Ideen nehmen zu. die Kunst nimmt ab. Denn noch immer ist die Jdeen-
malerei an der Tagesordnung, die Kunst, welche die Ideen als abstracte Geister
für sich betrachtet, die sich in einer beliebigen Form auftischen lassen, etwa
wie Geflügel in einer Pastete; die den Gestalten ihre eigene Seele nimmt,
damit dann nothdürftig aus den Augenhöhlen das schwache Lichtlein des denken¬
den Malers hervorleuchten könne. Auf der andern Seite geräth der Realis¬
mus auf einen ganz ähnlichen Abweg; auch er hat kein Auge für die ästhe¬
tische Erscheinung der Dinge, und das materielle körperhaste Bild der Wirklich¬
keit, dem er absichtlich der groben Wahrheit willen meistens unschöne For¬
men gibt, ist künstlerisch eben so unwahr als leblos.

Die Feder wird müde, bei den Bildern sich aufzuhalten, auf denen zu
verweilen das Auge keine Freude hat. Natürlich vermag der Künstler, der
das Leben, das den Gestalten des Dichters innewohnt, nicht wiedergeben
kann, noch weniger denen Seele einzuhauchen. die bei jenem Schemen, halb
Abbilder wirklicher Personen, halb abstracte Begriffswesen, Typen sind. Aus
der natürlichen Tochter, in der ein geschichtlicher Stoff seinem natürlichen Boden
entrissen und in den grundlosen Aether des Allgemeinen erhoben ist. in der
der Kampf der geschichtlichen Gegensätze in den abstracten Zwiespalt der Stunde
übersetzt ist, in der endlich die Charaktere ihrer individuellen Eigenthümlichkeit
entkleidet in das farblose Gewand des Gattungsmäßigen gehüllt sind: aus
diesem Stoff wird der bildende Künstler am wenigsten Etwas zu machen wissen.
Die Scene, die sich Kaulbach zum Vorwurf genommen, hat überdies ihre
besonderen Schwierigkeiten. Wie soll sich in den Zügen der das Ordensband
umlegenden Eugenie die ganze Gedankenreihe ausdrücken, die Mischung ver¬
schiedenartiger Empfindungen, welche das Gemüth des Mädchens im Innerste"
aufregen! Auch die Stimmung der Hofmeisterin ist eine complicirte und in ihrer
Verstecktheit vom Maler nicht wol darstellbar. Beiläufig gesagt, ist der Licht¬
gang unverständlich: der Art nach, wie er auf das Gesicht der Hofmeistern
fällt, müßten die Züge Eugeniens im Schatten sein.

Noch liegen zwei Blatter vor uns. Das eine behandelt Hermann und
Dorothea. War die natürliche Tochter von allen bisherigen Dichtungen für
den Künstler die ungünstigste, so enthält im Gegentheil dieser, der epische
Stoff, genug brauchbare Motive. Die anschauliche Breite des Geschehens,
die sich auch in den prägnanten Momenten nicht zu der schlagähnlichen blitz¬
artigen That des Drama's zuspitzt, sondern jede Handlung in eine Folge von


keit. Er legt einen poetischen Gehalt in sein Werk, das sonst leer und
dürftig wäre, weil ihm derjenige Gehalt'fehlt, der aus der Tiefe des Gegen¬
standes geschöpft werden muß." Auf diesem Irrwege ist denn auch die Kunst
wacker fortgeschritten — und, da jenes Leiden eigentlich ein Unvermögen ist,
den in den Dingen selber ruhenden Schatz zu heben, immer ärmer geworden.
Die Ideen nehmen zu. die Kunst nimmt ab. Denn noch immer ist die Jdeen-
malerei an der Tagesordnung, die Kunst, welche die Ideen als abstracte Geister
für sich betrachtet, die sich in einer beliebigen Form auftischen lassen, etwa
wie Geflügel in einer Pastete; die den Gestalten ihre eigene Seele nimmt,
damit dann nothdürftig aus den Augenhöhlen das schwache Lichtlein des denken¬
den Malers hervorleuchten könne. Auf der andern Seite geräth der Realis¬
mus auf einen ganz ähnlichen Abweg; auch er hat kein Auge für die ästhe¬
tische Erscheinung der Dinge, und das materielle körperhaste Bild der Wirklich¬
keit, dem er absichtlich der groben Wahrheit willen meistens unschöne For¬
men gibt, ist künstlerisch eben so unwahr als leblos.

Die Feder wird müde, bei den Bildern sich aufzuhalten, auf denen zu
verweilen das Auge keine Freude hat. Natürlich vermag der Künstler, der
das Leben, das den Gestalten des Dichters innewohnt, nicht wiedergeben
kann, noch weniger denen Seele einzuhauchen. die bei jenem Schemen, halb
Abbilder wirklicher Personen, halb abstracte Begriffswesen, Typen sind. Aus
der natürlichen Tochter, in der ein geschichtlicher Stoff seinem natürlichen Boden
entrissen und in den grundlosen Aether des Allgemeinen erhoben ist. in der
der Kampf der geschichtlichen Gegensätze in den abstracten Zwiespalt der Stunde
übersetzt ist, in der endlich die Charaktere ihrer individuellen Eigenthümlichkeit
entkleidet in das farblose Gewand des Gattungsmäßigen gehüllt sind: aus
diesem Stoff wird der bildende Künstler am wenigsten Etwas zu machen wissen.
Die Scene, die sich Kaulbach zum Vorwurf genommen, hat überdies ihre
besonderen Schwierigkeiten. Wie soll sich in den Zügen der das Ordensband
umlegenden Eugenie die ganze Gedankenreihe ausdrücken, die Mischung ver¬
schiedenartiger Empfindungen, welche das Gemüth des Mädchens im Innerste»
aufregen! Auch die Stimmung der Hofmeisterin ist eine complicirte und in ihrer
Verstecktheit vom Maler nicht wol darstellbar. Beiläufig gesagt, ist der Licht¬
gang unverständlich: der Art nach, wie er auf das Gesicht der Hofmeistern
fällt, müßten die Züge Eugeniens im Schatten sein.

Noch liegen zwei Blatter vor uns. Das eine behandelt Hermann und
Dorothea. War die natürliche Tochter von allen bisherigen Dichtungen für
den Künstler die ungünstigste, so enthält im Gegentheil dieser, der epische
Stoff, genug brauchbare Motive. Die anschauliche Breite des Geschehens,
die sich auch in den prägnanten Momenten nicht zu der schlagähnlichen blitz¬
artigen That des Drama's zuspitzt, sondern jede Handlung in eine Folge von


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0070" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/111502"/>
          <p xml:id="ID_193" prev="#ID_192"> keit. Er legt einen poetischen Gehalt in sein Werk, das sonst leer und<lb/>
dürftig wäre, weil ihm derjenige Gehalt'fehlt, der aus der Tiefe des Gegen¬<lb/>
standes geschöpft werden muß." Auf diesem Irrwege ist denn auch die Kunst<lb/>
wacker fortgeschritten &#x2014; und, da jenes Leiden eigentlich ein Unvermögen ist,<lb/>
den in den Dingen selber ruhenden Schatz zu heben, immer ärmer geworden.<lb/>
Die Ideen nehmen zu. die Kunst nimmt ab. Denn noch immer ist die Jdeen-<lb/>
malerei an der Tagesordnung, die Kunst, welche die Ideen als abstracte Geister<lb/>
für sich betrachtet, die sich in einer beliebigen Form auftischen lassen, etwa<lb/>
wie Geflügel in einer Pastete; die den Gestalten ihre eigene Seele nimmt,<lb/>
damit dann nothdürftig aus den Augenhöhlen das schwache Lichtlein des denken¬<lb/>
den Malers hervorleuchten könne. Auf der andern Seite geräth der Realis¬<lb/>
mus auf einen ganz ähnlichen Abweg; auch er hat kein Auge für die ästhe¬<lb/>
tische Erscheinung der Dinge, und das materielle körperhaste Bild der Wirklich¬<lb/>
keit, dem er absichtlich der groben Wahrheit willen meistens unschöne For¬<lb/>
men gibt, ist künstlerisch eben so unwahr als leblos.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_194"> Die Feder wird müde, bei den Bildern sich aufzuhalten, auf denen zu<lb/>
verweilen das Auge keine Freude hat. Natürlich vermag der Künstler, der<lb/>
das Leben, das den Gestalten des Dichters innewohnt, nicht wiedergeben<lb/>
kann, noch weniger denen Seele einzuhauchen. die bei jenem Schemen, halb<lb/>
Abbilder wirklicher Personen, halb abstracte Begriffswesen, Typen sind. Aus<lb/>
der natürlichen Tochter, in der ein geschichtlicher Stoff seinem natürlichen Boden<lb/>
entrissen und in den grundlosen Aether des Allgemeinen erhoben ist. in der<lb/>
der Kampf der geschichtlichen Gegensätze in den abstracten Zwiespalt der Stunde<lb/>
übersetzt ist, in der endlich die Charaktere ihrer individuellen Eigenthümlichkeit<lb/>
entkleidet in das farblose Gewand des Gattungsmäßigen gehüllt sind: aus<lb/>
diesem Stoff wird der bildende Künstler am wenigsten Etwas zu machen wissen.<lb/>
Die Scene, die sich Kaulbach zum Vorwurf genommen, hat überdies ihre<lb/>
besonderen Schwierigkeiten. Wie soll sich in den Zügen der das Ordensband<lb/>
umlegenden Eugenie die ganze Gedankenreihe ausdrücken, die Mischung ver¬<lb/>
schiedenartiger Empfindungen, welche das Gemüth des Mädchens im Innerste»<lb/>
aufregen! Auch die Stimmung der Hofmeisterin ist eine complicirte und in ihrer<lb/>
Verstecktheit vom Maler nicht wol darstellbar. Beiläufig gesagt, ist der Licht¬<lb/>
gang unverständlich: der Art nach, wie er auf das Gesicht der Hofmeistern<lb/>
fällt, müßten die Züge Eugeniens im Schatten sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_195" next="#ID_196"> Noch liegen zwei Blatter vor uns. Das eine behandelt Hermann und<lb/>
Dorothea. War die natürliche Tochter von allen bisherigen Dichtungen für<lb/>
den Künstler die ungünstigste, so enthält im Gegentheil dieser, der epische<lb/>
Stoff, genug brauchbare Motive. Die anschauliche Breite des Geschehens,<lb/>
die sich auch in den prägnanten Momenten nicht zu der schlagähnlichen blitz¬<lb/>
artigen That des Drama's zuspitzt, sondern jede Handlung in eine Folge von</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0070] keit. Er legt einen poetischen Gehalt in sein Werk, das sonst leer und dürftig wäre, weil ihm derjenige Gehalt'fehlt, der aus der Tiefe des Gegen¬ standes geschöpft werden muß." Auf diesem Irrwege ist denn auch die Kunst wacker fortgeschritten — und, da jenes Leiden eigentlich ein Unvermögen ist, den in den Dingen selber ruhenden Schatz zu heben, immer ärmer geworden. Die Ideen nehmen zu. die Kunst nimmt ab. Denn noch immer ist die Jdeen- malerei an der Tagesordnung, die Kunst, welche die Ideen als abstracte Geister für sich betrachtet, die sich in einer beliebigen Form auftischen lassen, etwa wie Geflügel in einer Pastete; die den Gestalten ihre eigene Seele nimmt, damit dann nothdürftig aus den Augenhöhlen das schwache Lichtlein des denken¬ den Malers hervorleuchten könne. Auf der andern Seite geräth der Realis¬ mus auf einen ganz ähnlichen Abweg; auch er hat kein Auge für die ästhe¬ tische Erscheinung der Dinge, und das materielle körperhaste Bild der Wirklich¬ keit, dem er absichtlich der groben Wahrheit willen meistens unschöne For¬ men gibt, ist künstlerisch eben so unwahr als leblos. Die Feder wird müde, bei den Bildern sich aufzuhalten, auf denen zu verweilen das Auge keine Freude hat. Natürlich vermag der Künstler, der das Leben, das den Gestalten des Dichters innewohnt, nicht wiedergeben kann, noch weniger denen Seele einzuhauchen. die bei jenem Schemen, halb Abbilder wirklicher Personen, halb abstracte Begriffswesen, Typen sind. Aus der natürlichen Tochter, in der ein geschichtlicher Stoff seinem natürlichen Boden entrissen und in den grundlosen Aether des Allgemeinen erhoben ist. in der der Kampf der geschichtlichen Gegensätze in den abstracten Zwiespalt der Stunde übersetzt ist, in der endlich die Charaktere ihrer individuellen Eigenthümlichkeit entkleidet in das farblose Gewand des Gattungsmäßigen gehüllt sind: aus diesem Stoff wird der bildende Künstler am wenigsten Etwas zu machen wissen. Die Scene, die sich Kaulbach zum Vorwurf genommen, hat überdies ihre besonderen Schwierigkeiten. Wie soll sich in den Zügen der das Ordensband umlegenden Eugenie die ganze Gedankenreihe ausdrücken, die Mischung ver¬ schiedenartiger Empfindungen, welche das Gemüth des Mädchens im Innerste» aufregen! Auch die Stimmung der Hofmeisterin ist eine complicirte und in ihrer Verstecktheit vom Maler nicht wol darstellbar. Beiläufig gesagt, ist der Licht¬ gang unverständlich: der Art nach, wie er auf das Gesicht der Hofmeistern fällt, müßten die Züge Eugeniens im Schatten sein. Noch liegen zwei Blatter vor uns. Das eine behandelt Hermann und Dorothea. War die natürliche Tochter von allen bisherigen Dichtungen für den Künstler die ungünstigste, so enthält im Gegentheil dieser, der epische Stoff, genug brauchbare Motive. Die anschauliche Breite des Geschehens, die sich auch in den prägnanten Momenten nicht zu der schlagähnlichen blitz¬ artigen That des Drama's zuspitzt, sondern jede Handlung in eine Folge von

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/70
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/70>, abgerufen am 22.07.2024.