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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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da sie rein innerliche, geistige Vorgänge sich zum Vorwurf nimmt, so sind ihr
andrerseits die wirklichen Dinge geistverlassen, so vermag sie nicht, sie malerisch
zu beseelen, sie in den seelenvollen Schein der Farbe hereinzunehmen. So
stehen beide Seelen in engem Zusammenhang, wenn sie sich auch in verschie¬
dene Meister und Schulen trennen. Eben deswegen gehen sie nicht selten
ineinander über. Der Realist fühlt, daß es mit dem bloßen Beiwerk und
materiellen Farbeneffect doch nicht gethan ist. er greift in die Ideenwelt hinüber
und sucht seinerseits ein Geistiges so geistreich als möglich auszudrücken, wäh¬
rend die Nebendinge in derber Handgreiflichkeit unbekümmert um den Rest
ein "freies Leben" für sich fortführen; der Idealist, der einerseits das Indi¬
viduelle in das Element einer verschwommenen und verblasenen Allgemeinheit
untertaucht, geht andrerseits zur übertriebenen Charakteristik, selbst zur Carri-
catur fort. Da es dem Realisten vor Allem um eindringliche Wirkung zu thun
ist, so geräth er bei seinem Eintritt in die idealistische Richtung nicht selten
auf einen sonderbaren Abweg: er hält das Erschütternde, Grasse für das Wirk¬
same, und so hat sich eine ganze Klasse von Künstlern gebildet, die ihre Force
darin finden, Unglücksfälle zu malen. Selbst in der Landschaft macht sich eine
solche Liebhaberei an schauerlichen Katastrophen bemerkbar; wir erinnern an
Böcklins italienische Landschaft, in der Seeräuber eine Familie überfallen, den
Mann ermordet haben, die Frau gefangen fortführen. -- Andrerseits kommt
der charakterisirende Idealist leicht dazu, das menschliche Leben ironisch, sati¬
risch zu behandeln, weil ihm die individuelle Gestalt im Contrast zu seiner
Idee mit ihren Schwächen und Gebrechen und Absonderlichkeiten erscheint.
Eine solche Ironie hat z. B. in den Außenfreskcn der neuen Münchner Pina¬
kothek ihren Spuk getrieben. Und so kreuzen sich beide Richtungen in mannig¬
fachen Uebergängen, während sie zugleich die Grenzen der Kunst überschreiten.
Nur darin behauptet sich jede in ihrer Eigenthümlichkeit, daß es der einen
besonders aus die Formzeichnung, der andern auf die Farbe ankommt; daher
bildet sich denn nach allen Vermittlungen immer aufs Neue der Gegensatz.
Der Idealismus bleibt Idealismus, seine ganze Malerei gedankenhaft, so lange
es ihm genügt, seine Ideen in colorirten Umrissen wiederzugeben; gerade da¬
rin, daß ihm die Farbe grundsätzlich weit hinter der Zeichnung zurücksteht,
zeigt sich, daß ihm die Erscheinung als solche gleichgiltig ist, daß er keine'
eigentlich malerische Idee oder besser keine malerische Phantasie hat. Der Rea¬
lismus bleibt Realismus, seine Malerei der grobe Widerschein einer geistlos
angeschauter Natur, so lange ihm die schöne Welt der Linie nicht aufgeht,
so lange er sich bemüht, vor Allem den körperhaften Schein der Wirklichkeit
durch greifbar aufgesetzten Farbestoff hervorzubringen, so lange er nur auf die
sinnliche Wahrheit ausgeht, die lediglich in der bunten Erscheinung liegt.
Diese Wahrheit ist im künstlerischen Sinn unwahr -- man vergleiche nur


da sie rein innerliche, geistige Vorgänge sich zum Vorwurf nimmt, so sind ihr
andrerseits die wirklichen Dinge geistverlassen, so vermag sie nicht, sie malerisch
zu beseelen, sie in den seelenvollen Schein der Farbe hereinzunehmen. So
stehen beide Seelen in engem Zusammenhang, wenn sie sich auch in verschie¬
dene Meister und Schulen trennen. Eben deswegen gehen sie nicht selten
ineinander über. Der Realist fühlt, daß es mit dem bloßen Beiwerk und
materiellen Farbeneffect doch nicht gethan ist. er greift in die Ideenwelt hinüber
und sucht seinerseits ein Geistiges so geistreich als möglich auszudrücken, wäh¬
rend die Nebendinge in derber Handgreiflichkeit unbekümmert um den Rest
ein „freies Leben" für sich fortführen; der Idealist, der einerseits das Indi¬
viduelle in das Element einer verschwommenen und verblasenen Allgemeinheit
untertaucht, geht andrerseits zur übertriebenen Charakteristik, selbst zur Carri-
catur fort. Da es dem Realisten vor Allem um eindringliche Wirkung zu thun
ist, so geräth er bei seinem Eintritt in die idealistische Richtung nicht selten
auf einen sonderbaren Abweg: er hält das Erschütternde, Grasse für das Wirk¬
same, und so hat sich eine ganze Klasse von Künstlern gebildet, die ihre Force
darin finden, Unglücksfälle zu malen. Selbst in der Landschaft macht sich eine
solche Liebhaberei an schauerlichen Katastrophen bemerkbar; wir erinnern an
Böcklins italienische Landschaft, in der Seeräuber eine Familie überfallen, den
Mann ermordet haben, die Frau gefangen fortführen. — Andrerseits kommt
der charakterisirende Idealist leicht dazu, das menschliche Leben ironisch, sati¬
risch zu behandeln, weil ihm die individuelle Gestalt im Contrast zu seiner
Idee mit ihren Schwächen und Gebrechen und Absonderlichkeiten erscheint.
Eine solche Ironie hat z. B. in den Außenfreskcn der neuen Münchner Pina¬
kothek ihren Spuk getrieben. Und so kreuzen sich beide Richtungen in mannig¬
fachen Uebergängen, während sie zugleich die Grenzen der Kunst überschreiten.
Nur darin behauptet sich jede in ihrer Eigenthümlichkeit, daß es der einen
besonders aus die Formzeichnung, der andern auf die Farbe ankommt; daher
bildet sich denn nach allen Vermittlungen immer aufs Neue der Gegensatz.
Der Idealismus bleibt Idealismus, seine ganze Malerei gedankenhaft, so lange
es ihm genügt, seine Ideen in colorirten Umrissen wiederzugeben; gerade da¬
rin, daß ihm die Farbe grundsätzlich weit hinter der Zeichnung zurücksteht,
zeigt sich, daß ihm die Erscheinung als solche gleichgiltig ist, daß er keine'
eigentlich malerische Idee oder besser keine malerische Phantasie hat. Der Rea¬
lismus bleibt Realismus, seine Malerei der grobe Widerschein einer geistlos
angeschauter Natur, so lange ihm die schöne Welt der Linie nicht aufgeht,
so lange er sich bemüht, vor Allem den körperhaften Schein der Wirklichkeit
durch greifbar aufgesetzten Farbestoff hervorzubringen, so lange er nur auf die
sinnliche Wahrheit ausgeht, die lediglich in der bunten Erscheinung liegt.
Diese Wahrheit ist im künstlerischen Sinn unwahr — man vergleiche nur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/62>, abgerufen am 25.08.2024.