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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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den Gräuel dieser Schandthaten vorstellte und um ein Einschreiten dagegen
bat. Durch einen außerordentlichen Courier überschickte der Kaiser sofort einen
Befehl, derartige Grausamkeiten unter den schärfsten Androhungen seines Zorns
und der Bestrafung zu verbieten und befahl gleichzeitig, einen Dukaten für
jeden Gefangenen zu zahlen, den ein Bauer oder ein Soldat einer Civilbe¬
hörde in sicheren Gewahrsam übergab. Der Befehl war ebenso wohlthätig
als lobenswerth. aber es wurden den Escortirenhen immer noch höhere Preise
für die ihrer Obhut Anvertrauten geboten und häufig ließen sie sich bewegen
ihrer Pflicht untreu zu werden; denn sie bezweifelten, ob sich der Befehl recht¬
fertigen lasse.

Auch der Hunger lichtete erbarmungslos die Reihen des Feindes. Häufig
holte man Gruppen ein, die sich um die brennenden oder noch rauchenden
Trümmer von Gebäuden drängten, wo Verwundete oder Erfrorene ein Obdach
gefunden hatten, und Viele in diesen Gruppen schälten das hnlbverkohlte
Fleisch von den Leichen ihrer Kameraden mit den Fingern ab, und schlangen
es hinunter.

Der englische General fragte einen Grenadier von höchst kriegerischem Aus¬
sehen, den er so beschäftigt fand, ob ihn diese Nahrung nicht arctic? "Ja wol",
gab er zur Antwort; "aber er esse nicht, um sich das Leben zu erhalten --
das zu verlieren habe er vergeblich versucht -- sondern nur um Folterqualen
zu beschwichtigen." Als man dem Grenadier ein Stück Brod reichte, das zu¬
fällig bei der Hand war. griff er mit Gier danach als wollte er es gleich
ganz verschlingen; aber plötzlich stockte er und innere Bewegung schien ihn zu
ersticken. Er sah das Brod an. dann den Geber und Thränen roßten seine
Wangen herab.' Er versuchte aufzustehen, und indem er eine Bewegung machte,
als ob er die Hand ergreifen wollte, welche seiner Noth abzuhelfen bemüht
war. sank er zurück und war verschieden, ehe man ihm beispringen konnte.

Unzählige Hunde saßen auf den Leichen ihrer früheren Herren, stierten
ihnen in's Gesicht und heulten über ihren Hunger und ihren Verlust; während
andere das noch lebende Fleisch von den Füßen und Händen von Unglück¬
lichen rissen, die sich der Thiere nicht erwehren konnten und deren Qual um
so größer ward, als in vielen Fällen Bewußtsein und Gefühl unbeeinträchtigt
geblieben waren.

Das Aushalten der Hunde bei den Leichen ihrer Herren war sehr merk¬
würdig und rührend. Im Beginn des Rückzuges war in einem Dorfe bei
Selino eine 50 Mann starke Abtheilung des Feindes überfallen worden. Die
Bauern beschlossen ihre Gefangenen lebendig in eine Grube einzuscharren und
ein kleiner Trommler führte unerschrocken die dem Tode geweihte Schaar und
sprang zuerst in das Grab. Ein Hund, der einem der Opfer gehörte, ließ sich
nicht einfangen; jeden Tag begab er sich jedoch in das benachbarte Lager


Grenzboten II. 1861. 63

den Gräuel dieser Schandthaten vorstellte und um ein Einschreiten dagegen
bat. Durch einen außerordentlichen Courier überschickte der Kaiser sofort einen
Befehl, derartige Grausamkeiten unter den schärfsten Androhungen seines Zorns
und der Bestrafung zu verbieten und befahl gleichzeitig, einen Dukaten für
jeden Gefangenen zu zahlen, den ein Bauer oder ein Soldat einer Civilbe¬
hörde in sicheren Gewahrsam übergab. Der Befehl war ebenso wohlthätig
als lobenswerth. aber es wurden den Escortirenhen immer noch höhere Preise
für die ihrer Obhut Anvertrauten geboten und häufig ließen sie sich bewegen
ihrer Pflicht untreu zu werden; denn sie bezweifelten, ob sich der Befehl recht¬
fertigen lasse.

Auch der Hunger lichtete erbarmungslos die Reihen des Feindes. Häufig
holte man Gruppen ein, die sich um die brennenden oder noch rauchenden
Trümmer von Gebäuden drängten, wo Verwundete oder Erfrorene ein Obdach
gefunden hatten, und Viele in diesen Gruppen schälten das hnlbverkohlte
Fleisch von den Leichen ihrer Kameraden mit den Fingern ab, und schlangen
es hinunter.

Der englische General fragte einen Grenadier von höchst kriegerischem Aus¬
sehen, den er so beschäftigt fand, ob ihn diese Nahrung nicht arctic? „Ja wol",
gab er zur Antwort; „aber er esse nicht, um sich das Leben zu erhalten —
das zu verlieren habe er vergeblich versucht — sondern nur um Folterqualen
zu beschwichtigen." Als man dem Grenadier ein Stück Brod reichte, das zu¬
fällig bei der Hand war. griff er mit Gier danach als wollte er es gleich
ganz verschlingen; aber plötzlich stockte er und innere Bewegung schien ihn zu
ersticken. Er sah das Brod an. dann den Geber und Thränen roßten seine
Wangen herab.' Er versuchte aufzustehen, und indem er eine Bewegung machte,
als ob er die Hand ergreifen wollte, welche seiner Noth abzuhelfen bemüht
war. sank er zurück und war verschieden, ehe man ihm beispringen konnte.

Unzählige Hunde saßen auf den Leichen ihrer früheren Herren, stierten
ihnen in's Gesicht und heulten über ihren Hunger und ihren Verlust; während
andere das noch lebende Fleisch von den Füßen und Händen von Unglück¬
lichen rissen, die sich der Thiere nicht erwehren konnten und deren Qual um
so größer ward, als in vielen Fällen Bewußtsein und Gefühl unbeeinträchtigt
geblieben waren.

Das Aushalten der Hunde bei den Leichen ihrer Herren war sehr merk¬
würdig und rührend. Im Beginn des Rückzuges war in einem Dorfe bei
Selino eine 50 Mann starke Abtheilung des Feindes überfallen worden. Die
Bauern beschlossen ihre Gefangenen lebendig in eine Grube einzuscharren und
ein kleiner Trommler führte unerschrocken die dem Tode geweihte Schaar und
sprang zuerst in das Grab. Ein Hund, der einem der Opfer gehörte, ließ sich
nicht einfangen; jeden Tag begab er sich jedoch in das benachbarte Lager


Grenzboten II. 1861. 63
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[0507] den Gräuel dieser Schandthaten vorstellte und um ein Einschreiten dagegen bat. Durch einen außerordentlichen Courier überschickte der Kaiser sofort einen Befehl, derartige Grausamkeiten unter den schärfsten Androhungen seines Zorns und der Bestrafung zu verbieten und befahl gleichzeitig, einen Dukaten für jeden Gefangenen zu zahlen, den ein Bauer oder ein Soldat einer Civilbe¬ hörde in sicheren Gewahrsam übergab. Der Befehl war ebenso wohlthätig als lobenswerth. aber es wurden den Escortirenhen immer noch höhere Preise für die ihrer Obhut Anvertrauten geboten und häufig ließen sie sich bewegen ihrer Pflicht untreu zu werden; denn sie bezweifelten, ob sich der Befehl recht¬ fertigen lasse. Auch der Hunger lichtete erbarmungslos die Reihen des Feindes. Häufig holte man Gruppen ein, die sich um die brennenden oder noch rauchenden Trümmer von Gebäuden drängten, wo Verwundete oder Erfrorene ein Obdach gefunden hatten, und Viele in diesen Gruppen schälten das hnlbverkohlte Fleisch von den Leichen ihrer Kameraden mit den Fingern ab, und schlangen es hinunter. Der englische General fragte einen Grenadier von höchst kriegerischem Aus¬ sehen, den er so beschäftigt fand, ob ihn diese Nahrung nicht arctic? „Ja wol", gab er zur Antwort; „aber er esse nicht, um sich das Leben zu erhalten — das zu verlieren habe er vergeblich versucht — sondern nur um Folterqualen zu beschwichtigen." Als man dem Grenadier ein Stück Brod reichte, das zu¬ fällig bei der Hand war. griff er mit Gier danach als wollte er es gleich ganz verschlingen; aber plötzlich stockte er und innere Bewegung schien ihn zu ersticken. Er sah das Brod an. dann den Geber und Thränen roßten seine Wangen herab.' Er versuchte aufzustehen, und indem er eine Bewegung machte, als ob er die Hand ergreifen wollte, welche seiner Noth abzuhelfen bemüht war. sank er zurück und war verschieden, ehe man ihm beispringen konnte. Unzählige Hunde saßen auf den Leichen ihrer früheren Herren, stierten ihnen in's Gesicht und heulten über ihren Hunger und ihren Verlust; während andere das noch lebende Fleisch von den Füßen und Händen von Unglück¬ lichen rissen, die sich der Thiere nicht erwehren konnten und deren Qual um so größer ward, als in vielen Fällen Bewußtsein und Gefühl unbeeinträchtigt geblieben waren. Das Aushalten der Hunde bei den Leichen ihrer Herren war sehr merk¬ würdig und rührend. Im Beginn des Rückzuges war in einem Dorfe bei Selino eine 50 Mann starke Abtheilung des Feindes überfallen worden. Die Bauern beschlossen ihre Gefangenen lebendig in eine Grube einzuscharren und ein kleiner Trommler führte unerschrocken die dem Tode geweihte Schaar und sprang zuerst in das Grab. Ein Hund, der einem der Opfer gehörte, ließ sich nicht einfangen; jeden Tag begab er sich jedoch in das benachbarte Lager Grenzboten II. 1861. 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/507>, abgerufen am 25.08.2024.