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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Unter der bei Krasnoi gemachten Beute befand sich auch ein Wagen voller
Karten und Pläne, nicht nur Rußlands und der Türkei, sondern auch Cen-
tralasiens und Ostindiens; denn Napoleon hatte beabsichtigt die Eroberung
Hindostans zu einer Bedingung des mit Alexander nach dem Frieden abzuschlie¬
ßenden Schutz- und Trutzbündnisses zu machen. Als der Kaiser später mit Wilson
von diesem Fund sprach, sagte er zu ihm: "England schuldet mir größern
Dank, als es glaubt; durch mein Zurückweisen des Friedens ist ihm vielleicht
sein indisches Reich gerettet worden." Darauf bemerkte der englische General:
"Um uns noch mehr zu verpflichten und alle Versuchung zu entfernen, sollten
Ew. Majestät den ganzen Wagen lieber gleich uns schicken." "Nein, nein", gab
Alexander lachend zur Antwort, "der Inhalt ist in meiner Kanzlei sehr gut
aufgehoben; aber ich gestehe, es wundert mich, daß Sie nicht wenigstens den
Wagen in die Luft gesprengt haben, als er sich in Ihrem Besitz befand,
(Wilson hatte bei Krasnoi die Kosacken des Vortrabs begleitet), da Sie ihn
nicht fortschaffen konnten. Sagen Sie mir. haben Sie und Cathcart (der
andere englische Bevollmächtigte im russischen Hauptquartier) nicht Befehl alle
Fabriken in Brand zu stecken, wenn wir nach Preußen und Deutschland kommen?"

Unter dem vielerlei Neuen, was Wilson in seinem Bericht mittheilt, fin¬
den wir auch folgende ergreifende Scene, die wir uns nicht erinnern können
früher irgendwo gelesen zu haben.

Das Dorf Woronowo gehörte Rostopschin, und er besaß daselbst ein
Schloß von großer Pracht.

Selbst die Einrichtung der Ställe war von seltner Großartigkeit. Ueber
dem Eingange derselben standen colossale Abgüsse der Rossebändiger von Monte
Cavallo, die er mit andern kostbaren Modellen der vornehmsten römischen und
griechischen Gebäude aus Rom mitgebracht hatte. Diese letzteren nahmen
eine große Gallerie im Schlosse in Anspruch, das in seinem Innern mit Al¬
lem, was fremde Länder zur Befriedigung des Luxus und zur Zierde liefern
konnten, äußerst geschmackvoll und glänzend ausgestattet war.

Rostopschin hatte auch noch einen Palast in Moskau und ein Landhaus
in dessen Nähe besessen. Diese waren, seinen Anweisungen zuwider, der all¬
gemeinen Einäscherung entgangen, und selbst ein Befehl Napoleons, sie in
Brand zu stecken, war nicht ausgeführt worden, da einige Generäle, die dort
einquartirt waren, ihre Bequemlichkeit vorzogen.

Während der Nacht vor dem Abzüge von Woronowo lagerten Rostop¬
schin. Benningsen, Jermolow und verschiedene Generäle und Offiziere mit dem
englischen General und Lord Tyrconnel, seinem Adjutanten, um ein Feuer
an den Stallgebäuden des Palastes. Rostopschin raubte Allen den Schlaf mit
seinen bittern Klagen über Kutusow, daß er Moskau geräumt, ohne ihm die "vor¬
her verabredete Nachricht" gegeben, und dadurch die Behörden und die Bewohner


Unter der bei Krasnoi gemachten Beute befand sich auch ein Wagen voller
Karten und Pläne, nicht nur Rußlands und der Türkei, sondern auch Cen-
tralasiens und Ostindiens; denn Napoleon hatte beabsichtigt die Eroberung
Hindostans zu einer Bedingung des mit Alexander nach dem Frieden abzuschlie¬
ßenden Schutz- und Trutzbündnisses zu machen. Als der Kaiser später mit Wilson
von diesem Fund sprach, sagte er zu ihm: „England schuldet mir größern
Dank, als es glaubt; durch mein Zurückweisen des Friedens ist ihm vielleicht
sein indisches Reich gerettet worden." Darauf bemerkte der englische General:
„Um uns noch mehr zu verpflichten und alle Versuchung zu entfernen, sollten
Ew. Majestät den ganzen Wagen lieber gleich uns schicken." „Nein, nein", gab
Alexander lachend zur Antwort, „der Inhalt ist in meiner Kanzlei sehr gut
aufgehoben; aber ich gestehe, es wundert mich, daß Sie nicht wenigstens den
Wagen in die Luft gesprengt haben, als er sich in Ihrem Besitz befand,
(Wilson hatte bei Krasnoi die Kosacken des Vortrabs begleitet), da Sie ihn
nicht fortschaffen konnten. Sagen Sie mir. haben Sie und Cathcart (der
andere englische Bevollmächtigte im russischen Hauptquartier) nicht Befehl alle
Fabriken in Brand zu stecken, wenn wir nach Preußen und Deutschland kommen?"

Unter dem vielerlei Neuen, was Wilson in seinem Bericht mittheilt, fin¬
den wir auch folgende ergreifende Scene, die wir uns nicht erinnern können
früher irgendwo gelesen zu haben.

Das Dorf Woronowo gehörte Rostopschin, und er besaß daselbst ein
Schloß von großer Pracht.

Selbst die Einrichtung der Ställe war von seltner Großartigkeit. Ueber
dem Eingange derselben standen colossale Abgüsse der Rossebändiger von Monte
Cavallo, die er mit andern kostbaren Modellen der vornehmsten römischen und
griechischen Gebäude aus Rom mitgebracht hatte. Diese letzteren nahmen
eine große Gallerie im Schlosse in Anspruch, das in seinem Innern mit Al¬
lem, was fremde Länder zur Befriedigung des Luxus und zur Zierde liefern
konnten, äußerst geschmackvoll und glänzend ausgestattet war.

Rostopschin hatte auch noch einen Palast in Moskau und ein Landhaus
in dessen Nähe besessen. Diese waren, seinen Anweisungen zuwider, der all¬
gemeinen Einäscherung entgangen, und selbst ein Befehl Napoleons, sie in
Brand zu stecken, war nicht ausgeführt worden, da einige Generäle, die dort
einquartirt waren, ihre Bequemlichkeit vorzogen.

Während der Nacht vor dem Abzüge von Woronowo lagerten Rostop¬
schin. Benningsen, Jermolow und verschiedene Generäle und Offiziere mit dem
englischen General und Lord Tyrconnel, seinem Adjutanten, um ein Feuer
an den Stallgebäuden des Palastes. Rostopschin raubte Allen den Schlaf mit
seinen bittern Klagen über Kutusow, daß er Moskau geräumt, ohne ihm die „vor¬
her verabredete Nachricht" gegeben, und dadurch die Behörden und die Bewohner


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[0502] Unter der bei Krasnoi gemachten Beute befand sich auch ein Wagen voller Karten und Pläne, nicht nur Rußlands und der Türkei, sondern auch Cen- tralasiens und Ostindiens; denn Napoleon hatte beabsichtigt die Eroberung Hindostans zu einer Bedingung des mit Alexander nach dem Frieden abzuschlie¬ ßenden Schutz- und Trutzbündnisses zu machen. Als der Kaiser später mit Wilson von diesem Fund sprach, sagte er zu ihm: „England schuldet mir größern Dank, als es glaubt; durch mein Zurückweisen des Friedens ist ihm vielleicht sein indisches Reich gerettet worden." Darauf bemerkte der englische General: „Um uns noch mehr zu verpflichten und alle Versuchung zu entfernen, sollten Ew. Majestät den ganzen Wagen lieber gleich uns schicken." „Nein, nein", gab Alexander lachend zur Antwort, „der Inhalt ist in meiner Kanzlei sehr gut aufgehoben; aber ich gestehe, es wundert mich, daß Sie nicht wenigstens den Wagen in die Luft gesprengt haben, als er sich in Ihrem Besitz befand, (Wilson hatte bei Krasnoi die Kosacken des Vortrabs begleitet), da Sie ihn nicht fortschaffen konnten. Sagen Sie mir. haben Sie und Cathcart (der andere englische Bevollmächtigte im russischen Hauptquartier) nicht Befehl alle Fabriken in Brand zu stecken, wenn wir nach Preußen und Deutschland kommen?" Unter dem vielerlei Neuen, was Wilson in seinem Bericht mittheilt, fin¬ den wir auch folgende ergreifende Scene, die wir uns nicht erinnern können früher irgendwo gelesen zu haben. Das Dorf Woronowo gehörte Rostopschin, und er besaß daselbst ein Schloß von großer Pracht. Selbst die Einrichtung der Ställe war von seltner Großartigkeit. Ueber dem Eingange derselben standen colossale Abgüsse der Rossebändiger von Monte Cavallo, die er mit andern kostbaren Modellen der vornehmsten römischen und griechischen Gebäude aus Rom mitgebracht hatte. Diese letzteren nahmen eine große Gallerie im Schlosse in Anspruch, das in seinem Innern mit Al¬ lem, was fremde Länder zur Befriedigung des Luxus und zur Zierde liefern konnten, äußerst geschmackvoll und glänzend ausgestattet war. Rostopschin hatte auch noch einen Palast in Moskau und ein Landhaus in dessen Nähe besessen. Diese waren, seinen Anweisungen zuwider, der all¬ gemeinen Einäscherung entgangen, und selbst ein Befehl Napoleons, sie in Brand zu stecken, war nicht ausgeführt worden, da einige Generäle, die dort einquartirt waren, ihre Bequemlichkeit vorzogen. Während der Nacht vor dem Abzüge von Woronowo lagerten Rostop¬ schin. Benningsen, Jermolow und verschiedene Generäle und Offiziere mit dem englischen General und Lord Tyrconnel, seinem Adjutanten, um ein Feuer an den Stallgebäuden des Palastes. Rostopschin raubte Allen den Schlaf mit seinen bittern Klagen über Kutusow, daß er Moskau geräumt, ohne ihm die „vor¬ her verabredete Nachricht" gegeben, und dadurch die Behörden und die Bewohner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/502>, abgerufen am 25.08.2024.