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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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neur. Es war mir nicht möglich, irgend eine Andeutung zu bekommen, wo
der Oberst Nüstvw zu finden sei.

Man hatte in Neapel die Vermuthung geäußert, daß er in Caserta sein
müßte. Selbst aus dem General-Commando war man nicht im Stande eine
bestimmte Auskunft zu geben.

Endlich gelang es mir, die Wohnung des Obersten im Schlosse zu ent¬
decken. Ich fand ihn beschäftigt, die Karte der Gegend zu studiren. Er ist
ein Mann von mittlerer Größe und angenehmen Zügen, ohne das Steife,
welches manche mit der Vorstellung von einem ehemaligen preußischen Offizier
verbinden zu müssen glauben. Ich wurde freundlich empfangen, sah aber
meine Ansicht von dem Übeln Stand der Dinge bei ihm nur bestätigt. Offen
sprach er aus, daß es mit dem ganzen Kriege ein baldiges Ende haben werde,
und daß er selbst, der nutzlosen Plackereien und Unordnungen müde, sich bal¬
digst zurückzuziehen gedenke. Sirtori, der jetzt Chef des Generalstabes war,
schilderte er auf eine Weise, die durchaus keine besondere Achtung vor dessen
militärischer Befähigung und seinen Eigenschaften als Mensch verrieth.

Um von hier nach Santa Maria weiter zu kommen, mußte ich mir
wieder eine Karte auf dem Generalcommando holen. Dort waren viele Dienst¬
thuende, von Dienst aber war keine Rede. Sie unterhielten sich nnr. Sol¬
daten mit Offizieren. Alles mit äußerster Ungezwungenheit. Es kam vor, daß
ein Herr Soldat auf ein Sopha hingelagert einen Brief von einem Vorge¬
setzten zum Wegtragen empfing, ohne seine Lage irgendwie zu verändern.

Den General Sirtori, Chef des Generalstabes der Armee (nach Obrisi
Nüstow. dem man Türr's Division gegeben), konnte ich nicht sprechen, aber
ich empfing die Karte und begab mich nach Santa Maria, wo, wie ich auf der
Eisenbahn von einem Ungarn erfahren, die einzige Brigade stand, welche noch
Offiziere nöthig hatte.

Nicht lange nach meiner Ankunft stand ich in dem Stabsquartier der
genannten Brigad'e. In kleinem Maßstabe herrschte hier dasselbe ungcnirte
Leben, das für einen Militär -- gerade wegen seiner Gemüthlichkeit -- s"
ungemüthlich war. Glücklicherweise hatten die anwesenden Offiziere hier die Mützen
auf. so daß der Grad, zu erkennen war. Der Stabs-Chef. wie er sich nannte,
trat mir entgegen. Er war Capitän. Wie die Mehrzahl dieser Herren, war
er noch sehr jung. Ich gab die Papiere ab, die meinen Antrag unterstützen
sollten, er versprach mir, dieselben dem General zu übergeben. Hier sind ent¬
setzlich viele Generäle, dachte ich. Dann musterte ich ein wenig meine Um¬
gebung. Von den 8--10 Personen, die im Zimmer waren, sprachen zu
meiner Verwunderung fast alle Deutsch. Das Hauptgespräch drehte sich
darum, daß man keine Gage bekommen hatte. Besonders ein Herr w
einem grauen Rocke, mit einer Capitänsmütze, war unerschöpflich in seinen


neur. Es war mir nicht möglich, irgend eine Andeutung zu bekommen, wo
der Oberst Nüstvw zu finden sei.

Man hatte in Neapel die Vermuthung geäußert, daß er in Caserta sein
müßte. Selbst aus dem General-Commando war man nicht im Stande eine
bestimmte Auskunft zu geben.

Endlich gelang es mir, die Wohnung des Obersten im Schlosse zu ent¬
decken. Ich fand ihn beschäftigt, die Karte der Gegend zu studiren. Er ist
ein Mann von mittlerer Größe und angenehmen Zügen, ohne das Steife,
welches manche mit der Vorstellung von einem ehemaligen preußischen Offizier
verbinden zu müssen glauben. Ich wurde freundlich empfangen, sah aber
meine Ansicht von dem Übeln Stand der Dinge bei ihm nur bestätigt. Offen
sprach er aus, daß es mit dem ganzen Kriege ein baldiges Ende haben werde,
und daß er selbst, der nutzlosen Plackereien und Unordnungen müde, sich bal¬
digst zurückzuziehen gedenke. Sirtori, der jetzt Chef des Generalstabes war,
schilderte er auf eine Weise, die durchaus keine besondere Achtung vor dessen
militärischer Befähigung und seinen Eigenschaften als Mensch verrieth.

Um von hier nach Santa Maria weiter zu kommen, mußte ich mir
wieder eine Karte auf dem Generalcommando holen. Dort waren viele Dienst¬
thuende, von Dienst aber war keine Rede. Sie unterhielten sich nnr. Sol¬
daten mit Offizieren. Alles mit äußerster Ungezwungenheit. Es kam vor, daß
ein Herr Soldat auf ein Sopha hingelagert einen Brief von einem Vorge¬
setzten zum Wegtragen empfing, ohne seine Lage irgendwie zu verändern.

Den General Sirtori, Chef des Generalstabes der Armee (nach Obrisi
Nüstow. dem man Türr's Division gegeben), konnte ich nicht sprechen, aber
ich empfing die Karte und begab mich nach Santa Maria, wo, wie ich auf der
Eisenbahn von einem Ungarn erfahren, die einzige Brigade stand, welche noch
Offiziere nöthig hatte.

Nicht lange nach meiner Ankunft stand ich in dem Stabsquartier der
genannten Brigad'e. In kleinem Maßstabe herrschte hier dasselbe ungcnirte
Leben, das für einen Militär — gerade wegen seiner Gemüthlichkeit — s"
ungemüthlich war. Glücklicherweise hatten die anwesenden Offiziere hier die Mützen
auf. so daß der Grad, zu erkennen war. Der Stabs-Chef. wie er sich nannte,
trat mir entgegen. Er war Capitän. Wie die Mehrzahl dieser Herren, war
er noch sehr jung. Ich gab die Papiere ab, die meinen Antrag unterstützen
sollten, er versprach mir, dieselben dem General zu übergeben. Hier sind ent¬
setzlich viele Generäle, dachte ich. Dann musterte ich ein wenig meine Um¬
gebung. Von den 8—10 Personen, die im Zimmer waren, sprachen zu
meiner Verwunderung fast alle Deutsch. Das Hauptgespräch drehte sich
darum, daß man keine Gage bekommen hatte. Besonders ein Herr w
einem grauen Rocke, mit einer Capitänsmütze, war unerschöpflich in seinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/432>, abgerufen am 02.10.2024.