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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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malerischen Behandlung des Faltenwurfs. Nichtsdestoweniger traten dem
Künstler bald die gewichtigsten Gegengründe entgegen. Und zwar nicht bloß
der confesstvnelle Grund, daß den Protestanten Luther in der Mönchskutte völ¬
lig fremdartig erschienen wäre; sondern mehr noch der rein künstlerische, daß die
Statue als Monuinentalstatue ihrer innersten Natur nach das bloß Vorüber¬
gehende und Momentane ausschloß. Im Gemälde und im Relief wäre die
chronikalische Treue nicht nur erlaubt, sondern sicher von schönster Wirkung ge¬
wesen, eine Reihe anderer Gemälde und Reliefs, zum folgerechten Cyklus ver¬
einigt, hätte die Lösung gegeben und auf den Kampf den Sieg folgen lassen.
Die Einzelstatue mußte, sollte sie in Wahrheit monumental sein, im Kampf
zugleich den vollendeten Sieg darstellen; das Zeichen des Sieges aber ist
der Luthcrmantel, durch dessen Anlegung Luther auch äußerlich den vollen
Bruch mit allen Bräuchen und Satzungen des Papst- und Mönchthums be¬
kundete.

Allmälig wurde der Plan in der Seele des Künstlers immer weiter und
weiter. Stufe um Stufe, Gestalt um Gestalt wuchs das beabsichtigte Luther-
denkmal zu einem Denkmal des gesammten Reformationszeitalters.

Wie das Denkmal zuletzt aus der Hand Rietschels hervorging und von
dem Comite und der großherzoglichen Regierung in Darmstadt zur Ausführung
bestimmt wurde, ist es eine großartige Folge und Verknüpfung von Statuen
und Bildwerken, die zu einander im engsten Bezug sind und ihren Abschluß
und ihre Spitze in der Monumentalstatue Luthers finden. 'Man denkt un¬
willkürlich an die großen Statuenreihen, welche Lyfippus von Alexander und
dessen Feldherren bildete. Seit dem gewaltigen, leider unvollendeten Entwurf
Michel Angelo's für das Grabdenkmal des Papstes Julius des Zweiten ist nie
wieder von einem Bildner ein ähnliches Wagniß unternommen worden, selbst
nicht von Rauch in seinem Friedrichdenkmal.

Das Lutherdenkmal umfaßt in seinem Gesammtumfang eine Fläche von
ungefähr 40 Fuß Durchmesser. Durch ein höchst geniales und glückliches Mo¬
tiv ist es dem Künstler gelungen, schon die Einfriedigung zu einer außeror¬
dentlich wirksamen Monumentalität zu verwenden. Zwei mächtige Stufen¬
schichten bilden eine feste und sichere und eine zugleich ideale, aus aller pro¬
fanen Umgebung weihevoll herausgehobene Grundlage. An den vier Ecken
dieser Hochfläche, welche in ihrer stimmenden Wirkung an den kunstvollen
Untersatz des griechischen. Tempelhaus anklingt, stehen die Schützer und För¬
derer des Protestantismus; vorn am Eingang auf hohem Gestell links Fried¬
rich der Weise, rechts Philipp von Hessen, an den Hinteren Ecken links Rauch'
Im. rechts Melanchthon, d. h. die ritterlichen Fürsten, welche mit dem Schwert,
und die großen Männer der Wissenschaft, welche mit der Schrift und mit der Macht
der Bildung für die neugewonnene Freiheit des Geistes kämpften. Die Vorder-


malerischen Behandlung des Faltenwurfs. Nichtsdestoweniger traten dem
Künstler bald die gewichtigsten Gegengründe entgegen. Und zwar nicht bloß
der confesstvnelle Grund, daß den Protestanten Luther in der Mönchskutte völ¬
lig fremdartig erschienen wäre; sondern mehr noch der rein künstlerische, daß die
Statue als Monuinentalstatue ihrer innersten Natur nach das bloß Vorüber¬
gehende und Momentane ausschloß. Im Gemälde und im Relief wäre die
chronikalische Treue nicht nur erlaubt, sondern sicher von schönster Wirkung ge¬
wesen, eine Reihe anderer Gemälde und Reliefs, zum folgerechten Cyklus ver¬
einigt, hätte die Lösung gegeben und auf den Kampf den Sieg folgen lassen.
Die Einzelstatue mußte, sollte sie in Wahrheit monumental sein, im Kampf
zugleich den vollendeten Sieg darstellen; das Zeichen des Sieges aber ist
der Luthcrmantel, durch dessen Anlegung Luther auch äußerlich den vollen
Bruch mit allen Bräuchen und Satzungen des Papst- und Mönchthums be¬
kundete.

Allmälig wurde der Plan in der Seele des Künstlers immer weiter und
weiter. Stufe um Stufe, Gestalt um Gestalt wuchs das beabsichtigte Luther-
denkmal zu einem Denkmal des gesammten Reformationszeitalters.

Wie das Denkmal zuletzt aus der Hand Rietschels hervorging und von
dem Comite und der großherzoglichen Regierung in Darmstadt zur Ausführung
bestimmt wurde, ist es eine großartige Folge und Verknüpfung von Statuen
und Bildwerken, die zu einander im engsten Bezug sind und ihren Abschluß
und ihre Spitze in der Monumentalstatue Luthers finden. 'Man denkt un¬
willkürlich an die großen Statuenreihen, welche Lyfippus von Alexander und
dessen Feldherren bildete. Seit dem gewaltigen, leider unvollendeten Entwurf
Michel Angelo's für das Grabdenkmal des Papstes Julius des Zweiten ist nie
wieder von einem Bildner ein ähnliches Wagniß unternommen worden, selbst
nicht von Rauch in seinem Friedrichdenkmal.

Das Lutherdenkmal umfaßt in seinem Gesammtumfang eine Fläche von
ungefähr 40 Fuß Durchmesser. Durch ein höchst geniales und glückliches Mo¬
tiv ist es dem Künstler gelungen, schon die Einfriedigung zu einer außeror¬
dentlich wirksamen Monumentalität zu verwenden. Zwei mächtige Stufen¬
schichten bilden eine feste und sichere und eine zugleich ideale, aus aller pro¬
fanen Umgebung weihevoll herausgehobene Grundlage. An den vier Ecken
dieser Hochfläche, welche in ihrer stimmenden Wirkung an den kunstvollen
Untersatz des griechischen. Tempelhaus anklingt, stehen die Schützer und För¬
derer des Protestantismus; vorn am Eingang auf hohem Gestell links Fried¬
rich der Weise, rechts Philipp von Hessen, an den Hinteren Ecken links Rauch'
Im. rechts Melanchthon, d. h. die ritterlichen Fürsten, welche mit dem Schwert,
und die großen Männer der Wissenschaft, welche mit der Schrift und mit der Macht
der Bildung für die neugewonnene Freiheit des Geistes kämpften. Die Vorder-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/316>, abgerufen am 25.08.2024.