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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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dem so eben in der Lessingstatue der geniale Wurf einer ebenso scharf charak¬
teristischen als ideal stilvollen Monumentalität gelungen ist. Leider sind diese
Statuen durch die Höhe ihres Standorts jetzt gänzlich der näheren Betrach¬
tung entzogen. Um so dankenswerther ist es. daß wcingstens Girmo und Hol¬
bein in sorgsam ausgeführten Statuetten dem Kurtstverkcbr zugänglich wurden;
sie bilden mit den entsprechenden, ebenfalls in Statuetten vorhandenen Gcgen-
bildern Dantes und Rafaels von Ernst Hähnel auch für kleinere Räume
eine äußerst würdige und edle Verzierung. Es ist in diesen Statuen eine
Gewissenhaftigkeit und Wärme auch der Detailbehandlung, deren sich nur die
wenigsten Ornamentalstatuen rühmen duften.

Es ist gewiß, daß, hätte Rietschel auch nichts als diese idealen und orna¬
mentalen Werke geschaffen, ihm nichtsdestoweniger für immer eine höchst ge¬
achtete Stellung in der Kunstgeschichte gesichert wäre.

Gleichwol knüpft sich Rietschels Name vorzugsweise an seine großen Mo>
numentalstatuen. Er hat mit diesen das Höchste erreicht, was einem Künstler
zu Theil werden kann. Er fußt auch in diesen fest und unwandelbar auf den
strengsten Forderungen plastischer Kunstschönheit und ist doch durch sie so durch¬
aus volksthümlich geworden, wie innerhalb des hohen Stils in den letzten
Jahrhunderten kaum ein Anderer weder vor ihm noch nach ihm.

Was war es. das ihm die Herzen des gesammten Volkes so nahe brachte?


3.

Rietschels großer und allgemeiner Ruhm wurde vornehmlich durch die
neun Fuß hohe, Statue Lessings begründet, welche er 1849 für Braunschweig
ausführte. Wir können das allmülige Entstehen derselben in den drei Skizzen
verfolgen, welche im Atelier des Künstlers Jedermann zugänglich sind. Es ist
merkwürdig, daß gerade das kühnste Wagnis, welches nur der mächtigsten Ge¬
nialität und dem durchgebildetsten Stilgefühl gelingen konnte, das strenge
Festhalten an der Rococotracht. bereits im ersten Entwurf vollständig durchge¬
bildet vorliegt. In der Darstellung unserer Dichter und Denker war immer
nur die freieste Idealisirung oder die althergebrachte Mantcldrapirung üblich
gewesen; hier in der unplastischen, malerisch barocken Rococotracht erschien sie
um so unerläßlicher. Zwar war Rauch mit seinem gewaltigen Friedrichdenk¬
wal vorangegangen und hatte Kant und Lessing in. der vollen Naturtreue ihres
unmittelbarsten Zeitcostüms^ hingestellt; aber was für ein bedeutender Unter¬
schied zwischen einer an festen Hintergrund gelehnten Sockelfigur und einer
dreien, runden, von allen Seiten Schandarm und umgehbaren Monumental-
ltatue! Man sieht diesem ersten Entwurf die Freude an. mit welcher Rietschel
ur den Gewandmotiven auf seinen Enloeckerzug ausging. Dagegen ist dieser
^ste Entwurf in der Haltung und physiognomischen Durchbildung noch ganz


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dem so eben in der Lessingstatue der geniale Wurf einer ebenso scharf charak¬
teristischen als ideal stilvollen Monumentalität gelungen ist. Leider sind diese
Statuen durch die Höhe ihres Standorts jetzt gänzlich der näheren Betrach¬
tung entzogen. Um so dankenswerther ist es. daß wcingstens Girmo und Hol¬
bein in sorgsam ausgeführten Statuetten dem Kurtstverkcbr zugänglich wurden;
sie bilden mit den entsprechenden, ebenfalls in Statuetten vorhandenen Gcgen-
bildern Dantes und Rafaels von Ernst Hähnel auch für kleinere Räume
eine äußerst würdige und edle Verzierung. Es ist in diesen Statuen eine
Gewissenhaftigkeit und Wärme auch der Detailbehandlung, deren sich nur die
wenigsten Ornamentalstatuen rühmen duften.

Es ist gewiß, daß, hätte Rietschel auch nichts als diese idealen und orna¬
mentalen Werke geschaffen, ihm nichtsdestoweniger für immer eine höchst ge¬
achtete Stellung in der Kunstgeschichte gesichert wäre.

Gleichwol knüpft sich Rietschels Name vorzugsweise an seine großen Mo>
numentalstatuen. Er hat mit diesen das Höchste erreicht, was einem Künstler
zu Theil werden kann. Er fußt auch in diesen fest und unwandelbar auf den
strengsten Forderungen plastischer Kunstschönheit und ist doch durch sie so durch¬
aus volksthümlich geworden, wie innerhalb des hohen Stils in den letzten
Jahrhunderten kaum ein Anderer weder vor ihm noch nach ihm.

Was war es. das ihm die Herzen des gesammten Volkes so nahe brachte?


3.

Rietschels großer und allgemeiner Ruhm wurde vornehmlich durch die
neun Fuß hohe, Statue Lessings begründet, welche er 1849 für Braunschweig
ausführte. Wir können das allmülige Entstehen derselben in den drei Skizzen
verfolgen, welche im Atelier des Künstlers Jedermann zugänglich sind. Es ist
merkwürdig, daß gerade das kühnste Wagnis, welches nur der mächtigsten Ge¬
nialität und dem durchgebildetsten Stilgefühl gelingen konnte, das strenge
Festhalten an der Rococotracht. bereits im ersten Entwurf vollständig durchge¬
bildet vorliegt. In der Darstellung unserer Dichter und Denker war immer
nur die freieste Idealisirung oder die althergebrachte Mantcldrapirung üblich
gewesen; hier in der unplastischen, malerisch barocken Rococotracht erschien sie
um so unerläßlicher. Zwar war Rauch mit seinem gewaltigen Friedrichdenk¬
wal vorangegangen und hatte Kant und Lessing in. der vollen Naturtreue ihres
unmittelbarsten Zeitcostüms^ hingestellt; aber was für ein bedeutender Unter¬
schied zwischen einer an festen Hintergrund gelehnten Sockelfigur und einer
dreien, runden, von allen Seiten Schandarm und umgehbaren Monumental-
ltatue! Man sieht diesem ersten Entwurf die Freude an. mit welcher Rietschel
ur den Gewandmotiven auf seinen Enloeckerzug ausging. Dagegen ist dieser
^ste Entwurf in der Haltung und physiognomischen Durchbildung noch ganz


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[0309] dem so eben in der Lessingstatue der geniale Wurf einer ebenso scharf charak¬ teristischen als ideal stilvollen Monumentalität gelungen ist. Leider sind diese Statuen durch die Höhe ihres Standorts jetzt gänzlich der näheren Betrach¬ tung entzogen. Um so dankenswerther ist es. daß wcingstens Girmo und Hol¬ bein in sorgsam ausgeführten Statuetten dem Kurtstverkcbr zugänglich wurden; sie bilden mit den entsprechenden, ebenfalls in Statuetten vorhandenen Gcgen- bildern Dantes und Rafaels von Ernst Hähnel auch für kleinere Räume eine äußerst würdige und edle Verzierung. Es ist in diesen Statuen eine Gewissenhaftigkeit und Wärme auch der Detailbehandlung, deren sich nur die wenigsten Ornamentalstatuen rühmen duften. Es ist gewiß, daß, hätte Rietschel auch nichts als diese idealen und orna¬ mentalen Werke geschaffen, ihm nichtsdestoweniger für immer eine höchst ge¬ achtete Stellung in der Kunstgeschichte gesichert wäre. Gleichwol knüpft sich Rietschels Name vorzugsweise an seine großen Mo> numentalstatuen. Er hat mit diesen das Höchste erreicht, was einem Künstler zu Theil werden kann. Er fußt auch in diesen fest und unwandelbar auf den strengsten Forderungen plastischer Kunstschönheit und ist doch durch sie so durch¬ aus volksthümlich geworden, wie innerhalb des hohen Stils in den letzten Jahrhunderten kaum ein Anderer weder vor ihm noch nach ihm. Was war es. das ihm die Herzen des gesammten Volkes so nahe brachte? 3. Rietschels großer und allgemeiner Ruhm wurde vornehmlich durch die neun Fuß hohe, Statue Lessings begründet, welche er 1849 für Braunschweig ausführte. Wir können das allmülige Entstehen derselben in den drei Skizzen verfolgen, welche im Atelier des Künstlers Jedermann zugänglich sind. Es ist merkwürdig, daß gerade das kühnste Wagnis, welches nur der mächtigsten Ge¬ nialität und dem durchgebildetsten Stilgefühl gelingen konnte, das strenge Festhalten an der Rococotracht. bereits im ersten Entwurf vollständig durchge¬ bildet vorliegt. In der Darstellung unserer Dichter und Denker war immer nur die freieste Idealisirung oder die althergebrachte Mantcldrapirung üblich gewesen; hier in der unplastischen, malerisch barocken Rococotracht erschien sie um so unerläßlicher. Zwar war Rauch mit seinem gewaltigen Friedrichdenk¬ wal vorangegangen und hatte Kant und Lessing in. der vollen Naturtreue ihres unmittelbarsten Zeitcostüms^ hingestellt; aber was für ein bedeutender Unter¬ schied zwischen einer an festen Hintergrund gelehnten Sockelfigur und einer dreien, runden, von allen Seiten Schandarm und umgehbaren Monumental- ltatue! Man sieht diesem ersten Entwurf die Freude an. mit welcher Rietschel ur den Gewandmotiven auf seinen Enloeckerzug ausging. Dagegen ist dieser ^ste Entwurf in der Haltung und physiognomischen Durchbildung noch ganz 38'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/309>, abgerufen am 22.07.2024.