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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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schwendung vor mir selbst rechtfertigen zu wollen; aber... hätte ich Kraft
genug besessen, mich damals dem Wirbel der Welt zu entreißen, zu anhaltenden
Studien zurückzukehren und meinen Geist nicht desultorisch (wie es wol immer ge¬
schah), sondern regelmäßig und beharrlich auf würdige Gegenstände zu richten,
so fragt sich, ob ich aus diesem Wege, als nun die besseren Zeiten herannahten,
mit gleicher Leichtigkeit, als es jetzt geschah, die wichtigen Geschäftsverbindungen
wieder hätte anknüpfen tonnen, denen ich in meinen späteren Lebensjahren
so nützliche und ehrenvolle Resultate verdaute."

1311. Gentz siedelt im Sommer aus Prag ganz nach Wien über, bethei¬
ligt sich am östreichischen Beobachter. Auch Ad. Müller und Fr. Schlegel
dort; A. W. Schlegel, Baader, A. v. Humboldt zum Besuch. Gentz fühlt
sich, Metternich gegenüber, als Chef der (antifranzösischen) Opposition: arran-
girt mit englischer Hilfe seine Finanzen. "Mit Ad. Müller wurden die Reli-
gionsfragen oft und ernstlich erörtert; und da ich in dieser Zeit den Entschluß,
mich öffentlich zur katholischen Küche zu bekennen, so groß auch meine geheime
Neigung dazu sein mochte, nicht hatte fassen können, so war es wol so gut
als erwiesen für mich, daß ich ihn nie fassen würde."

1812. Gentz bringt die Vorlesungen Ad. Müller's zu Stande, e. bis
23. Juni: Frau v. Staöl (auf ihrer großen Emigration durch Nußland nach
Schweden und England) mit A. W. Schlegel und (dem damals uoch ver¬
borgen gehaltenen) Rocca in Wien: "ihre Anwesenheit hatte damals mehr
Beschwerde als Genuß für mich gehabt." -- Den 17. Decbr. durch Metternich
die Correspondenz mit dem Fürsten der Walachei eröffnet: für die spätere Zeit
eine der Hauptquellen für Gentz' Einnahme, da er von dem Fürsten ungeheure
Summen erpreßte.

1813. Gentz schreibt das Kriegsmanifest (11, August), ist jetzt in Prag
Me'tternichs Vertrauter, wird den 12. Septbr. Hofrath und hart die Leitung
der gesammten Presse und Korrespondenz. "Vom 4. bis 7. Septbr. (in
Prag) hatte ich mit Metternich viele und wichtige Gespräche, besonders über
die deutschen Angelegenheiten, deren künftiges Schicksal ein schwieriges Problem
war. Der Geist, der durch den allgemeinen Widerstand gegen die französische
Herrschaft in Deutschland erwacht, durch die Stein'schen Proclamationen mäch¬
tig gesteigert, besonders von Preußen aus dergestalt gewachsen war, daß der
Befreiungskrieg einem Freiheitskriege nicht unähnlich sah, gab zu ernsten
Betrachtungen und Besorgnissen über die Zukunft Anlaß; und die Idee, daß
der Sturz eines auf die Revolution gegründeten Despotismus wol anstatt
einer wirklichen Restauration abermals zur Revolution zurückführen könnte,
wurde in jenen Gesprächen von mir besonders lebhaft angeregt."

"Am II. Januar 1814 wurde meine Rückreise uach Wien entschieden. Jo
Grunde war ich sehr froh, von dem beschwerlichen und gefahrvollen Feldzug,


schwendung vor mir selbst rechtfertigen zu wollen; aber... hätte ich Kraft
genug besessen, mich damals dem Wirbel der Welt zu entreißen, zu anhaltenden
Studien zurückzukehren und meinen Geist nicht desultorisch (wie es wol immer ge¬
schah), sondern regelmäßig und beharrlich auf würdige Gegenstände zu richten,
so fragt sich, ob ich aus diesem Wege, als nun die besseren Zeiten herannahten,
mit gleicher Leichtigkeit, als es jetzt geschah, die wichtigen Geschäftsverbindungen
wieder hätte anknüpfen tonnen, denen ich in meinen späteren Lebensjahren
so nützliche und ehrenvolle Resultate verdaute."

1311. Gentz siedelt im Sommer aus Prag ganz nach Wien über, bethei¬
ligt sich am östreichischen Beobachter. Auch Ad. Müller und Fr. Schlegel
dort; A. W. Schlegel, Baader, A. v. Humboldt zum Besuch. Gentz fühlt
sich, Metternich gegenüber, als Chef der (antifranzösischen) Opposition: arran-
girt mit englischer Hilfe seine Finanzen. „Mit Ad. Müller wurden die Reli-
gionsfragen oft und ernstlich erörtert; und da ich in dieser Zeit den Entschluß,
mich öffentlich zur katholischen Küche zu bekennen, so groß auch meine geheime
Neigung dazu sein mochte, nicht hatte fassen können, so war es wol so gut
als erwiesen für mich, daß ich ihn nie fassen würde."

1812. Gentz bringt die Vorlesungen Ad. Müller's zu Stande, e. bis
23. Juni: Frau v. Staöl (auf ihrer großen Emigration durch Nußland nach
Schweden und England) mit A. W. Schlegel und (dem damals uoch ver¬
borgen gehaltenen) Rocca in Wien: „ihre Anwesenheit hatte damals mehr
Beschwerde als Genuß für mich gehabt." — Den 17. Decbr. durch Metternich
die Correspondenz mit dem Fürsten der Walachei eröffnet: für die spätere Zeit
eine der Hauptquellen für Gentz' Einnahme, da er von dem Fürsten ungeheure
Summen erpreßte.

1813. Gentz schreibt das Kriegsmanifest (11, August), ist jetzt in Prag
Me'tternichs Vertrauter, wird den 12. Septbr. Hofrath und hart die Leitung
der gesammten Presse und Korrespondenz. „Vom 4. bis 7. Septbr. (in
Prag) hatte ich mit Metternich viele und wichtige Gespräche, besonders über
die deutschen Angelegenheiten, deren künftiges Schicksal ein schwieriges Problem
war. Der Geist, der durch den allgemeinen Widerstand gegen die französische
Herrschaft in Deutschland erwacht, durch die Stein'schen Proclamationen mäch¬
tig gesteigert, besonders von Preußen aus dergestalt gewachsen war, daß der
Befreiungskrieg einem Freiheitskriege nicht unähnlich sah, gab zu ernsten
Betrachtungen und Besorgnissen über die Zukunft Anlaß; und die Idee, daß
der Sturz eines auf die Revolution gegründeten Despotismus wol anstatt
einer wirklichen Restauration abermals zur Revolution zurückführen könnte,
wurde in jenen Gesprächen von mir besonders lebhaft angeregt."

„Am II. Januar 1814 wurde meine Rückreise uach Wien entschieden. Jo
Grunde war ich sehr froh, von dem beschwerlichen und gefahrvollen Feldzug,


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[0298] schwendung vor mir selbst rechtfertigen zu wollen; aber... hätte ich Kraft genug besessen, mich damals dem Wirbel der Welt zu entreißen, zu anhaltenden Studien zurückzukehren und meinen Geist nicht desultorisch (wie es wol immer ge¬ schah), sondern regelmäßig und beharrlich auf würdige Gegenstände zu richten, so fragt sich, ob ich aus diesem Wege, als nun die besseren Zeiten herannahten, mit gleicher Leichtigkeit, als es jetzt geschah, die wichtigen Geschäftsverbindungen wieder hätte anknüpfen tonnen, denen ich in meinen späteren Lebensjahren so nützliche und ehrenvolle Resultate verdaute." 1311. Gentz siedelt im Sommer aus Prag ganz nach Wien über, bethei¬ ligt sich am östreichischen Beobachter. Auch Ad. Müller und Fr. Schlegel dort; A. W. Schlegel, Baader, A. v. Humboldt zum Besuch. Gentz fühlt sich, Metternich gegenüber, als Chef der (antifranzösischen) Opposition: arran- girt mit englischer Hilfe seine Finanzen. „Mit Ad. Müller wurden die Reli- gionsfragen oft und ernstlich erörtert; und da ich in dieser Zeit den Entschluß, mich öffentlich zur katholischen Küche zu bekennen, so groß auch meine geheime Neigung dazu sein mochte, nicht hatte fassen können, so war es wol so gut als erwiesen für mich, daß ich ihn nie fassen würde." 1812. Gentz bringt die Vorlesungen Ad. Müller's zu Stande, e. bis 23. Juni: Frau v. Staöl (auf ihrer großen Emigration durch Nußland nach Schweden und England) mit A. W. Schlegel und (dem damals uoch ver¬ borgen gehaltenen) Rocca in Wien: „ihre Anwesenheit hatte damals mehr Beschwerde als Genuß für mich gehabt." — Den 17. Decbr. durch Metternich die Correspondenz mit dem Fürsten der Walachei eröffnet: für die spätere Zeit eine der Hauptquellen für Gentz' Einnahme, da er von dem Fürsten ungeheure Summen erpreßte. 1813. Gentz schreibt das Kriegsmanifest (11, August), ist jetzt in Prag Me'tternichs Vertrauter, wird den 12. Septbr. Hofrath und hart die Leitung der gesammten Presse und Korrespondenz. „Vom 4. bis 7. Septbr. (in Prag) hatte ich mit Metternich viele und wichtige Gespräche, besonders über die deutschen Angelegenheiten, deren künftiges Schicksal ein schwieriges Problem war. Der Geist, der durch den allgemeinen Widerstand gegen die französische Herrschaft in Deutschland erwacht, durch die Stein'schen Proclamationen mäch¬ tig gesteigert, besonders von Preußen aus dergestalt gewachsen war, daß der Befreiungskrieg einem Freiheitskriege nicht unähnlich sah, gab zu ernsten Betrachtungen und Besorgnissen über die Zukunft Anlaß; und die Idee, daß der Sturz eines auf die Revolution gegründeten Despotismus wol anstatt einer wirklichen Restauration abermals zur Revolution zurückführen könnte, wurde in jenen Gesprächen von mir besonders lebhaft angeregt." „Am II. Januar 1814 wurde meine Rückreise uach Wien entschieden. Jo Grunde war ich sehr froh, von dem beschwerlichen und gefahrvollen Feldzug,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/298>, abgerufen am 22.07.2024.