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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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schreiber. der auf die Ereignisse des Inlandes angewiesen wäre, müßte
Hungers sterben. Es fehlt das rasch pulsirende Leben Europa's im Staat,
in der Gemeinde, in der Familie; es fehlt überall. Die Japaner sind wie
Kinder, von einem tyrannischen Vater artig und sittsam erzogen, sie stehlen
nicht, sie naschen nicht, sie beschmutzen ihre Kleider nicht, sie wagen niemals
eine Bitte, sind stets zufrieden mit dem, was sie erhalten, und geben Fremden artig
die Hand; sie sind dem Anschein nach durchaus wohlerzogene Kinder. Sie können
kaum etwas Böses thun, denn sie sind stets sorgsam überwacht, und wohin
sie immer blicken, fallt ihr Auge auf eine Gesetzestafel, welche unabänderlich
Tod verkündet. Darum ziehen sie es vor, sich um ihre Kohlenbecken zu setzen,
aus kleinen Pfeifen mit Köpfchen so groß wie Kindcrfingerhütchen Tabak zu
rauchen, ans kleinen Täßchen Thee zu trinken, in kleinen Büchern ihre Buch¬
staben zu malen und glücklich und zufrieden auszusehen. Ich vermuthe, daß
die Japaner die Eintheilung in gute und böse Menschen durchaus nicht so
allgemein machen, wie wir; es fehlt die Gelegenheit, Gutes wie Böses zu
thun, -- es fehlt der freie Wille. Jeder thut ohne Murren entschieden das.
was er muß. aber eben so entschieden nur das. Die Tyrannen der alten Welt,
so viele deren auch die Geschichte aller Zeiten und aller Länder aufweisen
mag, sind elende Pfuscher im Vergleich zu der Regierungsweisheit japanischer
Despoten. Dort erscheint Alles Willkür, Egoismus und Laune. Das Schwert
wüthet; das Volk klagt und seufzt oder es flucht und rebellirt; alle Leiden¬
schaften sind entfesselt. Hier erscheint Alles Gesetz; der oberste Wille documen-
tirt sich nicht in persönlichen Launen des Herrschers, er kommt vielmehr in
Gesetzen zur Erscheinung, welche zwar alle das Princip des Alleinherrschers
festhalten, aber zugleich ausnahmslos das bezwecken, was der Herrscher sür
das Beste des Volkes hält. Er kann darin irren und irrt darin; das ganze
Princip ist ein Irrthum; aber dieser Irrthum ist mit einer Weisheit durchge¬
führt, die Staunen erregt. Welches auch der eigentliche Effect desselben sein
wäg. -- und ich werde ihn später eingehend zergliedern -- so viel ist That¬
sache, daß der augenscheinliche oder, präciser ausgedrückt, der scheinbare Effect
der eines glücklichen und zufriedenen Volkes ist. So groß ist die Weisheit,
mit der hier das System einer despotischen Regierung realisirt ist. daß Nie¬
mand zum Bewußtsein desselben gelangt. Die religiöse Unfehlbarkeit, welche
bei uns der Papst besitzt, ist Kinderspiel gegen die politische Unfehlbarkeit des
japanischen Kaisers. Niemals wird es einem Japaner selbst bei der verkehr¬
tsten und verletzendsten Maßregel einfallen, die schlimmen Folgen derselben
der Regierung aufzubürden. Sie werden eher die Sterne oder die unterirdischen
Feuer oder die fremden Eindringlinge dafür verantwortlich machen, als den
Kaiser oder seine Beamten.

Es ist in der That auf der einen Seite auch wirklich Gutes geschaffen


schreiber. der auf die Ereignisse des Inlandes angewiesen wäre, müßte
Hungers sterben. Es fehlt das rasch pulsirende Leben Europa's im Staat,
in der Gemeinde, in der Familie; es fehlt überall. Die Japaner sind wie
Kinder, von einem tyrannischen Vater artig und sittsam erzogen, sie stehlen
nicht, sie naschen nicht, sie beschmutzen ihre Kleider nicht, sie wagen niemals
eine Bitte, sind stets zufrieden mit dem, was sie erhalten, und geben Fremden artig
die Hand; sie sind dem Anschein nach durchaus wohlerzogene Kinder. Sie können
kaum etwas Böses thun, denn sie sind stets sorgsam überwacht, und wohin
sie immer blicken, fallt ihr Auge auf eine Gesetzestafel, welche unabänderlich
Tod verkündet. Darum ziehen sie es vor, sich um ihre Kohlenbecken zu setzen,
aus kleinen Pfeifen mit Köpfchen so groß wie Kindcrfingerhütchen Tabak zu
rauchen, ans kleinen Täßchen Thee zu trinken, in kleinen Büchern ihre Buch¬
staben zu malen und glücklich und zufrieden auszusehen. Ich vermuthe, daß
die Japaner die Eintheilung in gute und böse Menschen durchaus nicht so
allgemein machen, wie wir; es fehlt die Gelegenheit, Gutes wie Böses zu
thun, — es fehlt der freie Wille. Jeder thut ohne Murren entschieden das.
was er muß. aber eben so entschieden nur das. Die Tyrannen der alten Welt,
so viele deren auch die Geschichte aller Zeiten und aller Länder aufweisen
mag, sind elende Pfuscher im Vergleich zu der Regierungsweisheit japanischer
Despoten. Dort erscheint Alles Willkür, Egoismus und Laune. Das Schwert
wüthet; das Volk klagt und seufzt oder es flucht und rebellirt; alle Leiden¬
schaften sind entfesselt. Hier erscheint Alles Gesetz; der oberste Wille documen-
tirt sich nicht in persönlichen Launen des Herrschers, er kommt vielmehr in
Gesetzen zur Erscheinung, welche zwar alle das Princip des Alleinherrschers
festhalten, aber zugleich ausnahmslos das bezwecken, was der Herrscher sür
das Beste des Volkes hält. Er kann darin irren und irrt darin; das ganze
Princip ist ein Irrthum; aber dieser Irrthum ist mit einer Weisheit durchge¬
führt, die Staunen erregt. Welches auch der eigentliche Effect desselben sein
wäg. — und ich werde ihn später eingehend zergliedern — so viel ist That¬
sache, daß der augenscheinliche oder, präciser ausgedrückt, der scheinbare Effect
der eines glücklichen und zufriedenen Volkes ist. So groß ist die Weisheit,
mit der hier das System einer despotischen Regierung realisirt ist. daß Nie¬
mand zum Bewußtsein desselben gelangt. Die religiöse Unfehlbarkeit, welche
bei uns der Papst besitzt, ist Kinderspiel gegen die politische Unfehlbarkeit des
japanischen Kaisers. Niemals wird es einem Japaner selbst bei der verkehr¬
tsten und verletzendsten Maßregel einfallen, die schlimmen Folgen derselben
der Regierung aufzubürden. Sie werden eher die Sterne oder die unterirdischen
Feuer oder die fremden Eindringlinge dafür verantwortlich machen, als den
Kaiser oder seine Beamten.

Es ist in der That auf der einen Seite auch wirklich Gutes geschaffen


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[0279] schreiber. der auf die Ereignisse des Inlandes angewiesen wäre, müßte Hungers sterben. Es fehlt das rasch pulsirende Leben Europa's im Staat, in der Gemeinde, in der Familie; es fehlt überall. Die Japaner sind wie Kinder, von einem tyrannischen Vater artig und sittsam erzogen, sie stehlen nicht, sie naschen nicht, sie beschmutzen ihre Kleider nicht, sie wagen niemals eine Bitte, sind stets zufrieden mit dem, was sie erhalten, und geben Fremden artig die Hand; sie sind dem Anschein nach durchaus wohlerzogene Kinder. Sie können kaum etwas Böses thun, denn sie sind stets sorgsam überwacht, und wohin sie immer blicken, fallt ihr Auge auf eine Gesetzestafel, welche unabänderlich Tod verkündet. Darum ziehen sie es vor, sich um ihre Kohlenbecken zu setzen, aus kleinen Pfeifen mit Köpfchen so groß wie Kindcrfingerhütchen Tabak zu rauchen, ans kleinen Täßchen Thee zu trinken, in kleinen Büchern ihre Buch¬ staben zu malen und glücklich und zufrieden auszusehen. Ich vermuthe, daß die Japaner die Eintheilung in gute und böse Menschen durchaus nicht so allgemein machen, wie wir; es fehlt die Gelegenheit, Gutes wie Böses zu thun, — es fehlt der freie Wille. Jeder thut ohne Murren entschieden das. was er muß. aber eben so entschieden nur das. Die Tyrannen der alten Welt, so viele deren auch die Geschichte aller Zeiten und aller Länder aufweisen mag, sind elende Pfuscher im Vergleich zu der Regierungsweisheit japanischer Despoten. Dort erscheint Alles Willkür, Egoismus und Laune. Das Schwert wüthet; das Volk klagt und seufzt oder es flucht und rebellirt; alle Leiden¬ schaften sind entfesselt. Hier erscheint Alles Gesetz; der oberste Wille documen- tirt sich nicht in persönlichen Launen des Herrschers, er kommt vielmehr in Gesetzen zur Erscheinung, welche zwar alle das Princip des Alleinherrschers festhalten, aber zugleich ausnahmslos das bezwecken, was der Herrscher sür das Beste des Volkes hält. Er kann darin irren und irrt darin; das ganze Princip ist ein Irrthum; aber dieser Irrthum ist mit einer Weisheit durchge¬ führt, die Staunen erregt. Welches auch der eigentliche Effect desselben sein wäg. — und ich werde ihn später eingehend zergliedern — so viel ist That¬ sache, daß der augenscheinliche oder, präciser ausgedrückt, der scheinbare Effect der eines glücklichen und zufriedenen Volkes ist. So groß ist die Weisheit, mit der hier das System einer despotischen Regierung realisirt ist. daß Nie¬ mand zum Bewußtsein desselben gelangt. Die religiöse Unfehlbarkeit, welche bei uns der Papst besitzt, ist Kinderspiel gegen die politische Unfehlbarkeit des japanischen Kaisers. Niemals wird es einem Japaner selbst bei der verkehr¬ tsten und verletzendsten Maßregel einfallen, die schlimmen Folgen derselben der Regierung aufzubürden. Sie werden eher die Sterne oder die unterirdischen Feuer oder die fremden Eindringlinge dafür verantwortlich machen, als den Kaiser oder seine Beamten. Es ist in der That auf der einen Seite auch wirklich Gutes geschaffen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/279>, abgerufen am 26.08.2024.