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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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etwas fehlt; und wenn Man es bemerkt hat, sucht man lange vergebens, ehe
man findet, worin es besteht.

Es ist gewiß ein eigenthümlicher Zusammenhang zwischen dem Charakter
eines Landes und der geistigen Gestaltung des dazu gehörigen Volkes. Wir
sind noch nicht so weit und werden vielleicht niemals so weit komme", feste
physiologisch begründete Regeln dafür aufzustellen; aber wenn die Naturwissenschaft
im Bunde mit der Erfahrung der Landwirthe längst festgestellt hat, daß klima¬
tische und Boden-Verhältnisse modificirend auf den Charakter, ja auf den Orga¬
nismus ganzer Thier- und Pflanzengeschlechter einwirken, und daß durch Verpflan¬
zung neue Varietäten und Species entstehen, so kann auch eine wissenschaftliche
Begründung des angedeuteten Zusammenhanges beim Menschen nicht fern
liegen. Ist aber überhaupt System in diesem Verhältnisse, so sind wir eben¬
sosehr berechtigt, Schlüsse als Rückschlüsse zu machen.

Der Charakter des Volks ist im Ganzen nüchtern, speculativ grübelnd,
aber stets zu Eruptionen geneigt, wie die vulkanische Erde, auf der es wandelt.
Die Japaner sind keine Künstler; sie haben keine Poesie, keine Musik, keine
Malerei, keine Bildhauerkunst, keine Architektur; sie haben nur Künsteleien und
Kunststücke. Es ist bezeichnend, daß der Flora der Duft fehlt; -- so fehlt auch
der Duft der Poesie dem Geiste des Volkes, dem Charakter der Landschaft.
Ein Volk, in dessen Phantasie wenn auch als Strafe, so doch als ehrenvollste
Strafe das Bauchausschlitzen lebt, kaun kein poetisches Volk sein. Ich gestehe
zwar zu, das auch der Bauch seinen Antheil an der künstlerischen Begabung
des Menschen hat, aber wir finden es doch traurig, wenn er das einzige Fun-
dament derselben ist. Sitzt doch selbst die Liebe, die bei uns als der schönste
und zarteste Kern vergeistigter Poesie zur Erscheinung kommt, beim Japaner
nur im Ganglien-System. Sie bauen der Venus Altäre, mehr vielleicht als
ein anderes Volk der Erde; aber es ist nicht die reizvolle griechische Venus
Amathusia, welche die Grazien im Gefolge hat und sich, als sie einst aus dem
Schaume des Meeres an Cyperns Küsten trat, anmuthig schamhaft hinter
einem Myrthenbüsche verbarg. Die japanische Venus glaubte den Myrlhen-
busch entbehren zu können, und so trat sie in reizloser Nacktheit unter das
Volk. Und so blieb sie bis auf den heutigen Tag. Nicht, daß sie irgend wie
zu vergleichen wäre mit der Venus vulgivaga der alten Welt, -- das nicht;
ihre Nacktheit ist nicht schamlos, sie ist nur naiv; in keinem Falle aber ist sie
poetisch.

So fehlt überall der ganzen japanischen Welt der Dust, der Hauch der
Poesie, der Glanz des verklärenden Geistes. Wie in der Landschaft Berg
und Thal unvermittelt neben einander liegen, so scheinen beim Mensche"
die Thätigkeiten des Cerebral- und des Ganglien-Systems schärfer gesondert zu
sein, als bei irgend einem anderen Volke. Jetzt sind sie nüchterne Denker,


etwas fehlt; und wenn Man es bemerkt hat, sucht man lange vergebens, ehe
man findet, worin es besteht.

Es ist gewiß ein eigenthümlicher Zusammenhang zwischen dem Charakter
eines Landes und der geistigen Gestaltung des dazu gehörigen Volkes. Wir
sind noch nicht so weit und werden vielleicht niemals so weit komme», feste
physiologisch begründete Regeln dafür aufzustellen; aber wenn die Naturwissenschaft
im Bunde mit der Erfahrung der Landwirthe längst festgestellt hat, daß klima¬
tische und Boden-Verhältnisse modificirend auf den Charakter, ja auf den Orga¬
nismus ganzer Thier- und Pflanzengeschlechter einwirken, und daß durch Verpflan¬
zung neue Varietäten und Species entstehen, so kann auch eine wissenschaftliche
Begründung des angedeuteten Zusammenhanges beim Menschen nicht fern
liegen. Ist aber überhaupt System in diesem Verhältnisse, so sind wir eben¬
sosehr berechtigt, Schlüsse als Rückschlüsse zu machen.

Der Charakter des Volks ist im Ganzen nüchtern, speculativ grübelnd,
aber stets zu Eruptionen geneigt, wie die vulkanische Erde, auf der es wandelt.
Die Japaner sind keine Künstler; sie haben keine Poesie, keine Musik, keine
Malerei, keine Bildhauerkunst, keine Architektur; sie haben nur Künsteleien und
Kunststücke. Es ist bezeichnend, daß der Flora der Duft fehlt; — so fehlt auch
der Duft der Poesie dem Geiste des Volkes, dem Charakter der Landschaft.
Ein Volk, in dessen Phantasie wenn auch als Strafe, so doch als ehrenvollste
Strafe das Bauchausschlitzen lebt, kaun kein poetisches Volk sein. Ich gestehe
zwar zu, das auch der Bauch seinen Antheil an der künstlerischen Begabung
des Menschen hat, aber wir finden es doch traurig, wenn er das einzige Fun-
dament derselben ist. Sitzt doch selbst die Liebe, die bei uns als der schönste
und zarteste Kern vergeistigter Poesie zur Erscheinung kommt, beim Japaner
nur im Ganglien-System. Sie bauen der Venus Altäre, mehr vielleicht als
ein anderes Volk der Erde; aber es ist nicht die reizvolle griechische Venus
Amathusia, welche die Grazien im Gefolge hat und sich, als sie einst aus dem
Schaume des Meeres an Cyperns Küsten trat, anmuthig schamhaft hinter
einem Myrthenbüsche verbarg. Die japanische Venus glaubte den Myrlhen-
busch entbehren zu können, und so trat sie in reizloser Nacktheit unter das
Volk. Und so blieb sie bis auf den heutigen Tag. Nicht, daß sie irgend wie
zu vergleichen wäre mit der Venus vulgivaga der alten Welt, — das nicht;
ihre Nacktheit ist nicht schamlos, sie ist nur naiv; in keinem Falle aber ist sie
poetisch.

So fehlt überall der ganzen japanischen Welt der Dust, der Hauch der
Poesie, der Glanz des verklärenden Geistes. Wie in der Landschaft Berg
und Thal unvermittelt neben einander liegen, so scheinen beim Mensche"
die Thätigkeiten des Cerebral- und des Ganglien-Systems schärfer gesondert zu
sein, als bei irgend einem anderen Volke. Jetzt sind sie nüchterne Denker,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/276>, abgerufen am 26.08.2024.