Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Unsere Wege hatten sich aber gekreuzt: Signor Macchi war den vorigen
Tag nach Turin abgereist, um seinen Platz in dem wieder eröffneten Parla¬
mente einzunehmen. Zufälliger Weise erinnerte ich mich des Namens Bertani.
Seine Wohnung brauchte nicht gesucht zu werden. Jeder Mensch kannte sie,
und bald befand ich mich in der Via nuovissima, der größten, oder eigentlich
der einzigen Straße Genua's. Ich stand an der Vorderthür der neapolitani¬
schen Revolution; denn wenn das Haus nicht der Herd war. wo die Waffen
dazu geschmiedet wurden, so war es wenigstens der Ort, wohin sie nächtlicher¬
weile aus dem genuesischen Depot geführt und abgeladen wurden, seitdem
Graf Cavour die in Mailand befindlichen Gewehrdcpvts mit Beschlag hatte
belegen lassen.

Was doch für ein wunderliches Ding eine solche Hausthür ist. Von
der Klappe an der Hütte des Samojeden und der stattlichen Pforte des könig¬
lichen Palastes, der hinkenden, durchsichtigen des Proletariers und der verzierten
großartigen des prunkenden Gefängnisses, der Spiegelthür des Modisten und
der eisernen des Grabthores -- wie mancher wünscht sich nicht gleich in's
Zimmer hinein, ohne die Schwelle betreten zu haben!

Das Haus hatte nichts Merkwürdiges, es war ein Bau der neuesten Zeit
und nicht entfernt verwandt mit jenen Wohnungen der alten genuesischen Pa¬
tricier, die so großartige Erinnerungen wecken. Der Dottore Bertani hat mit
diesen wenig zu schaffen. Aber die Thür rief mancherlei Gedanken und Bilder
wach. Die jüngste Vergangenheit, einer der größten Momente in dem Drama
der Wiedergeburt Italiens, trat mir lebhaft vor die Augen.

Es war eine dunkle Nacht. Drohend zogen die schwarzen Wolken
über dem Meere hin. Nur hie und da blitzte dazwischen ein leuchtender
Stern hervor. An den Stellen, wo die "Vicoli" die "Via" kreuzen, bewegten
sich schwarze Gestalten, die italienische Sprache hatte für sie ehemals den
Namen Sbirren. Das Haus schien bewacht zu sein. Dort unten aber, wo
der Weg nach dem Hasen führt, ist eine Lücke in der Postenkette. Aus der
Thür treten in kurzen Zwischenrüumen vorsichtig sich bewegende Männer, und
jeder trügt ein Packet. * Wichtigere Dinge müssen die Schwarzen in Anspruch
nehmen, denn sie sehen die Träger nicht. So geht es fort eine Weile, bis
Zuletzt ein untersetzter Mann, wie es scheint mit röthlich blondem Vollbart, in
Gesellschaft eines jüngeren mit scharf geschnittenen Zügen das Haus verläßt.

Es ist Garibaldi und sein Leutnant Nino Bixio. -- Die "Via" ist wieder
leer. Die schwarzen Gestalten sind verschwunden, vollkommenes Schweigen
herrscht wieder in der ganzen Umgebung. Dort draußen aber auf dem Was¬
ser dampfen zwei Steamer zum Hafen hinaus gegen Südost hin. und auf
dem Ruderkasten steht derselbe untersetzte Mann, das Gesicht nachdenklich dem
eben verlassenen Lande zugekehrt. Der Mond ist aufgegangen, der Wind


32*

Unsere Wege hatten sich aber gekreuzt: Signor Macchi war den vorigen
Tag nach Turin abgereist, um seinen Platz in dem wieder eröffneten Parla¬
mente einzunehmen. Zufälliger Weise erinnerte ich mich des Namens Bertani.
Seine Wohnung brauchte nicht gesucht zu werden. Jeder Mensch kannte sie,
und bald befand ich mich in der Via nuovissima, der größten, oder eigentlich
der einzigen Straße Genua's. Ich stand an der Vorderthür der neapolitani¬
schen Revolution; denn wenn das Haus nicht der Herd war. wo die Waffen
dazu geschmiedet wurden, so war es wenigstens der Ort, wohin sie nächtlicher¬
weile aus dem genuesischen Depot geführt und abgeladen wurden, seitdem
Graf Cavour die in Mailand befindlichen Gewehrdcpvts mit Beschlag hatte
belegen lassen.

Was doch für ein wunderliches Ding eine solche Hausthür ist. Von
der Klappe an der Hütte des Samojeden und der stattlichen Pforte des könig¬
lichen Palastes, der hinkenden, durchsichtigen des Proletariers und der verzierten
großartigen des prunkenden Gefängnisses, der Spiegelthür des Modisten und
der eisernen des Grabthores — wie mancher wünscht sich nicht gleich in's
Zimmer hinein, ohne die Schwelle betreten zu haben!

Das Haus hatte nichts Merkwürdiges, es war ein Bau der neuesten Zeit
und nicht entfernt verwandt mit jenen Wohnungen der alten genuesischen Pa¬
tricier, die so großartige Erinnerungen wecken. Der Dottore Bertani hat mit
diesen wenig zu schaffen. Aber die Thür rief mancherlei Gedanken und Bilder
wach. Die jüngste Vergangenheit, einer der größten Momente in dem Drama
der Wiedergeburt Italiens, trat mir lebhaft vor die Augen.

Es war eine dunkle Nacht. Drohend zogen die schwarzen Wolken
über dem Meere hin. Nur hie und da blitzte dazwischen ein leuchtender
Stern hervor. An den Stellen, wo die „Vicoli" die „Via" kreuzen, bewegten
sich schwarze Gestalten, die italienische Sprache hatte für sie ehemals den
Namen Sbirren. Das Haus schien bewacht zu sein. Dort unten aber, wo
der Weg nach dem Hasen führt, ist eine Lücke in der Postenkette. Aus der
Thür treten in kurzen Zwischenrüumen vorsichtig sich bewegende Männer, und
jeder trügt ein Packet. * Wichtigere Dinge müssen die Schwarzen in Anspruch
nehmen, denn sie sehen die Träger nicht. So geht es fort eine Weile, bis
Zuletzt ein untersetzter Mann, wie es scheint mit röthlich blondem Vollbart, in
Gesellschaft eines jüngeren mit scharf geschnittenen Zügen das Haus verläßt.

Es ist Garibaldi und sein Leutnant Nino Bixio. — Die „Via" ist wieder
leer. Die schwarzen Gestalten sind verschwunden, vollkommenes Schweigen
herrscht wieder in der ganzen Umgebung. Dort draußen aber auf dem Was¬
ser dampfen zwei Steamer zum Hafen hinaus gegen Südost hin. und auf
dem Ruderkasten steht derselbe untersetzte Mann, das Gesicht nachdenklich dem
eben verlassenen Lande zugekehrt. Der Mond ist aufgegangen, der Wind


32*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0261" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/111693"/>
            <p xml:id="ID_812"> Unsere Wege hatten sich aber gekreuzt: Signor Macchi war den vorigen<lb/>
Tag nach Turin abgereist, um seinen Platz in dem wieder eröffneten Parla¬<lb/>
mente einzunehmen. Zufälliger Weise erinnerte ich mich des Namens Bertani.<lb/>
Seine Wohnung brauchte nicht gesucht zu werden. Jeder Mensch kannte sie,<lb/>
und bald befand ich mich in der Via nuovissima, der größten, oder eigentlich<lb/>
der einzigen Straße Genua's. Ich stand an der Vorderthür der neapolitani¬<lb/>
schen Revolution; denn wenn das Haus nicht der Herd war. wo die Waffen<lb/>
dazu geschmiedet wurden, so war es wenigstens der Ort, wohin sie nächtlicher¬<lb/>
weile aus dem genuesischen Depot geführt und abgeladen wurden, seitdem<lb/>
Graf Cavour die in Mailand befindlichen Gewehrdcpvts mit Beschlag hatte<lb/>
belegen lassen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_813"> Was doch für ein wunderliches Ding eine solche Hausthür ist. Von<lb/>
der Klappe an der Hütte des Samojeden und der stattlichen Pforte des könig¬<lb/>
lichen Palastes, der hinkenden, durchsichtigen des Proletariers und der verzierten<lb/>
großartigen des prunkenden Gefängnisses, der Spiegelthür des Modisten und<lb/>
der eisernen des Grabthores &#x2014; wie mancher wünscht sich nicht gleich in's<lb/>
Zimmer hinein, ohne die Schwelle betreten zu haben!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_814"> Das Haus hatte nichts Merkwürdiges, es war ein Bau der neuesten Zeit<lb/>
und nicht entfernt verwandt mit jenen Wohnungen der alten genuesischen Pa¬<lb/>
tricier, die so großartige Erinnerungen wecken. Der Dottore Bertani hat mit<lb/>
diesen wenig zu schaffen. Aber die Thür rief mancherlei Gedanken und Bilder<lb/>
wach. Die jüngste Vergangenheit, einer der größten Momente in dem Drama<lb/>
der Wiedergeburt Italiens, trat mir lebhaft vor die Augen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_815"> Es war eine dunkle Nacht. Drohend zogen die schwarzen Wolken<lb/>
über dem Meere hin. Nur hie und da blitzte dazwischen ein leuchtender<lb/>
Stern hervor. An den Stellen, wo die &#x201E;Vicoli" die &#x201E;Via" kreuzen, bewegten<lb/>
sich schwarze Gestalten, die italienische Sprache hatte für sie ehemals den<lb/>
Namen Sbirren. Das Haus schien bewacht zu sein. Dort unten aber, wo<lb/>
der Weg nach dem Hasen führt, ist eine Lücke in der Postenkette. Aus der<lb/>
Thür treten in kurzen Zwischenrüumen vorsichtig sich bewegende Männer, und<lb/>
jeder trügt ein Packet. * Wichtigere Dinge müssen die Schwarzen in Anspruch<lb/>
nehmen, denn sie sehen die Träger nicht. So geht es fort eine Weile, bis<lb/>
Zuletzt ein untersetzter Mann, wie es scheint mit röthlich blondem Vollbart, in<lb/>
Gesellschaft eines jüngeren mit scharf geschnittenen Zügen das Haus verläßt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_816" next="#ID_817"> Es ist Garibaldi und sein Leutnant Nino Bixio. &#x2014; Die &#x201E;Via" ist wieder<lb/>
leer. Die schwarzen Gestalten sind verschwunden, vollkommenes Schweigen<lb/>
herrscht wieder in der ganzen Umgebung. Dort draußen aber auf dem Was¬<lb/>
ser dampfen zwei Steamer zum Hafen hinaus gegen Südost hin. und auf<lb/>
dem Ruderkasten steht derselbe untersetzte Mann, das Gesicht nachdenklich dem<lb/>
eben verlassenen Lande zugekehrt.  Der Mond ist aufgegangen, der Wind</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 32*</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0261] Unsere Wege hatten sich aber gekreuzt: Signor Macchi war den vorigen Tag nach Turin abgereist, um seinen Platz in dem wieder eröffneten Parla¬ mente einzunehmen. Zufälliger Weise erinnerte ich mich des Namens Bertani. Seine Wohnung brauchte nicht gesucht zu werden. Jeder Mensch kannte sie, und bald befand ich mich in der Via nuovissima, der größten, oder eigentlich der einzigen Straße Genua's. Ich stand an der Vorderthür der neapolitani¬ schen Revolution; denn wenn das Haus nicht der Herd war. wo die Waffen dazu geschmiedet wurden, so war es wenigstens der Ort, wohin sie nächtlicher¬ weile aus dem genuesischen Depot geführt und abgeladen wurden, seitdem Graf Cavour die in Mailand befindlichen Gewehrdcpvts mit Beschlag hatte belegen lassen. Was doch für ein wunderliches Ding eine solche Hausthür ist. Von der Klappe an der Hütte des Samojeden und der stattlichen Pforte des könig¬ lichen Palastes, der hinkenden, durchsichtigen des Proletariers und der verzierten großartigen des prunkenden Gefängnisses, der Spiegelthür des Modisten und der eisernen des Grabthores — wie mancher wünscht sich nicht gleich in's Zimmer hinein, ohne die Schwelle betreten zu haben! Das Haus hatte nichts Merkwürdiges, es war ein Bau der neuesten Zeit und nicht entfernt verwandt mit jenen Wohnungen der alten genuesischen Pa¬ tricier, die so großartige Erinnerungen wecken. Der Dottore Bertani hat mit diesen wenig zu schaffen. Aber die Thür rief mancherlei Gedanken und Bilder wach. Die jüngste Vergangenheit, einer der größten Momente in dem Drama der Wiedergeburt Italiens, trat mir lebhaft vor die Augen. Es war eine dunkle Nacht. Drohend zogen die schwarzen Wolken über dem Meere hin. Nur hie und da blitzte dazwischen ein leuchtender Stern hervor. An den Stellen, wo die „Vicoli" die „Via" kreuzen, bewegten sich schwarze Gestalten, die italienische Sprache hatte für sie ehemals den Namen Sbirren. Das Haus schien bewacht zu sein. Dort unten aber, wo der Weg nach dem Hasen führt, ist eine Lücke in der Postenkette. Aus der Thür treten in kurzen Zwischenrüumen vorsichtig sich bewegende Männer, und jeder trügt ein Packet. * Wichtigere Dinge müssen die Schwarzen in Anspruch nehmen, denn sie sehen die Träger nicht. So geht es fort eine Weile, bis Zuletzt ein untersetzter Mann, wie es scheint mit röthlich blondem Vollbart, in Gesellschaft eines jüngeren mit scharf geschnittenen Zügen das Haus verläßt. Es ist Garibaldi und sein Leutnant Nino Bixio. — Die „Via" ist wieder leer. Die schwarzen Gestalten sind verschwunden, vollkommenes Schweigen herrscht wieder in der ganzen Umgebung. Dort draußen aber auf dem Was¬ ser dampfen zwei Steamer zum Hafen hinaus gegen Südost hin. und auf dem Ruderkasten steht derselbe untersetzte Mann, das Gesicht nachdenklich dem eben verlassenen Lande zugekehrt. Der Mond ist aufgegangen, der Wind 32*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/261
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/261>, abgerufen am 22.07.2024.