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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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wir den letzten hinter uns gelassen, meldet die Pfeife der Locomotive, daß das
Ziel erreicht sei.

Geplagt, gequetscht, unaufhörlich gefragt von meinen halb betrunkenen
Mitpassagieren, woher, wohin, warum, von einigen als Tedesco halb Und halb
wie ein Spion behandelt, bin ich endlich meine spectakelsüchtige, hauptsächlich
in Alessandria eingeladene und meist aus garibaldischen Freiwilligen bestehende
Reisegesellschaft los, um in die Hände noch lauter lärmender Fächini zu gerathen.

Täuschungen im Leben sind so gewöhnlich, die. welche einem Reisenden
begegnen noch gewöhnlicher, und vielleicht um meisten beim Betreten von
Italiens Boden. Statt daß sich mir die Hoffnung erfüllt hätte, die schöne
italienische Sprache nun einmal in Italien selbst zu hören und die eingelern¬
ten Brocken derselben einmal verständlich in Anwendung zu bringen, traf
mein Ohr ein Kauderwälsch, beinahe schlimmer, als das Turner. ein franzö-
sisch-schweizerisch-italienisches Palus. Und entweder wollte oder konnte man
mich nicht verstehen, während ich wenigstens soviel merkte, daß ganz italieni¬
sche Absichten auf meinen armen Beutel vorhanden waren.

Während dieser Zeit der schwebenden Verhandlungen, die ein paar Gro߬
mächten Ehre gemacht haben würden, war die Schnar der Freiwillige" aus¬
geladen. Sehr gegen ihren Geschmack mußten sie sich entschließen, ihrem
freien Wille" das Opfer der Unterordnung unter den Befehl eines Unteroffiziers
Zu bringen und sich in Reihe und Glied auszustellen, was nicht sehr glänzend
ablief, da das Geschick des Herrn Feldwebels, wie er genannt wurde, nicht
w'oß war; und die Widerspenstigkeit der zukünftigen Helden nicht viel erlaubte.
Die herrliche Garibaldihymne, Italiens Marseillaise, anstimmend, wurden sie
suletzt abgeführt, ihrer vorläufigen Bestimmung, der Einquartirung entgegen.
Meiner erbarmte sich ein Lohndiener eines der ersten Hotels.

Auffallend war mir, daß die -- Werbung kann man es nicht nennen,
da kein Handgeld ausgegeben wurde, die Beförderung also von Zuwachs zu
den Schaaren Garibaldi's so öffentlich betrieben wurde, und dies in einem Zeit¬
punkt, wo man die Erobcrungspläne auf Neapel und den Kirchenstaat "och
halb und halb verleugnete, wen" auch die Truppe" scho" bereit standen, die
beide Länder occupiren sollten.

Ich war in Genua.

Der Abend war vorgerückt, aber dieser Abend war mild und warm wie
^>u Juliabend im Norden. Der helle Mond auf dem tiefblauen Himmel ließ
den Glanz der Sterne erbleichen. Guitarren- und Mandolinenklünge nah und fern,
'uelancholische Gesänge mit lang ausgehaltenen Schlußstanzen, gemischt mit
d°in lauten Durcheinander lebhafter, einander zu überschreien strebender Stim¬
men, die raschen Bewegungen, die eigenthümlichen Anzüge der mich umwo¬
genden Menge. Alles gab kund, daß ein anderes Land erreicht war und


Grenzboten II. 1661. 32

wir den letzten hinter uns gelassen, meldet die Pfeife der Locomotive, daß das
Ziel erreicht sei.

Geplagt, gequetscht, unaufhörlich gefragt von meinen halb betrunkenen
Mitpassagieren, woher, wohin, warum, von einigen als Tedesco halb Und halb
wie ein Spion behandelt, bin ich endlich meine spectakelsüchtige, hauptsächlich
in Alessandria eingeladene und meist aus garibaldischen Freiwilligen bestehende
Reisegesellschaft los, um in die Hände noch lauter lärmender Fächini zu gerathen.

Täuschungen im Leben sind so gewöhnlich, die. welche einem Reisenden
begegnen noch gewöhnlicher, und vielleicht um meisten beim Betreten von
Italiens Boden. Statt daß sich mir die Hoffnung erfüllt hätte, die schöne
italienische Sprache nun einmal in Italien selbst zu hören und die eingelern¬
ten Brocken derselben einmal verständlich in Anwendung zu bringen, traf
mein Ohr ein Kauderwälsch, beinahe schlimmer, als das Turner. ein franzö-
sisch-schweizerisch-italienisches Palus. Und entweder wollte oder konnte man
mich nicht verstehen, während ich wenigstens soviel merkte, daß ganz italieni¬
sche Absichten auf meinen armen Beutel vorhanden waren.

Während dieser Zeit der schwebenden Verhandlungen, die ein paar Gro߬
mächten Ehre gemacht haben würden, war die Schnar der Freiwillige» aus¬
geladen. Sehr gegen ihren Geschmack mußten sie sich entschließen, ihrem
freien Wille» das Opfer der Unterordnung unter den Befehl eines Unteroffiziers
Zu bringen und sich in Reihe und Glied auszustellen, was nicht sehr glänzend
ablief, da das Geschick des Herrn Feldwebels, wie er genannt wurde, nicht
w'oß war; und die Widerspenstigkeit der zukünftigen Helden nicht viel erlaubte.
Die herrliche Garibaldihymne, Italiens Marseillaise, anstimmend, wurden sie
suletzt abgeführt, ihrer vorläufigen Bestimmung, der Einquartirung entgegen.
Meiner erbarmte sich ein Lohndiener eines der ersten Hotels.

Auffallend war mir, daß die — Werbung kann man es nicht nennen,
da kein Handgeld ausgegeben wurde, die Beförderung also von Zuwachs zu
den Schaaren Garibaldi's so öffentlich betrieben wurde, und dies in einem Zeit¬
punkt, wo man die Erobcrungspläne auf Neapel und den Kirchenstaat »och
halb und halb verleugnete, wen» auch die Truppe» scho» bereit standen, die
beide Länder occupiren sollten.

Ich war in Genua.

Der Abend war vorgerückt, aber dieser Abend war mild und warm wie
^>u Juliabend im Norden. Der helle Mond auf dem tiefblauen Himmel ließ
den Glanz der Sterne erbleichen. Guitarren- und Mandolinenklünge nah und fern,
'uelancholische Gesänge mit lang ausgehaltenen Schlußstanzen, gemischt mit
d°in lauten Durcheinander lebhafter, einander zu überschreien strebender Stim¬
men, die raschen Bewegungen, die eigenthümlichen Anzüge der mich umwo¬
genden Menge. Alles gab kund, daß ein anderes Land erreicht war und


Grenzboten II. 1661. 32
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/259>, abgerufen am 22.07.2024.