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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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ältesten Erdkunde, den Meisten wol im fernen Westen, streckte sich das Dämmcr-
land hin. wo die Seelen der Abgeschiedenen ihr Schattenlebcn führten.

Im Munde der Einen localisirten sich gelegentlich solche Mythengebilde
bis zu einem gewissen Grade, den Meisten blieben sie. was sie von Anfang
gewesen, schwimmende Vorstellungen, den Träumen gleich deutlich in den
Einzelnheiten, aber ohne feste Stelle im Raume. Sie sollten im Osten.
Westen oder Norden sein, an welcher Stelle da, wußte Niemand.

Phönicische Kaufleute und Schiffskapitäne mögen bereits in dieser Zeit
bessere Kenntniß erworben haben. Aber was davon zu den Hellenen dieser
Jahrhunderte gelangte, kam ihnen 'entweder schon aus dem Munde der Erzähler
mis Fabel zu. oder verwandelte sich im Verlauf der weiteren Ueberlieferung
durch Mißverständnis; oder unbewußte Unidichtung in ein Phantasiebild, und
erst als die Periode der großen Auswanderungen begonnen hatte, deren Ergeb¬
niß die griechischen Colonien in Kleinasien und Süditalien waren, wurde,
zunächst von, kretischen, samischen und phocäischen Seefahrern, sodann von
zahlreichen Andern der erste und bald auch der zweite jener Nebelringe durch¬
brochen, von denen der Kreis griechischen Lebens bis dahin umschlossen gewesen
war. Ans den Inseln, die man entdeckte, an den Festlandsküsten, in deren
Fvhrdcn man Anker warf, traf man oft Wilde, aber keine Riesen. Die Meer¬
thore, durch die man segelte, hatten böse Boer und gefahrdrohende Klippen
an ihrer Schwelle, aber keine zuschlagenden Felsenflügel. Im Sund zwischen
Sicilieu und dem Festland lauerten unbequeme Windstöße und ein schlimmer
Strudel, aber das Gebell der Scylla war nicht mehr zu hören, und auch
die Charybdis war mit der Einsamkeit der Gegend verschwunden. Aus
dem Ostbecken des Mittelmeers zogen sich die 'selige Insel der Phäaken,
die Meer- und Waldungethümc der Festlandsküsten, die Nymphen und Zaube¬
rinnen der Eilandsgestade und alle Götter, Wunder und Gespenster der See-
tiefe in das westliche zurück. Kühne Abenteurer folgten ihnen auch dahin, und
Wieder räumte die Welt der Phantasie dem prosaischen Wissen ein Stück Ge¬
biet, bis sie endlich, über die fernen Balearen und Pithyüsen hinaus zurück¬
gewiesen, zwischen den Säulen des Hercules hindurch in das Unbegrenzte und
Unerforschliche des Atlantischen Oceans hinausflüchtete. Und wie der Westen
bellte sich auch der Osten und Süden jetzt in rascher Folge mehr und mehr
auf. Auswanderer siedelten sich an der Propontis und am Pontus Euxinus
an. Reisende wie Herodot besuchten das Innere von Westasien und sahen,
und beschrieben das Pharaoncnrcich im NUthal. Die Perserkriege, der Zug
der Zehntausend .5'enovhons. zuletzt die Siege Alexanders rückten die Grenz¬
marken der Erdkunde für den gebildeten Griechen bis an den Indus und den
persischen Golf.

Der Nordosten, das Land der Scythen, blieb mit halbdurchsichtigen Nebeln


ältesten Erdkunde, den Meisten wol im fernen Westen, streckte sich das Dämmcr-
land hin. wo die Seelen der Abgeschiedenen ihr Schattenlebcn führten.

Im Munde der Einen localisirten sich gelegentlich solche Mythengebilde
bis zu einem gewissen Grade, den Meisten blieben sie. was sie von Anfang
gewesen, schwimmende Vorstellungen, den Träumen gleich deutlich in den
Einzelnheiten, aber ohne feste Stelle im Raume. Sie sollten im Osten.
Westen oder Norden sein, an welcher Stelle da, wußte Niemand.

Phönicische Kaufleute und Schiffskapitäne mögen bereits in dieser Zeit
bessere Kenntniß erworben haben. Aber was davon zu den Hellenen dieser
Jahrhunderte gelangte, kam ihnen 'entweder schon aus dem Munde der Erzähler
mis Fabel zu. oder verwandelte sich im Verlauf der weiteren Ueberlieferung
durch Mißverständnis; oder unbewußte Unidichtung in ein Phantasiebild, und
erst als die Periode der großen Auswanderungen begonnen hatte, deren Ergeb¬
niß die griechischen Colonien in Kleinasien und Süditalien waren, wurde,
zunächst von, kretischen, samischen und phocäischen Seefahrern, sodann von
zahlreichen Andern der erste und bald auch der zweite jener Nebelringe durch¬
brochen, von denen der Kreis griechischen Lebens bis dahin umschlossen gewesen
war. Ans den Inseln, die man entdeckte, an den Festlandsküsten, in deren
Fvhrdcn man Anker warf, traf man oft Wilde, aber keine Riesen. Die Meer¬
thore, durch die man segelte, hatten böse Boer und gefahrdrohende Klippen
an ihrer Schwelle, aber keine zuschlagenden Felsenflügel. Im Sund zwischen
Sicilieu und dem Festland lauerten unbequeme Windstöße und ein schlimmer
Strudel, aber das Gebell der Scylla war nicht mehr zu hören, und auch
die Charybdis war mit der Einsamkeit der Gegend verschwunden. Aus
dem Ostbecken des Mittelmeers zogen sich die 'selige Insel der Phäaken,
die Meer- und Waldungethümc der Festlandsküsten, die Nymphen und Zaube¬
rinnen der Eilandsgestade und alle Götter, Wunder und Gespenster der See-
tiefe in das westliche zurück. Kühne Abenteurer folgten ihnen auch dahin, und
Wieder räumte die Welt der Phantasie dem prosaischen Wissen ein Stück Ge¬
biet, bis sie endlich, über die fernen Balearen und Pithyüsen hinaus zurück¬
gewiesen, zwischen den Säulen des Hercules hindurch in das Unbegrenzte und
Unerforschliche des Atlantischen Oceans hinausflüchtete. Und wie der Westen
bellte sich auch der Osten und Süden jetzt in rascher Folge mehr und mehr
auf. Auswanderer siedelten sich an der Propontis und am Pontus Euxinus
an. Reisende wie Herodot besuchten das Innere von Westasien und sahen,
und beschrieben das Pharaoncnrcich im NUthal. Die Perserkriege, der Zug
der Zehntausend .5'enovhons. zuletzt die Siege Alexanders rückten die Grenz¬
marken der Erdkunde für den gebildeten Griechen bis an den Indus und den
persischen Golf.

Der Nordosten, das Land der Scythen, blieb mit halbdurchsichtigen Nebeln


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[0025] ältesten Erdkunde, den Meisten wol im fernen Westen, streckte sich das Dämmcr- land hin. wo die Seelen der Abgeschiedenen ihr Schattenlebcn führten. Im Munde der Einen localisirten sich gelegentlich solche Mythengebilde bis zu einem gewissen Grade, den Meisten blieben sie. was sie von Anfang gewesen, schwimmende Vorstellungen, den Träumen gleich deutlich in den Einzelnheiten, aber ohne feste Stelle im Raume. Sie sollten im Osten. Westen oder Norden sein, an welcher Stelle da, wußte Niemand. Phönicische Kaufleute und Schiffskapitäne mögen bereits in dieser Zeit bessere Kenntniß erworben haben. Aber was davon zu den Hellenen dieser Jahrhunderte gelangte, kam ihnen 'entweder schon aus dem Munde der Erzähler mis Fabel zu. oder verwandelte sich im Verlauf der weiteren Ueberlieferung durch Mißverständnis; oder unbewußte Unidichtung in ein Phantasiebild, und erst als die Periode der großen Auswanderungen begonnen hatte, deren Ergeb¬ niß die griechischen Colonien in Kleinasien und Süditalien waren, wurde, zunächst von, kretischen, samischen und phocäischen Seefahrern, sodann von zahlreichen Andern der erste und bald auch der zweite jener Nebelringe durch¬ brochen, von denen der Kreis griechischen Lebens bis dahin umschlossen gewesen war. Ans den Inseln, die man entdeckte, an den Festlandsküsten, in deren Fvhrdcn man Anker warf, traf man oft Wilde, aber keine Riesen. Die Meer¬ thore, durch die man segelte, hatten böse Boer und gefahrdrohende Klippen an ihrer Schwelle, aber keine zuschlagenden Felsenflügel. Im Sund zwischen Sicilieu und dem Festland lauerten unbequeme Windstöße und ein schlimmer Strudel, aber das Gebell der Scylla war nicht mehr zu hören, und auch die Charybdis war mit der Einsamkeit der Gegend verschwunden. Aus dem Ostbecken des Mittelmeers zogen sich die 'selige Insel der Phäaken, die Meer- und Waldungethümc der Festlandsküsten, die Nymphen und Zaube¬ rinnen der Eilandsgestade und alle Götter, Wunder und Gespenster der See- tiefe in das westliche zurück. Kühne Abenteurer folgten ihnen auch dahin, und Wieder räumte die Welt der Phantasie dem prosaischen Wissen ein Stück Ge¬ biet, bis sie endlich, über die fernen Balearen und Pithyüsen hinaus zurück¬ gewiesen, zwischen den Säulen des Hercules hindurch in das Unbegrenzte und Unerforschliche des Atlantischen Oceans hinausflüchtete. Und wie der Westen bellte sich auch der Osten und Süden jetzt in rascher Folge mehr und mehr auf. Auswanderer siedelten sich an der Propontis und am Pontus Euxinus an. Reisende wie Herodot besuchten das Innere von Westasien und sahen, und beschrieben das Pharaoncnrcich im NUthal. Die Perserkriege, der Zug der Zehntausend .5'enovhons. zuletzt die Siege Alexanders rückten die Grenz¬ marken der Erdkunde für den gebildeten Griechen bis an den Indus und den persischen Golf. Der Nordosten, das Land der Scythen, blieb mit halbdurchsichtigen Nebeln

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/25>, abgerufen am 22.07.2024.