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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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überhaupt guter Dinge war, so verkürzte man ihr die Rationen und gab ihr
zuletzt nichts mehr. Das war im Jahr 1595.

Vor dem Schlüsse sei es dem Verfasser noch vergönnt, ein paar Worte
über das bürgerliche Leben der Scharfrichter, dann über die Beschaffenheit
der alten Nichtschwerter zu sagen. Der Scharfrichter oder Freimaur hatte
nebst seinen Knechten in den meisten Orten einen eigenen abgesonderten Stuhl
in der Kirche. Dahinein ging Niemand, wenn auch in dem ganzen Gebäude
nirgends mehr ein übriges Plätzchen auszutreiben war. Sein Recht auf Selbst¬
mörder war unbeschränkt. Wie der Scharfrichter von einem solchen Falle
hörte, begab er sich an Ort und Stelle, trat hart an den Leichnam des Selbst¬
mörders hin, und so weit er mit seinem Richtschwerte, einen Kreis um sich ziehend
reichen konnte, gehörte alles dort Liegende ihm. Ein Kornwucherer in Oestreich
war durch den Verlust von hundert Thalern zur Verzweiflung gebracht worden.
Er stellte alle seiue Geldsäcke um sich herum und erhängte sich in deren Mitte.
Der Freimaur des Ortes nahm sie, laut Spruch des Richters, in Besitz.
Solche Entseelte wurden dann auf dein sogenannten Schindcrwasen eingegraben.
Dem Scharfrichter gehörten, ohne jede Ausnahme, alle gefallenen Thiere.
Verheimlichte ihm Jemand dieses und zog z. B. bei einem Pferde Nutzen
aus dessen Hufeisen, so pflegte er ein Messer über der Thüre des dawider
Handelnden einzuschlagen, und dies blieb dann so lange stecken, bis der Scharf¬
richter von dem Uebertreter durch eine entsprechende Geldspende abgefunden
wurde. -

Diesem Gewerbe analog war im Militärstandc der Profos eines Regi¬
ments, der sich auch sonst vieler Privilegien erfreute. Natürlich war dieser
gleich dem Scharfrichter und dessen Knechten unehrlich. Wollte ein solcher
aber im Dienste vorrücken, so mußte er erst wieder ehrlich gemacht werden,
wozu das Regiment in Parade ausrückte, ein Viereck schloß, der Profos rück¬
wärts den Hut im Munde hineinkroch und um seinen ehrlichen Namen bat.
Drei Stöße mit dem Schaft der Fahne' thaten die gewünschte Wirkung.
Derlei Gebräuche finden sich in allen Militär-Reglements bis zu Ende des
vorigen Jahrhunderts verzeichnet. Ueber das Freimannslcben des 16.. Jahr¬
hunderts gibt nähere Aufschlüsse das ziemlich seltene Büchlein: "Meister
Franzens, Nachrichters zu Nürnberg, all' sein Nichten. Nürnberg 1801."
Im städtischen Museum zu Salzburg befindet sich in einem Kasten ein ge¬
schriebener Quartband, in dem der Scharfrichter Franz Johann Wohimuth
22i> Hinrichtungen und peinliche Arbeiten gewissenhaft verzeichnet hat. die er
w einer Reihe von etwa dreißig Jahren bis 1761 czpedirte. Auch das von
ihm gebrauchte Richtschwert -- zweischneidig und ohne Spitze -- liegt dabei.
Wichtige Aufschlüsse liefern auch Schläger's "Wienerskizzen."

Bisweilen liält man Schwerter aus dem 14. Jahrhundert und breiter


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überhaupt guter Dinge war, so verkürzte man ihr die Rationen und gab ihr
zuletzt nichts mehr. Das war im Jahr 1595.

Vor dem Schlüsse sei es dem Verfasser noch vergönnt, ein paar Worte
über das bürgerliche Leben der Scharfrichter, dann über die Beschaffenheit
der alten Nichtschwerter zu sagen. Der Scharfrichter oder Freimaur hatte
nebst seinen Knechten in den meisten Orten einen eigenen abgesonderten Stuhl
in der Kirche. Dahinein ging Niemand, wenn auch in dem ganzen Gebäude
nirgends mehr ein übriges Plätzchen auszutreiben war. Sein Recht auf Selbst¬
mörder war unbeschränkt. Wie der Scharfrichter von einem solchen Falle
hörte, begab er sich an Ort und Stelle, trat hart an den Leichnam des Selbst¬
mörders hin, und so weit er mit seinem Richtschwerte, einen Kreis um sich ziehend
reichen konnte, gehörte alles dort Liegende ihm. Ein Kornwucherer in Oestreich
war durch den Verlust von hundert Thalern zur Verzweiflung gebracht worden.
Er stellte alle seiue Geldsäcke um sich herum und erhängte sich in deren Mitte.
Der Freimaur des Ortes nahm sie, laut Spruch des Richters, in Besitz.
Solche Entseelte wurden dann auf dein sogenannten Schindcrwasen eingegraben.
Dem Scharfrichter gehörten, ohne jede Ausnahme, alle gefallenen Thiere.
Verheimlichte ihm Jemand dieses und zog z. B. bei einem Pferde Nutzen
aus dessen Hufeisen, so pflegte er ein Messer über der Thüre des dawider
Handelnden einzuschlagen, und dies blieb dann so lange stecken, bis der Scharf¬
richter von dem Uebertreter durch eine entsprechende Geldspende abgefunden
wurde. -

Diesem Gewerbe analog war im Militärstandc der Profos eines Regi¬
ments, der sich auch sonst vieler Privilegien erfreute. Natürlich war dieser
gleich dem Scharfrichter und dessen Knechten unehrlich. Wollte ein solcher
aber im Dienste vorrücken, so mußte er erst wieder ehrlich gemacht werden,
wozu das Regiment in Parade ausrückte, ein Viereck schloß, der Profos rück¬
wärts den Hut im Munde hineinkroch und um seinen ehrlichen Namen bat.
Drei Stöße mit dem Schaft der Fahne' thaten die gewünschte Wirkung.
Derlei Gebräuche finden sich in allen Militär-Reglements bis zu Ende des
vorigen Jahrhunderts verzeichnet. Ueber das Freimannslcben des 16.. Jahr¬
hunderts gibt nähere Aufschlüsse das ziemlich seltene Büchlein: „Meister
Franzens, Nachrichters zu Nürnberg, all' sein Nichten. Nürnberg 1801."
Im städtischen Museum zu Salzburg befindet sich in einem Kasten ein ge¬
schriebener Quartband, in dem der Scharfrichter Franz Johann Wohimuth
22i> Hinrichtungen und peinliche Arbeiten gewissenhaft verzeichnet hat. die er
w einer Reihe von etwa dreißig Jahren bis 1761 czpedirte. Auch das von
ihm gebrauchte Richtschwert — zweischneidig und ohne Spitze — liegt dabei.
Wichtige Aufschlüsse liefern auch Schläger's „Wienerskizzen."

Bisweilen liält man Schwerter aus dem 14. Jahrhundert und breiter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/205>, abgerufen am 01.07.2024.