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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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sein, von diesem höchsten Mittel seiner Kunst Gebrauch zu machen. So
werden die Gesetze der Bühnenwirkung für ihn und das schauende Publicum
zuweilen andere, als sie in der Seele des schaffenden Dichters lagen. Dem Dar¬
steller wird oft in dem Kampf der Leidenschaft ein Wort besonders geeignet
sein, die stärksten Wirkungen daran zu knüpfen, alle folgenden Processe
seiner Rolle, wie poetisch wahr sie an sich sein mögen, werden darauf ihm und
den Zuschauern als Längen erscheinen. So wird bei der Darstellung
Manches unnöthig, was beim Schreiben und bei der Lectüre die höchste Be¬
rechtigung hat.

Daß der Schauspieler seinerseits die Aufgabe hat. dem Dichter mit Pietät
zu folgen, und sich soviel als irgend möglich den beabsichtigten Effecten
desselben anzuschließen, selbst mit einiger Resignation, das versteht sich von
selbst. Nicht selten aber wird sein Recht besser, als das der Sprache, schon
deshalb, weil seine Kunstmittel: Organ, Erfindungskraft. Technik, selbst seine
Nerven ihm Beschränkungen auferlegen, die der Dichter nicht als zwingende
empfindet. Der Dichter aber wird bei solchem Recht, das der Schauspieler
gegenüber seiner Arbeit hat, um so mehr mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben,
je ferner er selbst der Bühne steht, und je weniger deutlich ihm in den
einzelnen Momenten seiner Production das Bühnenbild der Charaktere ist.
Er wird also sich durch Nachdenken und Beobachtung klar machen müssen, wie
er seine Charaktere dem Schauspieler für die Bühnenwirkung bequem zurecht
zu legen habe. Er wird aber der Schauspielkunst auch nicht immer nachgeben
dürfen. Und da er schon beim Schreibtisch die Aufgabe hat, so sehr als
möglich der wohlwollende Vormund des darstellenden Künstlers zu sein, so
wird er die Lebensgeseize der Schauspielkunst ernsthaft siudiren müssen. Es
gibt dafür keine bessere Förderung, als den Verkehr mit gebildeten Darstellern,
Beobachtung ihrer Details und genaue Analyse ihrer bedeutenden Roll?n.

Im Folgenden über die dramatische Handlung und ihren Bau.


G. F.


sein, von diesem höchsten Mittel seiner Kunst Gebrauch zu machen. So
werden die Gesetze der Bühnenwirkung für ihn und das schauende Publicum
zuweilen andere, als sie in der Seele des schaffenden Dichters lagen. Dem Dar¬
steller wird oft in dem Kampf der Leidenschaft ein Wort besonders geeignet
sein, die stärksten Wirkungen daran zu knüpfen, alle folgenden Processe
seiner Rolle, wie poetisch wahr sie an sich sein mögen, werden darauf ihm und
den Zuschauern als Längen erscheinen. So wird bei der Darstellung
Manches unnöthig, was beim Schreiben und bei der Lectüre die höchste Be¬
rechtigung hat.

Daß der Schauspieler seinerseits die Aufgabe hat. dem Dichter mit Pietät
zu folgen, und sich soviel als irgend möglich den beabsichtigten Effecten
desselben anzuschließen, selbst mit einiger Resignation, das versteht sich von
selbst. Nicht selten aber wird sein Recht besser, als das der Sprache, schon
deshalb, weil seine Kunstmittel: Organ, Erfindungskraft. Technik, selbst seine
Nerven ihm Beschränkungen auferlegen, die der Dichter nicht als zwingende
empfindet. Der Dichter aber wird bei solchem Recht, das der Schauspieler
gegenüber seiner Arbeit hat, um so mehr mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben,
je ferner er selbst der Bühne steht, und je weniger deutlich ihm in den
einzelnen Momenten seiner Production das Bühnenbild der Charaktere ist.
Er wird also sich durch Nachdenken und Beobachtung klar machen müssen, wie
er seine Charaktere dem Schauspieler für die Bühnenwirkung bequem zurecht
zu legen habe. Er wird aber der Schauspielkunst auch nicht immer nachgeben
dürfen. Und da er schon beim Schreibtisch die Aufgabe hat, so sehr als
möglich der wohlwollende Vormund des darstellenden Künstlers zu sein, so
wird er die Lebensgeseize der Schauspielkunst ernsthaft siudiren müssen. Es
gibt dafür keine bessere Förderung, als den Verkehr mit gebildeten Darstellern,
Beobachtung ihrer Details und genaue Analyse ihrer bedeutenden Roll?n.

Im Folgenden über die dramatische Handlung und ihren Bau.


G. F.


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[0200] sein, von diesem höchsten Mittel seiner Kunst Gebrauch zu machen. So werden die Gesetze der Bühnenwirkung für ihn und das schauende Publicum zuweilen andere, als sie in der Seele des schaffenden Dichters lagen. Dem Dar¬ steller wird oft in dem Kampf der Leidenschaft ein Wort besonders geeignet sein, die stärksten Wirkungen daran zu knüpfen, alle folgenden Processe seiner Rolle, wie poetisch wahr sie an sich sein mögen, werden darauf ihm und den Zuschauern als Längen erscheinen. So wird bei der Darstellung Manches unnöthig, was beim Schreiben und bei der Lectüre die höchste Be¬ rechtigung hat. Daß der Schauspieler seinerseits die Aufgabe hat. dem Dichter mit Pietät zu folgen, und sich soviel als irgend möglich den beabsichtigten Effecten desselben anzuschließen, selbst mit einiger Resignation, das versteht sich von selbst. Nicht selten aber wird sein Recht besser, als das der Sprache, schon deshalb, weil seine Kunstmittel: Organ, Erfindungskraft. Technik, selbst seine Nerven ihm Beschränkungen auferlegen, die der Dichter nicht als zwingende empfindet. Der Dichter aber wird bei solchem Recht, das der Schauspieler gegenüber seiner Arbeit hat, um so mehr mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben, je ferner er selbst der Bühne steht, und je weniger deutlich ihm in den einzelnen Momenten seiner Production das Bühnenbild der Charaktere ist. Er wird also sich durch Nachdenken und Beobachtung klar machen müssen, wie er seine Charaktere dem Schauspieler für die Bühnenwirkung bequem zurecht zu legen habe. Er wird aber der Schauspielkunst auch nicht immer nachgeben dürfen. Und da er schon beim Schreibtisch die Aufgabe hat, so sehr als möglich der wohlwollende Vormund des darstellenden Künstlers zu sein, so wird er die Lebensgeseize der Schauspielkunst ernsthaft siudiren müssen. Es gibt dafür keine bessere Förderung, als den Verkehr mit gebildeten Darstellern, Beobachtung ihrer Details und genaue Analyse ihrer bedeutenden Roll?n. Im Folgenden über die dramatische Handlung und ihren Bau. G. F.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/200>, abgerufen am 22.07.2024.