Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Zeit, Nur die heutigen Examinatoria und Disputatoria erinnern noch an
die Gesprächsform der alten griechischen Lehrweise, die sich auch auf die Hoch¬
schulen des römischen Reichs vererbte. Am wenigsten beschränkten sich die
Lehrer der Beredtsamkeit auf Kathedervortrage, sondern wendeten allen Fleiß
auf die mündlichen und schriftlichen Uebungen ihrer Schüler, indem sie ihnen
zuerst selbstgefertigte Musterrcden zum Auswendiglernen und Declamiren vor¬
legten und sie später erst eigene Arbeiten machen und vortragen ließen. Die Gegen¬
stände dieser Anfängerreden waren meist der Geschichte entlehnt, wie z. B. ob Han-
nibal nach der Schlacht bei Cannä hätte nach Rom ziehen, ob Alexander der
Große den Ocean beschiffen, ob Sulla die Dictatur hätte niederlegen sollen?
Und die ewige Wiederkehr derselben, Themata, die unaufhörliche Nepctition
derselben Machwerke mochten Ueberdruß und Langeweile in reichem Maaße
bei den Professoren hervorrufen! "Der immer wieder aufgewärmte Kohl bringt
die unglücklichen Lehrer um," sagt Juvenal und läßt den Lehrer eines bor-
nirten Zuhörers ausrufen: "Ich zahlte gern jeden Preis, wenn man es er"
möglichen könnte, daß der Vater so oft als ich den schrecklichen Hannibal
seines Sohnes anhören müßte!" Aber das Declamiren gehörte einmal zu
den Modethorheiten jener Zeit, zu den nothwendigen Disciplinen der höheren
Erziehung; und wenn die Beredtsamkeit ihren Einfluß im öffentlichen Leben
gänzlich verloren hatte, so übte man sich desto mehr in der Lob- und Schmeichel-
rednerkunst, um zu gefallen, und impfte der Jugend Eitelkeit und Unbescheiden-
heit planmäßig ein, indem man sie die in den Rhetorenschulcn mühsam ein-
Kepaukten oratorischen Producte vor eingeladenen Zuhörern zu Hause
vorzutragen gewöhnte. Dagegen verschmähten es auch die Docenten nicht,
sich von ihren Zuhörern beklatschen und durch Zuruf preisen zu lassen. Schon
Seneca schreibt über diese Unsitte: "Wie groß ist die Narrheit Desjenigen, den
das Beifallsgeschrei Unerfahrener in heiterer Stimmung aus seinem Audito¬
rium schreiten laßt! Warum freust du dich, von Menschen gelobt zu werden,
die du selbst nicht loben kannst? Lobt wol der Kranke den ihn schneidenden
A>ze?" Dennoch will der Philosoph den lauten Ausbruch der Bewunderung
nicht tadeln, wenn er der Sache gilt und nicht der Darstellung, und fordert
nur einen Unterschied zwischen Schule und Theater!


H. G.


23"

Zeit, Nur die heutigen Examinatoria und Disputatoria erinnern noch an
die Gesprächsform der alten griechischen Lehrweise, die sich auch auf die Hoch¬
schulen des römischen Reichs vererbte. Am wenigsten beschränkten sich die
Lehrer der Beredtsamkeit auf Kathedervortrage, sondern wendeten allen Fleiß
auf die mündlichen und schriftlichen Uebungen ihrer Schüler, indem sie ihnen
zuerst selbstgefertigte Musterrcden zum Auswendiglernen und Declamiren vor¬
legten und sie später erst eigene Arbeiten machen und vortragen ließen. Die Gegen¬
stände dieser Anfängerreden waren meist der Geschichte entlehnt, wie z. B. ob Han-
nibal nach der Schlacht bei Cannä hätte nach Rom ziehen, ob Alexander der
Große den Ocean beschiffen, ob Sulla die Dictatur hätte niederlegen sollen?
Und die ewige Wiederkehr derselben, Themata, die unaufhörliche Nepctition
derselben Machwerke mochten Ueberdruß und Langeweile in reichem Maaße
bei den Professoren hervorrufen! „Der immer wieder aufgewärmte Kohl bringt
die unglücklichen Lehrer um," sagt Juvenal und läßt den Lehrer eines bor-
nirten Zuhörers ausrufen: „Ich zahlte gern jeden Preis, wenn man es er«
möglichen könnte, daß der Vater so oft als ich den schrecklichen Hannibal
seines Sohnes anhören müßte!" Aber das Declamiren gehörte einmal zu
den Modethorheiten jener Zeit, zu den nothwendigen Disciplinen der höheren
Erziehung; und wenn die Beredtsamkeit ihren Einfluß im öffentlichen Leben
gänzlich verloren hatte, so übte man sich desto mehr in der Lob- und Schmeichel-
rednerkunst, um zu gefallen, und impfte der Jugend Eitelkeit und Unbescheiden-
heit planmäßig ein, indem man sie die in den Rhetorenschulcn mühsam ein-
Kepaukten oratorischen Producte vor eingeladenen Zuhörern zu Hause
vorzutragen gewöhnte. Dagegen verschmähten es auch die Docenten nicht,
sich von ihren Zuhörern beklatschen und durch Zuruf preisen zu lassen. Schon
Seneca schreibt über diese Unsitte: „Wie groß ist die Narrheit Desjenigen, den
das Beifallsgeschrei Unerfahrener in heiterer Stimmung aus seinem Audito¬
rium schreiten laßt! Warum freust du dich, von Menschen gelobt zu werden,
die du selbst nicht loben kannst? Lobt wol der Kranke den ihn schneidenden
A>ze?" Dennoch will der Philosoph den lauten Ausbruch der Bewunderung
nicht tadeln, wenn er der Sache gilt und nicht der Darstellung, und fordert
nur einen Unterschied zwischen Schule und Theater!


H. G.


23"
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0189" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/111621"/>
          <p xml:id="ID_567" prev="#ID_566"> Zeit, Nur die heutigen Examinatoria und Disputatoria erinnern noch an<lb/>
die Gesprächsform der alten griechischen Lehrweise, die sich auch auf die Hoch¬<lb/>
schulen des römischen Reichs vererbte. Am wenigsten beschränkten sich die<lb/>
Lehrer der Beredtsamkeit auf Kathedervortrage, sondern wendeten allen Fleiß<lb/>
auf die mündlichen und schriftlichen Uebungen ihrer Schüler, indem sie ihnen<lb/>
zuerst selbstgefertigte Musterrcden zum Auswendiglernen und Declamiren vor¬<lb/>
legten und sie später erst eigene Arbeiten machen und vortragen ließen. Die Gegen¬<lb/>
stände dieser Anfängerreden waren meist der Geschichte entlehnt, wie z. B. ob Han-<lb/>
nibal nach der Schlacht bei Cannä hätte nach Rom ziehen, ob Alexander der<lb/>
Große den Ocean beschiffen, ob Sulla die Dictatur hätte niederlegen sollen?<lb/>
Und die ewige Wiederkehr derselben, Themata, die unaufhörliche Nepctition<lb/>
derselben Machwerke mochten Ueberdruß und Langeweile in reichem Maaße<lb/>
bei den Professoren hervorrufen! &#x201E;Der immer wieder aufgewärmte Kohl bringt<lb/>
die unglücklichen Lehrer um," sagt Juvenal und läßt den Lehrer eines bor-<lb/>
nirten Zuhörers ausrufen: &#x201E;Ich zahlte gern jeden Preis, wenn man es er«<lb/>
möglichen könnte, daß der Vater so oft als ich den schrecklichen Hannibal<lb/>
seines Sohnes anhören müßte!" Aber das Declamiren gehörte einmal zu<lb/>
den Modethorheiten jener Zeit, zu den nothwendigen Disciplinen der höheren<lb/>
Erziehung; und wenn die Beredtsamkeit ihren Einfluß im öffentlichen Leben<lb/>
gänzlich verloren hatte, so übte man sich desto mehr in der Lob- und Schmeichel-<lb/>
rednerkunst, um zu gefallen, und impfte der Jugend Eitelkeit und Unbescheiden-<lb/>
heit planmäßig ein, indem man sie die in den Rhetorenschulcn mühsam ein-<lb/>
Kepaukten oratorischen Producte vor eingeladenen Zuhörern zu Hause<lb/>
vorzutragen gewöhnte. Dagegen verschmähten es auch die Docenten nicht,<lb/>
sich von ihren Zuhörern beklatschen und durch Zuruf preisen zu lassen. Schon<lb/>
Seneca schreibt über diese Unsitte: &#x201E;Wie groß ist die Narrheit Desjenigen, den<lb/>
das Beifallsgeschrei Unerfahrener in heiterer Stimmung aus seinem Audito¬<lb/>
rium schreiten laßt! Warum freust du dich, von Menschen gelobt zu werden,<lb/>
die du selbst nicht loben kannst? Lobt wol der Kranke den ihn schneidenden<lb/>
A&gt;ze?" Dennoch will der Philosoph den lauten Ausbruch der Bewunderung<lb/>
nicht tadeln, wenn er der Sache gilt und nicht der Darstellung, und fordert<lb/>
nur einen Unterschied zwischen Schule und Theater!</p><lb/>
          <note type="byline"> H. G.</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 23"</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0189] Zeit, Nur die heutigen Examinatoria und Disputatoria erinnern noch an die Gesprächsform der alten griechischen Lehrweise, die sich auch auf die Hoch¬ schulen des römischen Reichs vererbte. Am wenigsten beschränkten sich die Lehrer der Beredtsamkeit auf Kathedervortrage, sondern wendeten allen Fleiß auf die mündlichen und schriftlichen Uebungen ihrer Schüler, indem sie ihnen zuerst selbstgefertigte Musterrcden zum Auswendiglernen und Declamiren vor¬ legten und sie später erst eigene Arbeiten machen und vortragen ließen. Die Gegen¬ stände dieser Anfängerreden waren meist der Geschichte entlehnt, wie z. B. ob Han- nibal nach der Schlacht bei Cannä hätte nach Rom ziehen, ob Alexander der Große den Ocean beschiffen, ob Sulla die Dictatur hätte niederlegen sollen? Und die ewige Wiederkehr derselben, Themata, die unaufhörliche Nepctition derselben Machwerke mochten Ueberdruß und Langeweile in reichem Maaße bei den Professoren hervorrufen! „Der immer wieder aufgewärmte Kohl bringt die unglücklichen Lehrer um," sagt Juvenal und läßt den Lehrer eines bor- nirten Zuhörers ausrufen: „Ich zahlte gern jeden Preis, wenn man es er« möglichen könnte, daß der Vater so oft als ich den schrecklichen Hannibal seines Sohnes anhören müßte!" Aber das Declamiren gehörte einmal zu den Modethorheiten jener Zeit, zu den nothwendigen Disciplinen der höheren Erziehung; und wenn die Beredtsamkeit ihren Einfluß im öffentlichen Leben gänzlich verloren hatte, so übte man sich desto mehr in der Lob- und Schmeichel- rednerkunst, um zu gefallen, und impfte der Jugend Eitelkeit und Unbescheiden- heit planmäßig ein, indem man sie die in den Rhetorenschulcn mühsam ein- Kepaukten oratorischen Producte vor eingeladenen Zuhörern zu Hause vorzutragen gewöhnte. Dagegen verschmähten es auch die Docenten nicht, sich von ihren Zuhörern beklatschen und durch Zuruf preisen zu lassen. Schon Seneca schreibt über diese Unsitte: „Wie groß ist die Narrheit Desjenigen, den das Beifallsgeschrei Unerfahrener in heiterer Stimmung aus seinem Audito¬ rium schreiten laßt! Warum freust du dich, von Menschen gelobt zu werden, die du selbst nicht loben kannst? Lobt wol der Kranke den ihn schneidenden A>ze?" Dennoch will der Philosoph den lauten Ausbruch der Bewunderung nicht tadeln, wenn er der Sache gilt und nicht der Darstellung, und fordert nur einen Unterschied zwischen Schule und Theater! H. G. 23"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/189
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/189>, abgerufen am 22.07.2024.