Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.darauf, eine neue Darstellung der letzten Gesetze des dramatischen Schaffens Daß die Technik des Dramas nichts Feststehendes. Unveränderliches sei, Grenzboten. II. 1861. ^
darauf, eine neue Darstellung der letzten Gesetze des dramatischen Schaffens Daß die Technik des Dramas nichts Feststehendes. Unveränderliches sei, Grenzboten. II. 1861. ^
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darauf, eine neue Darstellung der letzten Gesetze des dramatischen Schaffens
zu sein, es werden vielmehr nur einige Handwerksregeln und solche Handgriffe
besprochen, welche in Büchern nicht bequem zu finden sind. Und es wird den
Schreiber dieser Zeilen freuen, wenn einzelne jüngere Genossen die fol¬
genden Blätter zugleich als Antwort auf schriftliche Anfragen betrachten, denen
in Briefen ausführlich zu entgegnen zuweilen unmöglich war. Auch wer nicht
selbst für das deutsche Theater arbeitet, möge ohne Ermüdung lesen, was
allerdings Keinem, der längere Zeit wirksam für die Bühne geschrieben, ein
Geheimniß ist.
Daß die Technik des Dramas nichts Feststehendes. Unveränderliches sei,
bedarf kaum der Erwähnung. Seit Aristoteles einige der höchsten Gesetze
-dramatischer Wirkung dargestellt hat, ist die Bildung des Menschengeschlechts
um mehr als 2000 Jahre älter geworden, nicht nur die Formen der Kunst,
Bühne und Methode der Darstellung, haben sich gewaltig verändert, sondern,
was noch wichtiger ist, der geistige und sittliche Inhalt der Menschen, das
Verhältniß des Einzelnen zu seinem Geschlecht und zu den höchsten Gewalten
des Erdenlebens, die Idee der Freiheit und die Vorstellungen vom Wesen der
Gottheit haben große Umwandlungen erfahren; weite Gebiete der dramatischen
Stoffe sind uns verloren, ein neues großes Terrain gewonnen. Mit den sitt¬
lichen und politischen Grundsätzen, welche unser Leben regieren, haben sich
auch dre Borstellungen vom Schönen und künstlerisch Wirksamen fortgebildet.
Zwischen den höchsten Kunstwirkungen der griechischen Festspiele, der Autos
sacramentales und der Dramen zur Zeit Goethes und Ifflands ist der Unter¬
schied nicht weniger groß, als zwischen dem hellenischen Chortheater, dem My-
stenenbau und dem geschlossenen Salon der modernen Bühne. Es ver¬
steht sich, daß einige Grundgesetze des dramatischen Schaffens für alle Zeit
Geltung behalten; im Ganzen aber sind sowol die Lebensbedürfnisse des Dra¬
mas in einer beständigen Entwickelung begriffen, als auch die Kunstmittel,
durch welche Wirkungen ausgeübt werden. Und man meine nicht, daß die
Technik der Poesie allein durch die Schöpfungen großer Dichter gefördert
werde, wir dürfen ohne Selbstüberhebung sagen, daß wir gegenwärtig klarer
sind über die höchsten Kunstwirkungen im Drama und über den Gebrauch
des technischen Apparats, als Lessing. Schiller und Goethe. Freilich ist mit
der gewandtem Handhabung des Technischen noch nicht die Fähigkeit einer
gleich werthvollen dichterischen Produktion verliehen, und wenn wir auch nach
Mancher Richtung besser verstehen, was dramatisch ist, als Lessing, Goethe
und Schiller, so sind wir deshalb doch noch lange nicht in den Stand gesetzt,
so große dramatische Wirkungen hervorzubringen, als sie. -Dennoch muß der
dramatische Schriftsteller der Gegenwart eifrig bemüht sein, die technische In¬
telligenz seiner Zeit zu verstehen, und er wird finden, daß sich hier der Fort-
Grenzboten. II. 1861. ^
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