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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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genöthigt werden könnten, den Grundsatz der Nichtintervention auch hier an¬
zuerkennen. Die Unabhängigkeit mit den Waffen zu erringen ist die rumänische
Nation trotz ihrer Zahl so wenig im Stande, als der Sultan fähig ist. einer
Revolution der vereinten Slavenstämme seiner Lande mit Erfolg Halt zu ge¬
bieten. Die Masse des rumänischen Volkes ist so uncultivirt. so feig und
stumpf, daß mit ihr kein Unternehmen gewagt werden kann, zu dem es des
Patriotischen Schwunges und des kriegerischen Sinnes bedarf. Der Bojar
andrerseits hat feine Sitte angenommen, sich in Paris den Modefirniß geholt,
aber wahre Bildung, moralische Integrität und ein großer Sinn sind in dieser
Klasse fast ebenso selten, wie in jener. Man hat eine Konstitution, allein die
Unterlagen parlamentarischen Lebens mangeln, und so ist die Verfassung eine
bloße Form. Man hat dies und jenes für Schulen gethan, in einigen andern
Beziehungen die Cultur des Westens in das Land zu verpflanzen gesucht, aber
ohne Ernst und Ausdauer und so ohne durchgreifenden Erfolg. Gute Straßen
gibt es nur wenige. Das jetzt nach französischem Muster organisirte Heer der
vereinigten Fürstentümer Moldau und Walachei besteht aus etwa 14,000
Mann Infanterie und 3000 Ulanen, und man beabsichtigt es auf 25.000 Mann
zu Fuß und 5000 zu Pferde zu bringen. Aber die Ausrüstung ist höchst
mangelhaft, Haltung und Geist des Heeres kaum mittelmüßig gut. Die Ar¬
tillerie hat nicht mehr als 24 brauchbare Geschütze. An Flinten und Büchsen
besitzt die Regierung zwar 60.000 Stück, doch befinden sich darunter nicht viel
mehr als 30.000. die allen Anforderungen entsprechen. Man wird nicht zu
viel behaupten, wenn man das Gesagte dahin zusammenfaßt, daß die Rumä¬
nen sich nicht selbst befreien, sondern sich nur befreien.lassen, nur einen erfolg¬
reichen Aufstand der Slaven benutzen können, um sich unabhängig zu erklären.

Noch übler als mit dem niedern Volk der Rumänen stand es bisher alt
den Bulgaren. d,e zwar keinen Adel haben, aber von ihrer hohem Geistlichkeit
einerseits und von den unter ihnen wohnenden Türken andrerseits ganz ebenso
bedrückt wurden wie das rumänische Landvolk von seinen Bojaren. Die Bul¬
garen sind fleißige Leute und nicht ohne Verstandesgaben. Dennoch finden
sich unter ihnen nur wenige Orte, die einen gewissen Anstrich von.Wohlstand
und Ordnung zeigen, und wo man Schulen antrifft, z. B. Samakow, wo
man viel Eisen gewinnt, die starkbevölkerten Balkanstädte Tirnowa und Les-
kvwatz, Philippopel und mehre an der Donau gelegene Städte. Bei dem Druck,
der seit Jahrhunderten auf dem Volke lastete, ist es so entmuthigt worden,
daß es langer Vorbereitungen bedürfte, um aus seiner Lethargie zu erwachen.
Die Bewegung, die sich in den letzten Monaten auf kirchlichem Gebiet ent¬
wickelte, ist ein Zeichen, daß es zu erwachen beginnt. Ob es, in den Kampf
gegen die Pforte hineingerissen, "Wunder wirken" wird, wie die Denk¬
schrift voraussetzt, lassen wir dahingestellt. An kräftigen Armen wird es nicht


genöthigt werden könnten, den Grundsatz der Nichtintervention auch hier an¬
zuerkennen. Die Unabhängigkeit mit den Waffen zu erringen ist die rumänische
Nation trotz ihrer Zahl so wenig im Stande, als der Sultan fähig ist. einer
Revolution der vereinten Slavenstämme seiner Lande mit Erfolg Halt zu ge¬
bieten. Die Masse des rumänischen Volkes ist so uncultivirt. so feig und
stumpf, daß mit ihr kein Unternehmen gewagt werden kann, zu dem es des
Patriotischen Schwunges und des kriegerischen Sinnes bedarf. Der Bojar
andrerseits hat feine Sitte angenommen, sich in Paris den Modefirniß geholt,
aber wahre Bildung, moralische Integrität und ein großer Sinn sind in dieser
Klasse fast ebenso selten, wie in jener. Man hat eine Konstitution, allein die
Unterlagen parlamentarischen Lebens mangeln, und so ist die Verfassung eine
bloße Form. Man hat dies und jenes für Schulen gethan, in einigen andern
Beziehungen die Cultur des Westens in das Land zu verpflanzen gesucht, aber
ohne Ernst und Ausdauer und so ohne durchgreifenden Erfolg. Gute Straßen
gibt es nur wenige. Das jetzt nach französischem Muster organisirte Heer der
vereinigten Fürstentümer Moldau und Walachei besteht aus etwa 14,000
Mann Infanterie und 3000 Ulanen, und man beabsichtigt es auf 25.000 Mann
zu Fuß und 5000 zu Pferde zu bringen. Aber die Ausrüstung ist höchst
mangelhaft, Haltung und Geist des Heeres kaum mittelmüßig gut. Die Ar¬
tillerie hat nicht mehr als 24 brauchbare Geschütze. An Flinten und Büchsen
besitzt die Regierung zwar 60.000 Stück, doch befinden sich darunter nicht viel
mehr als 30.000. die allen Anforderungen entsprechen. Man wird nicht zu
viel behaupten, wenn man das Gesagte dahin zusammenfaßt, daß die Rumä¬
nen sich nicht selbst befreien, sondern sich nur befreien.lassen, nur einen erfolg¬
reichen Aufstand der Slaven benutzen können, um sich unabhängig zu erklären.

Noch übler als mit dem niedern Volk der Rumänen stand es bisher alt
den Bulgaren. d,e zwar keinen Adel haben, aber von ihrer hohem Geistlichkeit
einerseits und von den unter ihnen wohnenden Türken andrerseits ganz ebenso
bedrückt wurden wie das rumänische Landvolk von seinen Bojaren. Die Bul¬
garen sind fleißige Leute und nicht ohne Verstandesgaben. Dennoch finden
sich unter ihnen nur wenige Orte, die einen gewissen Anstrich von.Wohlstand
und Ordnung zeigen, und wo man Schulen antrifft, z. B. Samakow, wo
man viel Eisen gewinnt, die starkbevölkerten Balkanstädte Tirnowa und Les-
kvwatz, Philippopel und mehre an der Donau gelegene Städte. Bei dem Druck,
der seit Jahrhunderten auf dem Volke lastete, ist es so entmuthigt worden,
daß es langer Vorbereitungen bedürfte, um aus seiner Lethargie zu erwachen.
Die Bewegung, die sich in den letzten Monaten auf kirchlichem Gebiet ent¬
wickelte, ist ein Zeichen, daß es zu erwachen beginnt. Ob es, in den Kampf
gegen die Pforte hineingerissen, „Wunder wirken" wird, wie die Denk¬
schrift voraussetzt, lassen wir dahingestellt. An kräftigen Armen wird es nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/137>, abgerufen am 27.09.2024.