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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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dadurch eifrige Förderer seiner Pläne erzieht, Aber nachdem der Krimkrieg
die Schwäche Rußlands aufgedeckt und die Massen, soweit sie in Betracht
kommen, über die wahren Absichten der Petersburger Politik durch einzelne
intelligente Köpfe aufgeklärt worden sind, ist ein großer Umschwung eingetreten.
Man handelt jetzt unter den Führern der Bewegung im Pfortenreich nur noch
dem Anschein nach im Interesse des nordischen Protectors, genauer besehen
aber lediglich im eignen. Mit andern Worten: während früher Rußland die
Mißstimmung der Rajah zu seinen Zwecken benutzte, beuten jetzt die letzteren
die russischen Agitationen nach Kräften für ihre Absichten aus. Daher die
überraschende Thatsache, daß in den letzten Tagen die Agenten des Czaren der
theilweise cxplodirten Bewegung entschieden entgegentraten. Man hat eben ge¬
merkt, daß Andere sich anschicken, die Früchte zu ernten, die man gesäet, und es
dürfte nicht Wunder nehmen, wenn Rußland sich unter gewissen Umständen
selbst bewaffnet diesen Plänen der Südslaven entgegenstellte,- die vom Sultan
weg, aber nicht zum Czaren wollen.

England ist durch seine'Interessen auf das eifrigste Bestreben hingewiesen,
die Türkenherrschaft zu erhalte". Stets auf Seiten der türkischen Behörden,
war es bisher wegen seines Einflusses in Stambul bei den Rajah zwar ge¬
fürchtet, aber noch mehr gehaßt. Seine Consuln werden gemieden, und selten
gelingt es ihnen, von der Bevölkerung brauchbare Unterlagen für ihre Berichte
über Stimmung und Absichten derselben zu erhalten. Ja durch das entschie¬
dene Auftreten Frankreichs zu Gunsten der Christen, schon bei der Frage der
heiligen Stätten, dann bei andern mehr oder minder wichtigen Gelegenheiten,
zuletzt in Syrien, sowie durch den italienischen Krieg, ist selbst jene Furcht vor
dem britischen Einfluß vielfach verschwunden. Frankreich ist es, welches sich in
jenen Ländern jetzt ^>er meisten Sympathien erfreut, und wenn man auch bei
dem beabsichtigten Befreiungskriege nicht auf materielle Unterstützung rechnet,
w hofft man doch, daß es dem Kaiser Napoleon gelingen werde, das Prinzip
der Nichtintervention auch hier zur Geltung zu bringen.

Preußen, sagt der augenscheinlich gut unterrichtete Verfasser unserer
Denkschrift, genießt als intelligenter Staat die allgemeine Achtung, man schätzt
seine innern Institutionen, und sein ruhiges Fortschreiten auf der Bahn des
liberalen Constitutionalismus findet vollste Anerkennung. Da der Orient
seiner Politik jedoch zu fern stand und es dort keine wichtigen speciellen In¬
teressen zu vertreten glaubt, so war seine Haltung stets eine wenig entschiedene, sast
indifferente, seine Consuln hielten sich mit wenigen Ausnahmen von Allem
fern und fast stets nur beobachtend und Bericht erstattend, und man konnte
keinerlei Hoffnungen auf den Einfluß dieses kleinsten Großstaats setzen. Der
einzige Mann, auf dessen Wirken man etwas baut, ist der in Konstantinopel
N'sidirende Gesandte. Graf Goltz. welcher sich stets christensreundlich zeigte,


dadurch eifrige Förderer seiner Pläne erzieht, Aber nachdem der Krimkrieg
die Schwäche Rußlands aufgedeckt und die Massen, soweit sie in Betracht
kommen, über die wahren Absichten der Petersburger Politik durch einzelne
intelligente Köpfe aufgeklärt worden sind, ist ein großer Umschwung eingetreten.
Man handelt jetzt unter den Führern der Bewegung im Pfortenreich nur noch
dem Anschein nach im Interesse des nordischen Protectors, genauer besehen
aber lediglich im eignen. Mit andern Worten: während früher Rußland die
Mißstimmung der Rajah zu seinen Zwecken benutzte, beuten jetzt die letzteren
die russischen Agitationen nach Kräften für ihre Absichten aus. Daher die
überraschende Thatsache, daß in den letzten Tagen die Agenten des Czaren der
theilweise cxplodirten Bewegung entschieden entgegentraten. Man hat eben ge¬
merkt, daß Andere sich anschicken, die Früchte zu ernten, die man gesäet, und es
dürfte nicht Wunder nehmen, wenn Rußland sich unter gewissen Umständen
selbst bewaffnet diesen Plänen der Südslaven entgegenstellte,- die vom Sultan
weg, aber nicht zum Czaren wollen.

England ist durch seine'Interessen auf das eifrigste Bestreben hingewiesen,
die Türkenherrschaft zu erhalte». Stets auf Seiten der türkischen Behörden,
war es bisher wegen seines Einflusses in Stambul bei den Rajah zwar ge¬
fürchtet, aber noch mehr gehaßt. Seine Consuln werden gemieden, und selten
gelingt es ihnen, von der Bevölkerung brauchbare Unterlagen für ihre Berichte
über Stimmung und Absichten derselben zu erhalten. Ja durch das entschie¬
dene Auftreten Frankreichs zu Gunsten der Christen, schon bei der Frage der
heiligen Stätten, dann bei andern mehr oder minder wichtigen Gelegenheiten,
zuletzt in Syrien, sowie durch den italienischen Krieg, ist selbst jene Furcht vor
dem britischen Einfluß vielfach verschwunden. Frankreich ist es, welches sich in
jenen Ländern jetzt ^>er meisten Sympathien erfreut, und wenn man auch bei
dem beabsichtigten Befreiungskriege nicht auf materielle Unterstützung rechnet,
w hofft man doch, daß es dem Kaiser Napoleon gelingen werde, das Prinzip
der Nichtintervention auch hier zur Geltung zu bringen.

Preußen, sagt der augenscheinlich gut unterrichtete Verfasser unserer
Denkschrift, genießt als intelligenter Staat die allgemeine Achtung, man schätzt
seine innern Institutionen, und sein ruhiges Fortschreiten auf der Bahn des
liberalen Constitutionalismus findet vollste Anerkennung. Da der Orient
seiner Politik jedoch zu fern stand und es dort keine wichtigen speciellen In¬
teressen zu vertreten glaubt, so war seine Haltung stets eine wenig entschiedene, sast
indifferente, seine Consuln hielten sich mit wenigen Ausnahmen von Allem
fern und fast stets nur beobachtend und Bericht erstattend, und man konnte
keinerlei Hoffnungen auf den Einfluß dieses kleinsten Großstaats setzen. Der
einzige Mann, auf dessen Wirken man etwas baut, ist der in Konstantinopel
N'sidirende Gesandte. Graf Goltz. welcher sich stets christensreundlich zeigte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/119>, abgerufen am 27.09.2024.