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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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seinem Taubenschlag nachzusehen, ob sich darin ein eben ausgekrochnes, noch
feuchtes Tciubchen findet, mit dem er seinen Hausgenossen dann über das
Gesicht streicht, damit sie immer schön und jung, ohne Flecken. Sommersprossen
und Warzen bleiben. Anderswo wendet man zu solchen kosmetischen Zwecken
ein weniger seltsames Mittel an. Die Mädchen gehen, ohne jemand davon
zu sagen, vor Sonnenaufgang schweigend in einen Birkenwald, bohren dort
einen Baum an, stecken einen Federkiel hinein und hängen ein Töpfchen daran,
das sie am dritten Tag nach Sonnenuntergang, gefüllt mit dem inzwischen
herausgeflossenen Safte, abholen. Mit letzterem bestreichen sie sich d"us Gesicht,
um dadurch die Sommersprossen zu verlieren, oder trinken davon, um gesund
und > als Frauen nicht unfruchtbar zu werden. In Weinbergsgegenden geschieht
dasselbe mit dem Saft der Weinranken.

Wir kommen jetzt in die Karwoche. Der Dienstag in derselben heißt der
gelbe, die Mittwoch die krumme. Da von letzterer an bis zum Sonnabend
in allen katholischen Kirchen das Geläut schweigt, so werden in vielen böh¬
mischen Orten die Glocken, die nach dem Volksglauben in dieser Zeit nach
Rom gehen, um sich vom Papst neu weihen zu lassen, von den Schulknaben
vertreten. Diese versammeln sich jedes Mal. wenn an andern Tagen geläutet
wird -- früh sechs, Mittags zwölf und Abends sechs Uhr -- mit Ratschen,
Hämmerchen. Klappern und Schnarren versehen an der Kirche und durchlaufen,
sobald die Uhr jene Stunden geschlagen hat, die Gassen, indem sie mit ihren
Instrumenten einen möglichst großen Lärm machen.

Der Gründonnerstag heißt bei den Czechen Veliky oder Zeleny Ctvrtek,
der große oder grüne Donnerstag, und ist durch mancherlei Gebräuche aus¬
gezeichnet, in denen sich Nachklänge eines dem alten Donnergott geweihten
Festes mit dem Andenken an die Einsetzung des Abendmahles mischen. In
vielen von Czechen bewohnten Dörfern geht man an diesem Tage vor Sonnen¬
aufgang ins Freie, wo man niederkniee und betet, sich dann in einem Wasser
Hände, Gesicht und Füße wäscht und hierauf sich nach einem Berg oder Kreuz¬
weg begibt, um die Sonne aufgehen zu sehen, die an diesem Morgen drei
Freudensprünge thut. Hierauf nimmt der Bauer zwei junge Tauben aus seinem
Schlag, schneidet ihnen im Hof unter freiem Himmel den Hals ab, läßt das
Blut in eine bereit gestellte Schüssel mit drei Hand voll Weizen tröpfeln und
pfeift dann die andern Tauben herbei) damit sie von den mit Blut bespreng¬
ten Körnern fressen. Dies bewahrt sie vor dem bösen Feind und schützt sie
vor Jägern, die auf dem Felde nach ihnen schießen. Nach der Tanbenfüttcrung
verzehrt die Familie sammt dem Gesinde in der Stube mit Honig bestrictM
Brotkuchen, von denen auch das Vieh einige Stücke erhält. Nüchtern gegessen
sichert diese Fcstspeise vor Vergiftung, vor dem Biß von Schlangen und vor
Hautausschlägen. In manchen Strichen wirft man Honig oder Honigbrot >n


seinem Taubenschlag nachzusehen, ob sich darin ein eben ausgekrochnes, noch
feuchtes Tciubchen findet, mit dem er seinen Hausgenossen dann über das
Gesicht streicht, damit sie immer schön und jung, ohne Flecken. Sommersprossen
und Warzen bleiben. Anderswo wendet man zu solchen kosmetischen Zwecken
ein weniger seltsames Mittel an. Die Mädchen gehen, ohne jemand davon
zu sagen, vor Sonnenaufgang schweigend in einen Birkenwald, bohren dort
einen Baum an, stecken einen Federkiel hinein und hängen ein Töpfchen daran,
das sie am dritten Tag nach Sonnenuntergang, gefüllt mit dem inzwischen
herausgeflossenen Safte, abholen. Mit letzterem bestreichen sie sich d"us Gesicht,
um dadurch die Sommersprossen zu verlieren, oder trinken davon, um gesund
und > als Frauen nicht unfruchtbar zu werden. In Weinbergsgegenden geschieht
dasselbe mit dem Saft der Weinranken.

Wir kommen jetzt in die Karwoche. Der Dienstag in derselben heißt der
gelbe, die Mittwoch die krumme. Da von letzterer an bis zum Sonnabend
in allen katholischen Kirchen das Geläut schweigt, so werden in vielen böh¬
mischen Orten die Glocken, die nach dem Volksglauben in dieser Zeit nach
Rom gehen, um sich vom Papst neu weihen zu lassen, von den Schulknaben
vertreten. Diese versammeln sich jedes Mal. wenn an andern Tagen geläutet
wird — früh sechs, Mittags zwölf und Abends sechs Uhr — mit Ratschen,
Hämmerchen. Klappern und Schnarren versehen an der Kirche und durchlaufen,
sobald die Uhr jene Stunden geschlagen hat, die Gassen, indem sie mit ihren
Instrumenten einen möglichst großen Lärm machen.

Der Gründonnerstag heißt bei den Czechen Veliky oder Zeleny Ctvrtek,
der große oder grüne Donnerstag, und ist durch mancherlei Gebräuche aus¬
gezeichnet, in denen sich Nachklänge eines dem alten Donnergott geweihten
Festes mit dem Andenken an die Einsetzung des Abendmahles mischen. In
vielen von Czechen bewohnten Dörfern geht man an diesem Tage vor Sonnen¬
aufgang ins Freie, wo man niederkniee und betet, sich dann in einem Wasser
Hände, Gesicht und Füße wäscht und hierauf sich nach einem Berg oder Kreuz¬
weg begibt, um die Sonne aufgehen zu sehen, die an diesem Morgen drei
Freudensprünge thut. Hierauf nimmt der Bauer zwei junge Tauben aus seinem
Schlag, schneidet ihnen im Hof unter freiem Himmel den Hals ab, läßt das
Blut in eine bereit gestellte Schüssel mit drei Hand voll Weizen tröpfeln und
pfeift dann die andern Tauben herbei) damit sie von den mit Blut bespreng¬
ten Körnern fressen. Dies bewahrt sie vor dem bösen Feind und schützt sie
vor Jägern, die auf dem Felde nach ihnen schießen. Nach der Tanbenfüttcrung
verzehrt die Familie sammt dem Gesinde in der Stube mit Honig bestrictM
Brotkuchen, von denen auch das Vieh einige Stücke erhält. Nüchtern gegessen
sichert diese Fcstspeise vor Vergiftung, vor dem Biß von Schlangen und vor
Hautausschlägen. In manchen Strichen wirft man Honig oder Honigbrot >n


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[0496] seinem Taubenschlag nachzusehen, ob sich darin ein eben ausgekrochnes, noch feuchtes Tciubchen findet, mit dem er seinen Hausgenossen dann über das Gesicht streicht, damit sie immer schön und jung, ohne Flecken. Sommersprossen und Warzen bleiben. Anderswo wendet man zu solchen kosmetischen Zwecken ein weniger seltsames Mittel an. Die Mädchen gehen, ohne jemand davon zu sagen, vor Sonnenaufgang schweigend in einen Birkenwald, bohren dort einen Baum an, stecken einen Federkiel hinein und hängen ein Töpfchen daran, das sie am dritten Tag nach Sonnenuntergang, gefüllt mit dem inzwischen herausgeflossenen Safte, abholen. Mit letzterem bestreichen sie sich d"us Gesicht, um dadurch die Sommersprossen zu verlieren, oder trinken davon, um gesund und > als Frauen nicht unfruchtbar zu werden. In Weinbergsgegenden geschieht dasselbe mit dem Saft der Weinranken. Wir kommen jetzt in die Karwoche. Der Dienstag in derselben heißt der gelbe, die Mittwoch die krumme. Da von letzterer an bis zum Sonnabend in allen katholischen Kirchen das Geläut schweigt, so werden in vielen böh¬ mischen Orten die Glocken, die nach dem Volksglauben in dieser Zeit nach Rom gehen, um sich vom Papst neu weihen zu lassen, von den Schulknaben vertreten. Diese versammeln sich jedes Mal. wenn an andern Tagen geläutet wird — früh sechs, Mittags zwölf und Abends sechs Uhr — mit Ratschen, Hämmerchen. Klappern und Schnarren versehen an der Kirche und durchlaufen, sobald die Uhr jene Stunden geschlagen hat, die Gassen, indem sie mit ihren Instrumenten einen möglichst großen Lärm machen. Der Gründonnerstag heißt bei den Czechen Veliky oder Zeleny Ctvrtek, der große oder grüne Donnerstag, und ist durch mancherlei Gebräuche aus¬ gezeichnet, in denen sich Nachklänge eines dem alten Donnergott geweihten Festes mit dem Andenken an die Einsetzung des Abendmahles mischen. In vielen von Czechen bewohnten Dörfern geht man an diesem Tage vor Sonnen¬ aufgang ins Freie, wo man niederkniee und betet, sich dann in einem Wasser Hände, Gesicht und Füße wäscht und hierauf sich nach einem Berg oder Kreuz¬ weg begibt, um die Sonne aufgehen zu sehen, die an diesem Morgen drei Freudensprünge thut. Hierauf nimmt der Bauer zwei junge Tauben aus seinem Schlag, schneidet ihnen im Hof unter freiem Himmel den Hals ab, läßt das Blut in eine bereit gestellte Schüssel mit drei Hand voll Weizen tröpfeln und pfeift dann die andern Tauben herbei) damit sie von den mit Blut bespreng¬ ten Körnern fressen. Dies bewahrt sie vor dem bösen Feind und schützt sie vor Jägern, die auf dem Felde nach ihnen schießen. Nach der Tanbenfüttcrung verzehrt die Familie sammt dem Gesinde in der Stube mit Honig bestrictM Brotkuchen, von denen auch das Vieh einige Stücke erhält. Nüchtern gegessen sichert diese Fcstspeise vor Vergiftung, vor dem Biß von Schlangen und vor Hautausschlägen. In manchen Strichen wirft man Honig oder Honigbrot >n

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/496>, abgerufen am 02.10.2024.